„In was für einer Gesellschaft wollen wir leben?“ – Das durchs Land tourende Filmfestival „ueber Macht“ kommt vom 19. bis 25. November ins Orfeo’s Erben nach Frankfurt

Das Plakat zum Filmfestival "ueber Macht".

„ueber Macht“ wird von der Aktion Mensch veranstaltet. Mit „ueber Macht“ setzen die Organisatoren ihre vorjährigen Arbeiten „ueber arbeiten“ – wir berichteten darüber – und „ueber morgen“ fort. Erneut ist es gelungen, aus dem Vorhaben eine breit vernetzte Initiative zu machen, denn rund 30 bundesweite und mehr als 1 000 regionale Verbände und Organisatoren unserer Gesellschaft sind beteilt, die in den 120 Städten Publikumsdiskussionen und Filmgespräche zu jeder Filmvorführung garantieren. Es sollen mit den Filmen die „Richtigen“ angesprochen werden, die nämlich, die unsere Gesellschaft durch persönliches Engagement in ehrenamtlicher Arbeit aufrecht erhalten.

In „ueber Macht“ geht um die Ambivalenz der Macht, die für ablehnenswertes Böse und für begrüßenswertes Gute stehen kann. Macht braucht man, will man die Verhältnisse ändern, aber die Verhältnisse, die sind oft nicht so und dann wird Macht nicht selten unkontrolliert ausgeübt oder sogar mißbräuchlich eingesetzt. Deshalb will diese Initiative die Menschen aufrütteln, wo auch immer laut und deutlich ihre Meinung zu sagen, wenn etwas anders läuft, als vereinbart. Grob gesagt geht es darum, für das Erkennen von Machtstrukturen sensibel zu werden und Widerstand zu leisten, wenn Macht illegitim ausgeübt wird.

Insofern sind die Filme genau nach diesem Verhaltensziel ausgerichtet, daß der mündige und kritische Bürger nämlich Vorbilder sehen kann, die die Machtfrage gestellt haben. „Das Filmfestival zeigt Menschen, denen es gelingt, sich aus der Machtlosigkeit zu befreien, wie die Pakistanerin Mukhtar Mai, die sich gegen den übermächtigen Druck archaischer gesellschaftlicher Konventionen behauptet hat und dazu noch die Kraft aufbringt, sich für andere benachteiligte Frauen zu engagieren“, teilt das Festival mit. Deutsche Firmen werden dabei beobachtet, wie sie sich bei einer der schlimmsten Diktaturen der Welt anbiedern und andere Peinlichkeiten mehr

www.ueber-macht.de

www.dieGesellschafter.de

KURZBESCHREIBUNG DER FILME

DIE DÜNNEN MÄDCHEN

D 2008, Regie: Maria Teresa Camoglio, 94 Min.

Die dünnen Mädchen, das sind acht junge Frauen zwischen 18 und 29 Jahren, die seit langem an Essstörungen leiden und versuchen, diese zu bekämpfen. Sie haben gehungert bis zur Selbstauflösung und können nicht einfach damit aufhören. Diagnose: Magersucht. Die Krankheit frisst sich in ihr Leben – bis zur vollständigen Machtübernahme. Maria Theresa Camoglios Film dokumentiert, wie die jungen Frauen wieder eine Beziehung zu ihrem Körper aufbauen, um damit auch die Kon trolle über ihr Leben zurückzugewinnen.

STRANGE CULTURE/FREMDKULTUREN

OT: Strange Culture, USA 2007, Regie: Lynn Hershman Leeson, 75 Min., OmU

Steve Kurtz ist Performance-Künstler, seine Arbeit dreht sich um das Thema Biotechnologie. Seine Arbeitsmittel – harmlose Bakterienkulturen – erregen in der Terrorfurcht nach dem 11. September die Aufmerksamkeit des FBI. Agenten in Schutzanzügen durch suchen seine Wohnung. Der Vorwurf: Bio-Terrorismus. Unvermittelt sieht Kurtz sich von einem übermächtigen Staat bedroht, der offenbar um jeden Preis eine Verurteilung erzielen will. Ihm drohen 20 Jahre Haft für den Besitz von Bakterien, die jeder frei über das Internet bestellen kann. Dieser Film ist Teil einer internationalen Aktion, mit der sich bekannte Künstler wie Tilda Swinton und die Residents mit Kurtz solidarisieren.

MANDA BALA – SEND A BULLET

Brasilien/USA 2007, Regie: Jason Kohn, 85 Min., OmU

Eine brasilianische Froschfarm, ein korrupter Politiker, ein reicher amerikanischer Geschäftsmann, ein Entführer aus den Slums von São Paulo. Jason Kohn porträtiert eine Gesellschaft im Kriegszustand. Ein Krieg aller gegen alle, in dem jeder versucht, an die Spitze der Nahrungskette zu gelangen. Alle wollen sie Geld, ohne Rücksicht auf Verluste. Am Ende verliert die ganze Gesellschaft. Manda Bala führt drastisch vor Augen, wie eine Gesellschaft ohne soziale Verantwortung, ohne Rechte für die Armen und ohne Regeln für die Reichen in den Verteilungskrieg treibt. Ein visueller Essay, dessen expressive Bilder und poppige Klänge mit der Härte der sozialen Realität kontrastieren.

