Jens Lehmanns voraussichtlich letzte Grätsche

Am Anfang stand eine typische deutsche Mittelstandsfamilie. Vater geht arbeiten, Mutter kümmert sich um die Kinder. Der tiefe Glaube an die Tugenden der deutschen Kleinbürgerfamilie ist es, der Jens Lehmann schlussendlich alle Tiefen seiner Kickerkarriere vergessen lässt. Insofern gilt Lehmanns größter Dank auch keinem Trainer, Manager oder Berater, sondern seinen lieben Eltern. Die Jens in ihrem zuverlässigen, warmen Nest fit fürs Leben gemacht haben. Daher wundert es wenig, dass Frau Jens Lehmann heute den schönen Beruf einer Hausfrau führt. Es ist das Gewöhnliche, der Mensch hinter dem Fußballtrikot, das Siemes zu Tage geholt hat –  das uns Leser begeistert. Der stur und fleißig an seinem Traum vom Bundesligatorwart feilt. Dem vermeintlich schönen Dingen im Leben lange Zeit verwehrt blieben, denn sein Beruf war der eines Fußballprofis. Jens lockte der ganz große Lebensauftrag – Torwart der Nationalelf zu werden. Das geht nicht ohne Gefühle ab, wie diese im Buch geschildert werden, bar jedem dümmlichen Fernsehgelabers, ist feine Dichtkunst!

Natürlich gibt immer noch genügend polemische Attacken gegen die Olli Kahns, Weidenfellers und Alumnias dieser Welt – Lehmanns Konkurrenten im Tor. Ebenfalls seine roten Karten, Ausfälle auf und neben dem Platz kommen aufs Tapet, und Lehmann versucht sich dabei nicht immer in Ausrederei. Seine Torwartlogik, du musst Schwein sein auf dem Platz, zu 100% Ballfänger – alles andere ist sekundär. Torwart Jens, im Alltag ein braves Bürschchen, auf dem Platz der Teufel in Menschengestalt. Lesenswerte Kladde für die kommenden tollen WM-Tage.

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Jens Lehmann: Jens Lehmann – Der Wahnsinn liegt auf dem Platz, 224 Seiten, Kiepenheuer & Witsch 2010, 16,95 Euro

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