Frankfurt am Main, Deutschland; Linz, Österreich (Weltexpress). Patrick Spieleder, geboren 1971, lebt in Lichtenberg, Österreich, wo er mit seiner Frau seit 1990 einen Pferdezuchtbetrieb mit Hengsthaltung, Fohlenaufzucht und Pferdetraining führt. Die eigenen Pferde und die Trainingspferde werden auf Turnieren vorgestellt und auf Wanderritten gefordert.
1996 erfolgte die Umstellung der eigenen Pferde auf physiologische Barhufhaltung nach Dr. Hiltrud Strasser. Seit 2000 ist die Hufklinik nach Dr. Strasser lizensiert. Seit 2004 verfügt Spieleder über gewerbliche Berufserfahrung als Hufpfleger und Hufschmied.
Seit 2005 ist er SHP-Ausbildungsleiter und Inhaber des Instituts für Hufgesundheit mit dem Zuständigkeitsbereich für die Republik Österreich und Tschechien. 2016 erweiterte sich der Zuständigkeitsbereich auf die Bundesrepublik Deutschland und die Schweizer Eidgenossenschaft. Seit 2017 ist die SHP-Ausbildung in der Schweiz staatlich anerkannt und FBA bewilligt (FBA Bewilligungs-Nr.: 16/0004).
Das Interview
Paschel: Lieber Patrick, es freut mich sehr, dass Sie sich zu diesem Interview bereit erklärt haben. Wie ich feststellen kann, bestehen nicht nur zwischen Huforthopäden/-pflegern und Hufschmieden Meinungsunterschiede und Konkurrenzen, sondern auch unter den verschiedenen Barhufpfleger-Schulen. Angeheizt wird das oft noch von einzelnen Pferdebesitzern, die z. T. diffamierend über die angebliche Konkurrenz in Internetforen Gerüchte verbreiten.
In der Schweiz wurde bereits die Ausbildung zum Hufpfleger nach SHP (Strasser Hoofcare Professional) staatlich anerkannt. In Deutschland gibt es nur eine staatlich anerkannte Ausbildung beim Hufschmied.
Wäre es nicht besser, alle Hufpflegerschulen in Deutschland würden an einem Strang ziehen, wenn man eine staatliche Anerkennung haben will?
Spieleder: Natürlich, wobei jede Schule ihre Individualität behalten sollte. Ich finde allerdings den Weg, wie er in der Schweiz gegangen wird, prinzipiell eine sehr gute Lösung! Eine Hufpflegeschule muss sich zertifizieren lassen und dadurch bekommen die Absolventen nach der Prüfung ein Zertifikat von der Schule mit dem sie in Folge ihr Gewerbe anmelden können.
Wobei man allerdings dabei bedenken muss, dass eine staatliche Anerkennung nicht automatisch eine Garantie für qualitativ hochwertige Arbeit mit sich bringt. In Österreich z. B. ist seit letztem Jahr die Hufschmiedetätigkeit in vollem Umfang frei. Gute Arbeit hängt wie in anderen Bereichen immer von der ausführenden Person ab. Pferdebesitzer sollten die Möglichkeit haben, sich den/die BearbeiterIn ihrer Wahl zu nehmen.
Paschel: Die weltweit gleiche Ausbildung zum SHP – Hufpfleger gibt es seit mehr als 25 Jahren. Sie wurde erstmals in Deutschland angeboten und hat sich seitdem in vielen Kontinenten und Ländern Europas etabliert. Die Ausbildung wird derzeit in deutscher, englischer, französischer, tschechischer und russischer Sprache angeboten.
Frau Dr. Strasser hat als Tierärztin und durch ihre jahrzehntelange Forschung in gewisser Weise eine natürliche Führungsposition in der Theorie der ganzheitlichen Hufbearbeitung.
Das gilt selbst bei Hufbearbeitern, die sich von Frau Strasser losgesagt haben und im Wesentlichen immer noch nach ihrer Methode arbeiten.
Kritik entsteht oft, wo Unwissenheit herrscht, nicht nur bei Pferdebesitzern, sondern auch bei legitimierten Hufspezialisten, die nie ein Buch von Frau Strasser gelesen haben.
Der von Frau Strasser und Ihnen geprägte Begriff „Heilungsschmerz“ bei der Abnahme der Hufeisen und der Korrektur des Bar- Hufes scheint mir z. B. ein Reizwort für Kritiker zu sein.
Was verstehen Sie unter Heilungsschmerz?
