Im „Fleischwolf“ von Bachmut

Ein alter Fleischwolf. Quelle: Pixabay, Foto: Patricio Hurtado

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Unter den schrecklichen Begriffen über massenhafte Vernichtung von Menschenleben im Krieg gehört „Fleischwolf“ zu den schlimmsten. Das noch von der ukrainischen Armee kontrollierte Gebiet um die Stadt Bachmut im Donbass wird inzwischen von den ukrainischen Soldaten als „Fleischwolf“ der russischen Artillerie gefürchtet.

Seit vielen Wochen steht in den Berichten von den Kämpfen zwischen Russland und der Ukraine entlang der 1.000 Kilometer langen Frontlinie die Stadt Bachmut in der Ostukraine im Zentrum der Aufmerksamkeit, denn hier toben die für die ukrainische Armee schwersten Kämpfe mit unerträglich hohen Verlusten an Menschenleben.

Bachmut hieß zu Sowjetzeiten Artjomowsk und liegt innerhalb der Gebietsverwaltung des Oblast Donezk im Donbass. Nach dem Maidan-Gewaltputsch hatten die neuen Machthaber in Kiew die ukrainische Armee, darunter viele faschistische Freiwilligen-Bataillone, in einen offiziell als „Anti-Terror-Operation“ benannten Feldzug zur Unterdrückung der Menschen in den Donbass geschickt, weil die sich nicht der antirussischen Putsch-Regierung in Kiew unterwerfen wollten. Aber die ukrainische Armee samt ihren faschistischen Fanatikern wurde im Donbass zurückgeschlagen und bei Debalzewo eingekesselt, wo ihr die Vernichtung bevorstand.

Um dies und womöglich die komplette Vertreibung der Armee der Kiewer Machthaber aus dem Donbass bis hinter den Dnjepr zu verhindern, eilte Kanzlerin Merkel nach Moskau und überzeugte Putin in ihren Plan für Minsk II (u. a. Teil-Autonomie für den Donbass) einzuwilligen. Es kam zu einem Waffenstillstand, dessen Grenze quer durch den Donbass und sogar durch die westlichen Vorstädte der Provinzhauptstadt Donezk verlief. Allerdings wurde das Minsker Abkommen von der Regierung in Kiew nie erfüllt. Auch die westlichen Garantiemächte Deutschland und Frankreich haben zu keinem Zeitpunkt Druck auf Kiew ausgeübt, um dem Abkommen nachzukommen, für das sie quasi die Bürgen waren.

Kürzlich nun hat sich Ex-Kanzlerin Merkel in einem Interview in Der Spiegel und Die Zeit gebrüstet, dass sie und der Westen es nie ernst gemeint hatten mit Minsk II, sondern nur Zeit schinden wollten, um die Ukraine gegen Russland aufzurüsten. Mit anderen Worten, sie brüstete sich damit, die Russen erfolgreich hinters Licht geführt und betrogen zu haben.

Tatsächlich hat der kollektive Westen diese Zeit genutzt und die Ukraine zu einer der kampfstärksten Streitkräfte Europas hochgerüstet und ihre Soldaten entsprechend ausgebildet. Zugleich hat die Ukraine mithilfe des Westens seit acht Jahren hinter der Waffenstillstandslinie im Donezk-Gebiet ein gigantisches Netzwerk von meist unterirdischen, ineinandergreifenden Verteidigungsanlagen gebaut, samt Munitionslagern und Lebensmittelvorräten etc. Von diesen Anlagen aus hat die ukrainische Armee in den vergangenen acht Jahren jeden Tag mal mehr, mal weniger Artilleriegranaten wahllos in die Donbass-Dörfchen und Städte geschossen, um die dort lebende Bevölkerung zu terrorisieren und nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Dabei war das nur wenige Kilometer entfernte Stadtzentrum von Donezk, das den gleichen Namen wie die Provinz trägt, das beliebteste Ziel.

