Juist – eine Sandbank in der Nordsee?

© Foto: Elke Backert, 2014
Doch von Stille kann keine Rede sein. Stetes Pferdegetrappel dringt in die Ohren, und Fuhrwerke gehören zum Inselbild. Sie wiehern freudig, kommen ihnen andere Pferde entgegen. Sogar der Müll wird von Pferden abtransportiert. Aber die Pferde dürfen nur im Schritt gehen. Wer gegen das herrschende Trabverbot verstößt, kassiert gar Punkte in Flensburg, erfährt der Besucher.
Als anerkanntes Nordseeheilbad und Luftkurort wundert es nicht, dass Juist seine Luft rein halten will und Autos verbietet. Nicht einmal die Polizei ist motorisiert. Der Arzt verbraucht 122 Liter Benzin im Jahr. Stattdessen sind Pferdekutschen und Fahrräder angesagt. Nur ein Bestandteil auf Juists Weg, bis 2030 komplett klimaneutral zu sein – trotz des beliebten Tourismus.
Und so hat die Insel bereits einige Vorzeige-Projekte im Kampf gegen den Klimawandel ins Leben gerufen: Über 80 Prozent der Inselfläche stehen unter Naturschutz – der Naturforscher Dr. h. c. Otto Leege (1862-1951) begründete den Naturschutz und legte einen Wald an, der statt in die Höhe in die Breite wächst. Über eine Treppe mit den „Fünf Elementen“ Juists – Sand, Wasser, Salz, Luft, Licht (Sonne) – erreicht man den ihm zu Ehren geschaffenen „ökologisch-künstlerischen Inselpfad“ mit informativer bebilderter Beschilderung über Flora und Fauna – durch das Otto-Leege-Tor, das Tor zum Weltnaturerbe Wattenmeer.
Auch Urlauber können vom Vorbild Juist lernen: So werden Fleischliebhaber nicht nur donnerstags beim inselweiten Veggie-Tag in den Restaurants auf die fleischlosen Gerichte umsteigen müssen, sondern können sich im Nationalparkhaus über das einzigartige Ökosystem des Nationalparks Wattenmeer informieren. Hier wartet das Skelett eines Zwergwals auf staunende Augen. Wer nun denkt, dass Juist bis 2030 vegetarische Insel werden will, der irrt, der Veggie-Tag wurde als Beispiel-Projekt eingeführt, um ebenfalls weiteres CO2 einzusparen – mit Erfolg!
Die kleinen Gäste können in der Kinderuniversität schlau werden, denn hier dreht sich alles um das Thema „Klimawandel“. Und weil nachhaltiges Reisen im Trend ist, können Urlauber klimaneutral mit der Bahn anreisen. Da Schiffe nur bei Flut über das hohe Juister Watt fahren können, sind die Fährverbindungen zum Festland eingeschränkt, maximal zweimal am Tag kann die autofreie Insel angelaufen werden.
Auf der Wattseite der Insel werden Wanderungen unter kundiger Führung angeboten. Heino heißt einer dieser Wattführer und ist selbst begeistert dabei, wenn er bis zu 70 cm tief mit den Händen buddeln muss, um eine Sandklaffmuschel an die Oberfläche zu befördern. Obwohl es sie reichlich an der Nordsee gibt, sah ich sie auf Juist zum ersten Mal. „Sie können mir glauben, dass kein anderer Wattführer diese Muschel ausgräbt, ist viel zu anstrengend“, betont Heino. Ich kann ihm das bestätigen. Er hat noch weitere Sensationen auf Lager. Der Sandpierwurm, allgemein Wattwurm genannt, macht 48 Auswürfe in 24 Stunden. Das sind die geringelten Sandhäufchen auf dem Wattboden. Wenn er den Sand einsaugt, wird er gern von den wartenden Vögeln gefressen, nicht wenn er ihn ausscheidet, weil er dann zu schwer ist zum Rausziehen. Der Bäumchenröhrenwurm ist ebenfalls ein besonderer. Er bildet eine Sandröhre um sich herum, die er mit Speichel festpappt. Zieht einer sie raus aus dem Watt, ist der Wurm längst in der Tiefe verschwunden. Dort bildet er innerhalb eines halben Tages eine neue Röhre.
Dass ausgegrabene Herzmuscheln dank ihres Grabefußes schnell wieder im Watt verschwinden, verblüffte die Gäste. Ich wusste es bereits. Einige legte Heino in ein Glas mit trübem Meerwasser und stellte ein Glas nur mit Meerwasser daneben. „Die lassen wir jetzt hier stehen, bis wir von unserer Wanderung zurückkommen.“ Auf dem Rückweg großes Erstaunen: Das Meerwasser in dem einen Glas blieb trüb, doch die Herzmuscheln lagen nun in sauberem klarem Wasser. „Das Experiment soll uns zeigen, wie wichtig Muscheln für die Reinheit der Meere sind. Bitte essen Sie keine, das Meer dankt es Ihnen.“ Doch im Ort treffe ich auf eine groß ausgeschriebene Restaurant-Spezialität: „Muscheln auf rheinische Art“. 70 Prozent der Stammgäste Juists kommen aus Nordrhein-Westfalen. Die Restaurant-Betreiber sollten mal an einer Wattführung teilnehmen!
90.000 Gäste besuchen die Insel mit ihren 1635 Einwohnern und 7000 Betten jedes Jahr.
Ein Muss für jeden Juist-Besucher ist ein Spaziergang zur Bill. Das große Sandriff liegt am Westende der Insel – dort wo Nordsee und Wattenmeer aufeinandertreffen. Die Bill besteht aus mehreren großen Sandbänken, die von Prielen durchzogen sind. Bei Ebbe bietet sie ein beeindruckendes Bild – das einer riesigen Sandwüste.
Markanter Punkt und Sehenswürdigkeit am Hafen ist das Memmertfeuer – der einzige Leuchtturm, der sein Licht nicht auf das Meer hinausschickt. Als 1986 die Laterne des stillgelegten Leuchtfeuers auf Memmert abmontiert wurde, schloss sich eine Interessengemeinschaft zusammen, um das Leuchtfeuer zu retten. Die Juister Bevölkerung und die Gäste wünschten sich einen Turm für das Leuchtfeuer. Dieser Turm wurde dann am Hafeneingang für das Leuchtfeuer errichtet,  nur durch großzügige Spenden von Insulanern und Gästen ermöglicht. Da das Licht des Memmertfeuers kein offizielles Seezeichen ist und nicht der Schifffahrt dienen darf, ist es in Längsrichtung der Insel zu sehen. Es erinnert an die Zeit, in der es den Seeleuten weit draußen auf dem Meer den Weg gewiesen hat. Beim Leuchtanzündfest am 29. Dezember 1992 wurde es eingeweiht. Seitdem erstrahlt es im 13-Sekunden-Takt über Juist.
In den Sommermonaten kann der Leuchtturm gegen eine Gebühr von einem Euro bestiegen werden.
Seit 2008 steht an der Hafeneinfahrt ein 17 Meter hohes Seezeichen, das die Form eines Hotels in Dubai hat und inzwischen zu einem neuen Juister Symbol geworden ist: Dubai auf Juist. Auch das darf man besteigen – der Weg führt über die Seebrücke entlang des Sportboot-Hafens des Juister Segelclubs.
Unterstützungshinweis:
Die Recherche-Reise erfolgte mit Unterstützung von Tourismus Niedersachsen.
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