Heute wäre Andy Warhol also auch schon 82 Jahre. Das paßt weder zu seinem ausgestellten Werk noch zu seiner Art der Selbstdarstellung. Aber, so denkt man, er hätte dem alternden Mann sicher eine zusätzliche Variante gegeben, was derzeit hauptsächlich international Hollywoodschauspielern zukommt. Warhol starb an den Folgen einer Gallenblasenoperation im Jahr 1087, noch nicht 58jährig. Und er war nicht von Anfang an der erfolgreiche und durchaus arrogante Künstler, als der er in Erinnerung blieb, auch wenn jeder von seiner inneren Unsicherheit sprach.
Diese Ausstellung will nun gerade diese Zeit zeigen, in der aus einem, der auszieht, Künstler zu werden, tatsächlich einer wird, weil genau in den Jahren 1961-1964 er – genial oder geschäftstüchtig – eine Entdeckung macht, wie man seine eigene Handschrift technisch eliminiert und beliebig macht, wie man aus einem Bild ganz viele macht, aus Schwarz Weiß oder doch eher Rot und Gelb, und daß Bilder nicht dazu da sind, nur an der Wand zu hängen, sondern der Auftakt sind, sich mit der Funktion des Bildes in verschiedenen Medien, wie auch Foto und Film, zu beschäftigen und wo Film ist, ist Musik nicht weit.
Warhol hatte als Werbegrafiker angefangen und war darin erfolgreich, aber innerlich nicht zufrieden, denn ihn reizten die „richtigen Künstler“, wie Roy Lichtenstein zum Beispiel, den er sammelte. Beim Rundgang bekommt man so manches biographische Aperçu mit und das lockert ungemein auf. Die Ausstellung beginnt mit dem berühmt berüchtigten Dr. Scholl, der jedem New York Besucher unvergeßlich bleibt. Hier wird die Funktion des Pflasters auf das Hühnerauge deutlich herausgestellt, gleich doppelt, denn an der kleinen Zeh wird vorgeführt, wie es haftet und an der mittleren, wie wohltuend der nächste Schritt des Aufpappens ist. Sein Verfahren wird schnell deutlich, am sichtbarsten bei „Crossword“, Anfang 1961, wo er ein Kreuzworträtsel kopiert beim Übertragungsprozeß aber sowohl die Liste der gesuchten Begriffe wie auch das gewürfelte Raster fragmentiert.
Sein „Vorher und Nachher“ ist immer ein Renner, weil jeder sich aufgefordert fühlt, die Unterschiede der hier hängenden zwei Fassungen von Nasenkorrekturen genauer zu bestimmen. Ein Indiz dafür, daß so etwas wie interaktive Ausstellungskonzepte sicher gut ankäme. Darum muß sich hier kein Kurator sorgen, weil Warhol das schon vorprogrammierte. Aber das Malen nach Zahlen gehört nicht zu den immer wieder gezeigten Bildern. Das sind die „Do it yourself-Werke, wo er Vorlagen für Kinder auf die Leinwand übertrug und mit ihnen das Verfahren, denn auf den Bildern sind unzählige Zahlen, denen nach man das Bild mit verschiedenen Farben dann ausmalte. Das kennen wir noch aus der Kinderzeit. Bei einem hat er es vorgemacht, der Seelandschaft, aber er läßt sie nicht – wie im Original gewollt – als farbiges Bild durchgehen, sondern appliziert im Nachhinein die von der Farbe verdeckte Numerierung wieder auf die Felder. Er wolle die Idee, die hinter dem Vorgang stecke, transparent machen, sagt er.
Bißchen viel Kopf, viel Konzept und das Gegenteil von Schwelgen in Farben und Formen. Und da, wo man denkt, ah, da legte er los, die Blumenbilder im letzten Raum aus dem Jahr 1964, sieht man dann auch die Vorlagen schon vorher im Raum 2. In einer langen Vitrine sind sie ausgestellt, die Werbeanzeigen, die Zeitschriften, die Vorlagen, die er kopierte und hier sieht man auch, daß es die Hibiskusblüte ist, die seinen Großblumendrucken die Form gibt, während man so bei den roten gerne an Klatschmohn gedacht hätte. Für uns ist diese Vitrine der wichtigste Ausstellungsgegenstand. Hier beweist sich nämlich, daß sämtliche Zeichnungen und Drucke von Warhol nach Vorlagen anderer gefertigt wurden. Hier sieht man die Publicity-Fotos von Elizabeth Taylor und die von Ginger Rodgers und Hedy Lamar, die er verwertet.
Zu den späten Suppendosen wollen wir nichts mehr sagen, und auch den Elvis hatten wir gerade in der Vitrine als nettes Foto gesehen. Aber die 100fach verschiedenen Suppendosen, die lohnt das Anschauen, weil das Auge nichts sieht, wenn der Verstand nicht kontrolliert. Umgekehrt geht es mit den Autounfallserien und dem Selbstmord durch Springen aus dem Hochhaus. Da sieht das Auge, auch wenn der Verstand schon abgeschaltet hat, immer noch weiter. Denn Unglücke, das lehren diese Bilder, sicher ganz ungewollt, potenzieren sich eben nicht durch Wiederholung und Vervielfachung. Da langt schon ein einziger Unfall, um berührt zu sein. Aber das sind Kategorien von Kunst, die mit Andy Warhol nichts zu tun haben. Mit uns schon.
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Ausstellung: bis 23. Januar 2011
Katalog: Andy Warhol the Early Sixties. Paintings and Drawings 1961-1964, hrsg. von Bernhard Mendes Bürgi und Nina Zimmer, Kunstmuseum Basel 2010, Museumsausgabe und gebundene Ausgabe: Verlag Hatje Cantz
Erstaunlich: Die große Schrift. Wir finden das gut, weil der Band nicht allzu schwer ist und der Großdruck der Buchstaben wie für Sehbehinderte oder älter Gewordene doch gleichzeitig inhaltlich zu deuten ist. Denn Andy Warhol ging es immer um die Kenntlichmachung, er wollte Sehanreize schaffen und so sind auch die Lesereize eher gegeben, wenn ein Text so großzügig daherkommt. Warum der Titel auf Englisch sein muß, entzieht sich unserem Verständnis genauso wie die Kapitelüberschrift „Andy Warhols Before and After“, die natürlich auf sein gleichnamiges Bild bezug nimmt, von dem wir aber nicht richtig finden, es nur im englischen Original zu betiteln. Obwohl, das müssen wir andererseits zugeben, die Originaltitel äußerst schlicht sind. Aber sonst wird auf Deutsch zur Sache gesprochen und der Abdruck der ausgestellten Bilder erfolgt einerseits in einem Katalogteil, der aber nicht gesondert hinterher, sondern in die jeweiligen Katalogtexte eingefügt ist, was sinnvoll ist.