Seit Beginn der russischen Operation in der Ukraine gilt das schwer befestige Bachmut bzw. Artjomowsk als Dreh- und Angelpunkt für die Verteidigung der gesamten ukrainischen Donbass-Front. Mit ihrem Fall würde die Front durchstoßen und könnte von den Russen, ohne die bei einem Frontalangriff zu erwartenden hohen Verluste zu riskieren, Schritt für Schritt von hinten aufgerollt werden. Dieser Gefahr ist sich auch das ukrainische Oberkommando bewusst. Deshalb wirft Kiew alle noch irgendwie verfügbaren Kräfte aus dem zusammengeschrumpften Pool seiner Reserven in die Schlacht um Bachmut.

Bisher aber waren die Kämpfe um Bachmut für die ukrainische Seite nicht weniger verlustreich als die bei ihrer gescheiterten Offensive in Cherson. Dabei hat laut jüngster Aussage des US-Militärexperten und Strategen Oberst Douglas MacGregor die ukrainische Armee etwa 300 Panzer und zwei Infanteriedivisionen verloren.

Fast alle ukrainischen Verluste gehen auf Fernwirkung der russischen Artillerie zurück, bei der die Russen eine riesige Übermacht haben. Auch kam es so gut wie zu keinen Kämpfen zwischen der Infanterie beider Seiten, denn dank der russischen Artillerie kam die ukrainische Infanterie nie auf Schussweite an die russischen Linien heran. Und auch die ukrainische Artillerie kam wegen des Einsatzes der russischen Luftwaffe praktisch nicht zum Einsatz gegen die russischen Verteidigungsstellungen. Deshalb gab es auf russischer Seite bei Cherson nur minimale Verluste.

Dagegen lag die Gesamtzahl der bei Cherson gefallenen ukrainischen Soldaten laut MacGregor bei 20.000 und die dauerhaft kampfunfähigen Verwundeten schätzte er auf eine viermal höhere Zahl. Falls diese Expertenschätzung stimmt, stehen nun der ukrainischen Armee 100.000 Mann weniger an Reserven für die Schlacht um Bachmut und den Donbass zur Verfügung.

Aber auch in der Schlacht um Bachmut läuft es laut MacGregor für die ukrainische Seite nicht viel besser, wie er in einem Interview mit Judge Napolitano am 23. Dezember betonte. Damit scheint der US-Militärexperte einen auf einem Telegram-Kanal gefundenen russischen Lagebericht zu Bachmut zu bestätigen, der zumindest in der Tendenz sogar von einem Bericht der New York Times bestätigt wurde.

Über den Fleischwolf von Artjomowsk lautet der Lagebericht von 23. Dezember auf Telegram: Demnach habe sich „seit einiger Zeit rund um Bachmut eine interessante Situation entwickelt.“ Zunächst sei es ein kleinerer Konflikt gewesen, der eine größere Anzahl von ukrainischen Truppen gebunden habe, als eigentlich dafür notwendig gewesen wäre. Das habe das Angriffspotenzial der Ukraine an anderen Fronten noch nicht ernsthaft beeinträchtigt. Aber dann sei es zu dem „sinnlosen und blutigen Cherson-Abenteuer gekommen, das für einen erheblichen Teil des Verlustes an Soldaten und Material der ukrainischen Streitkräfte verantwortlich war. Wir sprechen hier von zwei ganzen Infanteriedivisionen und zwei voll ausgestatteten Panzer-Divisionen“. Das habe die Situation für die Ukraine „viel komplizierter gemacht.“ Dann führt der anonyme, aber offensichtlich sachkundige Autor des Lageberichts weiter aus:

„Nachdem Cherson vorbei war, das ein ganzes Armeekorps an ukrainischen Truppen verschlungen hat, hat die ukrainische Armee ihren Schwung verloren.“

Dabei spiele natürlich auch das Eintreffen neuer Einheiten aus Russland bei Artjomowsk (Bachmut) eine bedeutende Rolle, die Stadt wurde dadurch wieder zu einem Brennpunkt an der Front, so der Lagebericht. Es wurde zu „Cherson auf Steroiden“, nur die Rollen seien jetzt vertauscht:

„Diesmal greifen die Russen an, allerdings langsam, und – ich muss sagen – mit rücksichtsloser Effizienz bei der Beseitigung der ukrainischen Kampfkraft. Um eigene Verluste zu minimieren, gehen die Russen langsam vor, aber ihre unaufhaltsamen Fortschritte erzeugen im feindlichen Oberkommando extreme Angst. Dabei ist es nicht nur die Bedeutung der Stadt als solche, die der Armeeführung schlaflose Nächte bringt, sondern es sind wieder die großen Verluste, welche die ukrainische Armee hinnehmen muss.“