MONSANTO, MIT GIFT UND GENEN

OT: Le Monde selon Monsanto, F 2007, Regie: Marie-Monique Robin, 109 Min., DF

Genetisch veränderte Lebensmittel sind sicher. Das sagen die Hersteller-Firmen. Marie-Monique Robins brillante Recherche über den Biotechnologie-Konzern Monsanto untersucht, wie die „wissen schaftlichen Beweise“ für diese Behauptung zu Stande kommen. Sie findet heraus, dass Gen-Mani pulierer auch Forschungsergebnisse manipulieren. Gegenstimmen bringt Monsanto systematisch zum Verstummen. Robins Film enthüllt die Einflussnahme des Konzerns auf Politik und Kontrollbehörden bei seinem weltumspannenden Griff nach der Macht über unser Essen.

IHR NAME IST SABINE

OT: Elle s’appelle Sabine, F 2007, Regie: Sandrine Bonnaire, 85 Min., DF und OmU

Sabine und Sandrine Bonnaire sind Schwes tern. Sabine ist Autistin. Sandrine dagegen gehört zu den großen Stars am Kinohimmel. Ihre erste Arbeit als Regisseurin hat sie ganz ihrer Schwester gewidmet. Ihr Film erzählt, wie das ursprünglich quirlige Mädchen in eine emotionale Krise stürzt und in die Psychiatrie eingewiesen wird. Sabine wird massiv mit Psychopharmaka behandelt – fünf Jahre lang. Danach sind ihre kreativen Fähigkeiten und persönliche Ausdruckskraft nahezu zerstört. Heute lebt sie in einer Wohngruppe in der französischen Provinz, die mit Hilfe ihrer Schwester aufgebaut wurde. Hier lernt Sabine neu leben.

FAUSTRECHT

CH 2007, Regie: Robi Müller und Bernard Weber, 84 Min., Schweizerdeutsch mit dt. UT

Jugendliche Gewalttäter. In den Medien werden sie oft zu „Monstern“ reduziert, und zur Zuspitzung von Wahlkämpfen eignen sie sich auch prima. „Faustrecht“ schaut genauer hin. Der Film begleitet zwei 16-Jährige: Während Tim unter seinen unkontrollierten Gewaltausbrüchen selber leidet, setzt Gibran Gewalt kühl kalkulierend als Machtmittel ein, um sich Respekt zu verschaffen. Mitgefühl scheint für ihn ein Fremdwort zu sein – bis es zu einem furchtbaren Zwischenfall mit seiner Freundin kommt. Um die beiden Hauptpersonen zeichnet „Faustrecht“ ein differenziertes Bild von engagierten Helfern, überforderten Therapeuten und Eltern, die zwischen Ratlosigkeit und Desinteresse schwanken.

ZUOZ – SCHULE DER ELITE

OT: Zuoz, F/Österreich 2007, Regie: Daniella Marxer, 71 Min., OmU

Wissen ist Macht. Wer in Deutschland auf eine öffentliche Schule geht, kann von den Lernbedingungen im „Lyceum Alpinum Zuoz“, einem imposanten Internat in den Schweizer Bergen, nur träumen. Hierhin schickt die Führungselite Europas ihre Kinder, hier lässt sie ihre Wertmaßstäbe und Verhaltensregeln reproduzieren. Demokratische Ideale wie Individualität und eigenständiges Denken scheinen nicht dazuzugehören. Für Fehler gibt es keine Entschuldigung; was zählt sind reibungsloses Funktionieren, unablässige Leistungsbereitschaft und widerspruchslose Unterwerfung. Gehorsam, Härte, Konformismus, Kontrolle und die altbekannten Sekundärtugenden – sind das die Ideale der Zukunft?

STREIK(T)RAUM

OT: (G)rève général(e), F 2007, Regie: Matthieu Chatellier und Daniela de Felice, 97 Min., OmU

Wenn Frankreich gegen die Zumutungen der Mächtigen rebelliert, zeigt sich, dass dort die Macht tatsächlich beim Volk liegt. Als die französische Regierung Anfang 2006 ein Gesetz durch setzen will, mit dem Berufseinsteiger zwei Jahre lang fristlos entlassen werden können, proben die Studenten den Aufstand und besetzen die Universitäten. Die Filmemacher nehmen an den Streikvorbereitungen teil, an Diskussionen, Versammlungen, Kaffeepausen, am Barrikadenbau und Brötchenschmieren. Die streikenden Studenten lernen etwas, das im universitären Leben selten vorkommt: Trotz widerstreitender Ansichten gemeinsame Entscheidungen zu finden, mit Macht umzugehen und Macht auszuüben.

