In Braunschweig werden die 800 Jahre, seit Otto IV. als erster und letzter Welfe den Kaiserthron der Deutschen bestieg, historisch gewürdigt, eine richtig tolle geschichtliche Fundierung, ausgestattet mit künstlerischen Originalen der Zeit. In Magdeburg werden die kulturgeschichtlichen Voraussetzungen geklärt, die geistige Neuorientierung, die mit der Gotik zum Ausbruch kam, und mit dem Baubeginn des gotischen Magdeburger Domes auch in der Folge eine Vielzahl der wunderbarsten Steinskulpturen, Glasmalereien, sonstiger Kunstschätze hervorbrachte, die nun aus den Museen aus dem In- und Ausland in das Kulturhistorische Museum nach Magdeburg durften und die ein Kunstliebhaber sich nicht entgehen lassen darf.
Was wir uns gewünscht hätten, wäre ja nicht nur eine gemeinsame Vermarktung – eben auch ins Ausland -, die eine Entscheidung in dies Gebiet von Niedersachsen und Sachsen-Anhalt zu fahren, leichter gemacht hätte, sondern darüber hinaus auch einen gegenseitigen inhaltlichen Bezug. Denn, besucht man beide Ausstellungen, direkt hintereinander, dann wird einem deutlich, daß sie beide tatsächlich zwei Seiten einer Medaille sind. Die auf die lokale und europäische geschichtliche Wirklichkeit von 1209 bezogene Ausstellung „Otto IV.- Traum vom welfischen Kaisertum“ bringt wirklich durch die Auswahl von Texten und kostbaren Objekten aus ganz Europa noch dazu in verschiedenen historisch authentischen Ausstellungsstätten in Braunschweig das Leben der Zeit sinnlich näher und damit auch die Motive der Menschen, sich in den Kämpfen der Mächtigen auf die eine oder andere Seite zu schlagen.
Wie lebte man damals, und nach welchen Regeln und Vorschriften geschah dies, sind Fragen, die Beantwortung finden. Nicht im Spektakel unserer Mittelaltervorstellungen mit Ritterrüstungen und Feldspeisen in Verbindung mit Met, sondern durch klug ausgewählte Texte, die immer auch den Gottesbezug der Handelnden zum Ausdruck bringen, der dann in Magdeburg zu künstlerischen Ergebnissen führt, die einen – obwohl doch über die Gotik, so denkt man, schon alles gesagt ist – zu überraschenden Einsichten führt. Aber und darum legen wir auf beide Ausstellungen soviel Wert, es zeigt sich auch, daß ein gute historische Basis nötig ist, um den „Aufbruch in die Gotik“ besser verstehen zu lernen und hier meinen wir nicht die Kunstobjekt, sondern die sich ändernden Voraussetzungen der Gesellschaftsordnung nach 1209, die beide Ausstellungen als kulturhistorische Substrate nicht auslassen.
Dort allerdings zeigt sich, daß die konkrete und dezidiert geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der Historie am Beispiel der Magna Charta zum Beispiel, durchaus zugunsten von Braunschweig ausgeht, auch wenn die Anzahl an Kunstgegenständen in Magdeburg sowohl hinsichtlich der Anzahl wie der dadurch angehäuften Qualität überwiegt. Aber wir wollen keine Konkurrenz aus dem machen, was uns ja als Aufeinanderaufbauen als nötig erscheint und dringend zum Aufsuchen beider Ausstellungen raten. Danach wissen Sie einfach mehr und können mit abstrakten Begriffen sinnliche Eindrücke und Erfahrungen verbinden. So knüpft sich ein immer dichteres Geschichts-Kunstgeschichtsbild im eigenen Kopf, das mit Zahlen oder Herrschernamen tatsächlich damaliges Leben und Kunststreben verbindet.