Man könne, so der Autor des Lageberichts, inzwischen von größeren Verlusten sprechen als die, welche die Ukraine bei Cherson erlitten hat. Einige Brigaden hätten bis zu 80 Prozent ihrer Kampfkraft verloren. Zerschlagene Reste von Einheiten werden regelmäßig von der Kontaktlinie nach hinten gezogen, um dort wieder mit neuen Leuten aufgefüllt zu werden. Einige Formationen seien „nichts anderes als Kampfgruppen, die aus Fetzen ramponierter Einheiten geschaffen wurden“.

Noch halte sich die ukrainische Armee, aber sie ziehe sich schrittweise von zahlreichen befestigten Punkten und Linien zurück, die es mit so viel Mühe gebaut habe. Das werde laut Verfasser dazu führen, dass dieses „Labyrinth von Verteidigungsanlagen“ zusammenbricht. Man habe bereits 30.000 Mann verloren und verliere jeden Tag mehr, „ohne merkliche Erleichterung oder nachlassendem Druck vom Feind“. Und so stellen sich dem Autor des Berichts einige kritische Fragen:

„Sollten wir hier weiter Widerstand leisten? Selenskijs Besuch (oder sein angeblicher Besuch am Tag vor seinem Flug nach Washington) in Artjomowsk scheint sicherzustellen, dass der Hunger des Fleischwolfs dort noch nicht gestillt ist. Die ukrainischen Soldaten sind verzweifelt. Anstelle von Kampfbrigaden (die ausgelöscht oder schwer ramponiert sind), stopfen schlecht ausgebildete und ausgerüstete ‚Territoriale Verteidigungseinheiten‘ die Löcher und bemannen die Frontlinien. Ja, sie sind gut darin, die Front so lange zu halten, bis sie alle tot sind. Sie werden geopfert, um die noch übrig gebliebenen, besser ausgebildeten ukrainischen Truppenteile vor der Vernichtung zu retten, wodurch die ukrainische Armeeführung Zeit gewinnt, um zu versuchen, Verluste aufzufüllen und Reserven (für eine weiter westliche, neue Verteidigungslinie) zu sammeln. Das aber wird inzwischen immer schwieriger.“

Eine weitere kritische Frage, die sich stellt, ist: „Was ist los mit den ukrainischen Truppen?“ Sie werden im Westen ausgebildet – ein beträchtlicher Teil von ihnen. Aber dennoch werden sie vernichtet. Warum? Der Bericht sieht einen der Gründe darin, dass die Mehrheit der westlichen Ausbilder die laufenden Kampfhandlungen für sogenannte „COIN“-Kriegsführung, also für die Aufstandsbekämpfung hielten. Das sei speziell in Artjomowsk wertlos. Die Verluste von Soldaten, so die Schlussfolgerung, zeige, dass die Ukraine auf die Art von Kampf, die tatsächlich stattfinde, „einfach nicht vorbereitet“ sei. Nichts könne einen wirklich auf den Kampf „vom Typ Erster oder Zweiter Weltkrieg“ vorbereiten. Eine Änderung der Infanterietaktik der Russen, die der Verfasser ausgemacht hat, – Schaffung kleinerer Kampfgruppen, die schnell und effizient handeln, Maximierung des dem Feind zugefügten Schadens – sei etwas, auf das einen niemand vorbereiten könne. Aufstandsbekämpfungstaktiken, in denen ukrainische Einheiten ausgebildet werden, seien bei dieser Art von Kriegsführung „einfach lächerlich“. Der Lagebericht schließt mit der Frage: 

„Die ukrainische Armee verteidigt jetzt mit den Zähnen und Klauen ihr Netzwerk aus befestigten Anlagen und Stützpunkten, die (von russischer Artillerie) einfach dem Erdboden gleichgemacht und dann von russischer Infanterie übernommen werden. Wie viele ukrainische Soldaten wird der Fleischwolf von Artjomowsk noch fressen?“

Anmerkung:

Siehe auch den Beitrag

im WELTEXPRESS.

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