RUHNAMA – IM SCHATTEN DES HEILIGEN BUCHES

OT: Shadow of the Holy Book, Finnland 2007, Regie: Arto Halonen, 90 Min., DF

Das Buch mit dem größten Schatten steht in Turkmenistan. Sein Titel: Ruhnama. Sein Autor: Saparmurat Nijasow, der kürzlich verstorbene Diktator von Turkmenistan. Nijasows System ist repressiv wie Nordkorea, aber inszeniert wie eine Operette. Seine Herrschaft stützt sich auf einen Personenkult stalinistischer Monstrosität, erbarmungslose Unterdrückung und lukrative Geschäfte mit dem Westen. Das Buch ist immer dabei. Sein Inhalt wird bei allen Prüfungen abgefragt, sogar in der Fahrschule. Für westliche Konzerne ist der sicherste Weg zu den Ressourcen des Landes, das Ruhnama in ihre eigene Landessprache zu übersetzen. Die deutsche Fassung übernahm DaimlerChrysler. Und in der Hauptstadt steht sogar eine gigantische Statue des Buches – ein Geburtstagsgeschenk westlicher Unternehmen.

GESETZGEBER

OT: State Legislature, USA 2006, Regie: Frederick Wiseman, 217 Min., OmU

Kann man Demokratie filmen? Es geht. Frederick Wiseman, der legendäre Chronist der amerikanischen Gesellschaft, beweist es mit „Gesetzgeber“. Drei Monate im Jahr treffen die Abgeordneten des Landesparlaments von Idaho (USA) zusammen, um über neue Gesetze zu beraten. Den Rest des Jahres gehen sie ihrem Beruf nach, wie je der andere auch. Demokratie funktioniert hier anders: Direkter, weniger hierarchisch, offener – offen für Mitwirkung. Noch nie hat ein Film uns Demokratie als Prozess so faszinierend nahegebracht.

CITIZEN HAVEL

OT: Obcan Havel, Tschechische Republik 2008, Regie: Miroslav Janek und Pavel Kouteckí½, 119 Min., OmU

Der Dissident wird Präsident. Von den Kommunisten wurde er verfolgt. Nach dem Fall des Regimes wurde er zum ersten Staatspräsidenten der Tschechischen Republik. Václav Havel. Zehn Jahre hatte er das höchste Staatsamt der jungen Demokratie inne. Während dieser Zeit begleiteten die Filmemacher den Präsidenten mit der Kamera. „Citizen Havel“ erlaubt außergewöhnliche Einblicke hinter die Kulissen der Macht und in das Räderwerk der Politik. Wir erleben einen Präsidenten, der mal ironisch mit der eigenen Rolle spielt, dann wieder sich selbst inszeniert, der aber auch im Konflikt mit seinem neoliberalen Gegenspieler Václav Klaus nachdrücklich Stellung bezieht.

DIE SCHULD, EINE FRAU ZU SEIN

OT: Shame, Pakistan/USA 2006, Regie: Mohammed Naqvi, 95 Min., DF

Die Geschichte einer Selbstbefreiung, die um die Welt ging. Als Wiedergutmachung für ein angebliches Vergehen ihres Bruders wird die Pakistanerin Mukhtar Mai von den Männern eines Nachbarclans vergewaltigt – die Strafe eines archaischen Machtsystems. Doch die junge Frau weigert sich, die ihr zugedachte Rolle zu akzeptieren und sich aus Scham selbst zu töten, wie es üblich ist. Mit Hartnäckigkeit und gegen viele Widerstände bringt sie die Täter vor Gericht. Mit der Entschädigungszahlung baut sie in ihrem Heimatdorf die erste Schule für Mädchen und junge Frauen auf, denn Mukhtar Mai ist überzeugt: Bildung ist für Frauen der beste Schutz gegen patriarchalische Unterdrückung und das, was ihr geschehen ist.

FÜR GOTT, ZAR UND VATERLAND

OT: Durakovo: Le village des fous, D/F 2007, Regie: Nino Kirtadze, 92 Min., DF

Mikhail Morozov hat beste Beziehungen zum russischen Geheimdienst, dem Militär, der orthodoxen Kirche und der Partei Wladimir Putins. Und er besitzt in der Nähe von Moskau das Dorf Durakovo. Hier herrscht der Hausherr nach feudalen Gepflogenheiten. Morozov hat keine Mitarbeiter, er hat freiwillige Leibeigene. Aus ganz Russland kommen Männer und Frauen, um von der Last der Mündigkeit befreit und Untertanen zu werden. Demokratie bedeutet hier Chaos und ist ein Schimpfwort. So krass der Einzelfall ist, so typisch ist er für die Stimmungslage im gegenwärtigen Russland. Eine Reise in ein Land, das zuweilen den Eindruck erweckt, auf dem Weg zurück ins 19. Jahrhundert zu sein.

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