Schauen wir uns in diese Jahreszahl 1209, der beiden Jubiläen gilt- einmal die Kaiserkrönung, einmal der Baubeginn des gotischen Doms – in diesem verrückten Zeitatlas der Peters Synoptischen Weltgeschichte an, ob das etwas bringt. Der große Mongolenkrieg hat in der Ferne mit dem Reich der Tanguten angefangen im größten Eroberungszug aller Zeiten, in der Nähe ging es um die Ausrottung im Katharer-Kreuzzug, mit dem die Katholische Kirche die Albigenser und Waldenser bis 1230 mit über 100 000 Toten auslöschte. Schwierig, daß auf einmal als Querbalken über der Jahreszahl 1209 seit 1194 der Staufer Friedrich II. erscheint, der doch erst 1220 offizielle Deutscher Kaiser wurde, was in den Grabenkämpfen zwischen Welfen und Staufern deftig in Braunschweig zum Ausdruck kommt. Innozenz III., Papst in Rom, ist da schon richtiger, denn der war nach dem Tode des Staufers Heinrich IV, und seiner Ehefrau Konstanze Vormund für das Kind Friedrich II. und hatte die Lehenshoheit über Sizilien, mußte aber 1209 den gewählten Otto krönen und ist für das kirchengeschichtlich wichtige Vierte Laterankonzil von 1215 zuständig.
In Norwegen herrscht Haakan der Alte, nie wieder wird der Einfluß des Landes so groß sein. Der Balken darüber spricht von Peter Waldes, dem französischen Patrizier an der Spitze der Katharer, die eine soziale Bewegung für die Armen waren. Das auch und vor allem in erster Linie. Dann geht es um Hermann von Salza, der Hochmeister des Deutschritterordens, der den Deutschen Orden von Vorderasien nach Ungarn verlegte, sodann nach Herauswurf sich gen Osten schicken ließ und Richtung Baltikum einen Adelsstaat errichtete.1209 ist auch gerade Batu-Khan, Enkel des Dschingis Khan, mongolischer Herrscher im Westreich geworden, der später mit der Goldenen Horde Rußland überfiel und sich gen Westen wandte. Johannes Karpini, italienischer Priester, wurde vom Papst an den Mongolenhof geschickt, wo er sich theologisch streiten durfte, was Gottes Wille sei: der Sieg der Mongolen oder die Akzeptanz Europas.
Maimonides war gerade gestorben war, den man den bedeutendsten jüdischen Gelehrten des Mittelalters nennen darf, Philosoph, Arzt und Rechtsgelehrter in einem und Walter einer differenzierten einheitlichen Welt. Franz von Assisi setzt seinen Weg der Armut und Keuschheit auf den Spuren Christi fort und überlegt man sich das noch einmal, ist sein Siegeszug als heiliger Franziskus angesichts seiner sozialrevolutionären Gedanken erstaunlich, die anderen das Leben kosteten, ihm aber den eigenen Bettelorden einbrachten, den er gar nicht gewollt hatte. Im Gegensatz zum Spanier, dem Heiligen Dominikus, der sich bei der Verfolgung der Katharer hervortat, dafür mit dem Orden der Hunde des Herrn belohnt wurde, ein Orden, der unrühmlich später noch angebliche Ketzer in der Inquisition verbrannte.
Aber das ist vorausgeschaut, wir aber in der vertikalen Zeitleiste von 1209 sind bei der Geistesgeschichte angelangt, die mit Heinrich von Morungen und seinen Minneliedern beginnen, Albertus Magnus als die große Figur präsentieren, die Europa neu denkt, indem sie das vorchristliche und außerchristliche, also heidnische und ketzerische Gedankengut in die europäische Bildung und Philosophie aufnimmt und zum Hauptvertreter der Scholastik wird. Wolfram von Eschenbach und Walther von der Vogelweide weiten die Minnelieder zu Volksliedern und Erzählungen aus und vereinen dadurch Hof und Volk. Der isländische Geschichtsschreiber, Dichter und Staatsmann folgt, dessen Namen Snorri Surluson wenig geläufig ist im Gegensatz zu seinem Werk, der „Edda“. Neidhart von Reuenthal tritt auf, der den höfischen Minnegang ganz ins Bäuerliche transportiert und Volksdichtung zelebriert.
Eike von Repkow dagegen schuf durch sinnvolle Zusammenstellung des Gewohnheitsrechtes – Landrecht und Lehnsrecht – mit dem „Sachsenspiegel“ die erste deutsche Rechtsgeschichte, die auch in beiden Ausstellungen zum Tragen kommt, denn erstmals ist der Mensch das Maß der Dinge und ob er arm ist oder reich, bedeutet keine Unterscheidung in Rechtsfragen, zumindestens theoretisch und methodisch, was neu war genauso, wie die Kirche in weltlichen Ansprüchen zurückzuweisen.
Soviel, was uns der Zeitatlas der Peters Synchronischer Weltgeschichte über das Jahr 1209 verrät. Weder Otto IV. noch eine geistesgeschichtliche Bewegung wie die Gotik werden in den Zeitleisten erwähnt. Aber im Zweiten, dem Indexband, heißt es auf Seite 266 „deutscher Kaiser seit 1198n – was immer nach Christi bedeutet – als jüngster Sohn Heinrich des Löwen auf Betreiben des Papstes gegen Philipp von Schwaben zum deutschen König gewählt, konnte er sich erst nach Phillips Tod durchsetzen. ”¦wurde 1214n von den Franzosen geschlagen und zog sich unter Verzicht auf die Kaiserkorne in sein Stammland Braunschweig-Lüneburg zurück. Damit endete das kurze Kaisertum seiner Familie (Welfen).“
Im selben Band findet sich auf Seite 132 auch die „Gotik“ in Kurzfassung: ”¦“Entfaltete sich in der Zeit von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zum Ende des 15. Jahrhunderts. Himmelstrebend in der Anlage, kühn in der Gestaltung, brachte sie die für lange Zeit höchsten Bauwerke Europas hervor. Die Wände der steil aufragenden Baukörper, lösten sich in schlanken Pfeiler auf, spitz auslaufende, kunstvoll bemalte Fenster und geschnitzt Türen, hohe Hallen und aufstrebende Türme lenkten mit dem Blick das Empfinden der Menschen in die Höhe. Die Bildhauerei schuf zum ersten Male seit Ausbreitung des Christentums wieder vollkörperliche Figuren. Die Malerei durchbrach ihre Bindung an Bauwerk (Fresko) und Buch (Miniatur) und wurde zur eigenständigen Kunstgattung (Tafelbild).“ Nicht schlecht als Kurzfassung, aber die mit Jahreszahlen darunter aufgeführten Kathedralen, die richtig mit St. Denis 1145 anfangen, vergessen den Baubeginn der Kathedrale von Magdeburg von 1209 und damit den Beginn gotischen Bauens in Deutschland, was hier erst mit 1235 mit der Katharinenkirche in Hamburg beginnt. Schieben wir dieses Versäumnis einfach darauf, daß Magdeburg ein Umbau einer bestehenden in eine gotische Kathedrale war und schauen wir uns nun endlich auf dem Hintergrund der so ausgewählten Weltgeschichte, die eine europäische blieb, die beiden Ausstellungen an.
P.S. Wir wollen doch nicht hoffen, daß es die jeweilige Auszeichnung als „Landesausstellung“ war, hie niedersächsische, dort sachsen-anhalterische, die eine Zusammenarbeit unmöglich machte, sonst wäre ja doch der Föderalismus daran ’schuld`?
Info:
Bis 8. November, „Otto IV.- Traum von welfischen Kaisertum, Braunschweigisches Landesmuseum, Dom St. Blasii, Burg Dankwarderode
Katalog: Otto IV, – Traum vom welfischen Kaisertum, Michael Imhof Verlag 2009
Bis 6. Dezember 2009, „Aufbruch in die Gotik. 1209. Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit“ , Kulturhistorisches Museum Magdeburg
Katalog: Aufbruch in die Gotik. Der Magdeburger Dom und die späte Stauferzeit, Band I Essays, Band II Katalog, Verlag Philipp von Zabern 2009