Spieleder: Solange ein Pferd mit guten gesunden, den inneren (lebenden) Strukturen entsprechenden Hufen gut laufen kann und auch belastbar ist, besteht kein Grund sie zu korrigieren. In diesem Fall entstehen auch keine Umstellungsschwierigkeiten oder „Heilungsschmerzen“.
Wenn ein Pferd, das physiologische Hufe hat, nach der Hufbearbeitung Schmerzen zeigt, z. B. lahmt, dann war an der Hufbearbeitung etwas falsch!
Anders ist es bei der Abnahme des Eisens und bei deformierten Hufen. Diese Hufe sind krank, daher kann das Pferd auch nicht genutzt werden, als ob es gesunde Hufe hätte. Meiner Ansicht nach ist die Nutzung solcher Pferde tierschutzwidrig!
Ein großer Denkfehler bei Pferden mit deformierten Hufen ist, dass es nach einer physiologischen Hufkorrektur nicht schlechter laufen „darf“, weil sonst die Bearbeitung falsch war.
In Wirklichkeit kann das Pferd aber nach einer physiologischen Bearbeitung die vorangegangenen unbemerkten Schädigungen (Deformierungen) durch Wiedereinsetzen der Durchblutung und der damit verbundenen Nerventätigkeit nun spüren! Das heißt, die Schädigungen sind schleichend und unbemerkt entstanden, weil die Hufe nie in die richtigen Proportionen gebracht wurden, bzw. die Hufe sich aufgrund der unphysiologischen Haltungsbedingungen über die Jahre deformiert haben.
Paschel: Das ist anzunehmen, aber der Begriff „Heilungsschmerz“ könnte vielleicht falsch verstanden werden, denn der Schmerz ist ja nicht ursächlich für die Heilung, sondern überwiegend die plötzlich verstärkte Durchblutung, die unterbrochen war durch Eisen oder Huffehlstellung. Wie wäre es mit „Heilungsbegleitschmerz“, den jeder Sportler kennt, der mit Verletzungen Erfahrungen gemacht hat?
Eine Veränderung der Statik führt oft zu vorübergehenden und chronischen Schmerzen, wo mittlerweile viel öfter als früher Bewegungstherapie verordnet wird. Auch Balletttänzerinnen oder Frauen mit High Heels kämpfen oft mit Schmerzen, wenn sie ohne Absätze laufen wollen. Bei einseitiger Belastung im Sport oder im Alltag kennt fast Jeder die typischen Schmerzen im Lendenwirbelbereich oder anderen Gelenken. Dazu gibt es den Begriff Signalschmerz, den Liebscher/Bracht geprägt haben. Schmerzen im Gelenk oder in den Knochen gibt es eigentlich gar nicht, da dort keine Schmerzrezeptoren sind, sondern von den zugehörigen chronisch angespannten Muskeln, wo sich die Schmerzrezeptoren befinden, geht eine Information über die Nervenbahnen an das Gehirn „Achtung, hier „Gelenkschmerz“, erzeugt durch eine Dysbalance der beteiligen Muskeln, die das Gelenk stabilisieren. Durch dieses Signal wird der Mensch darauf aufmerksam gemacht, die Dysbalance zu beheben, bevor ein nicht-reversibler Schaden entsteht.
Spieleder: Sie sprechen hier Schmerzen an, die in vielen Fällen bei Pferden permanent vorhanden sind, solange sich der unterste Knochen, das Hufbein, nicht in einer physiologischen Lage (bodenparalleler Hufbeinrand) befindet. D.h. es werden Muskeln zum Tragen verwendet, die für die Bewegung vorgesehen sind.
Beispiel: Solange Pferde mit einem Beinpaar gleich große Schritte machen, wird die Muskelverspannung nicht als Lahmen (Schmerz) erkannt.
Erst sobald das Pferd in einem Huf mehr Schmerzen als im anderen hat, wird das Lahmen als solches erkannt.
Paschel: Ist nicht ein Zeichen für Schmerzen in diesem Falle gegeben, wenn das Pferd sich widersätzlich zeigt beim Hochheben eines Hufes. Immerhin lasten dann ca. 300 kg auf dem gegenüberliegendem Huf.
Spieleder: Ja, zuweilen knicken solche Pferde sogar mit dem schmerzenden Standbein ein. In solchen Fällen bedarf es viel Feingefühl vom Hufbearbeiter. Auf die von Ihnen genannten Muskelverspannungen muss in Folge zusätzlich zur physiologischen Hufbearbeitung eingegangen werden, z. B. durch Physiotherapie usw…
Weitaus größere Probleme in der Umstellung bestehen aufgrund der Lederhautquetschungen, entstanden durch die unphysiologischen Hebel und Längen der Hornröhrchen im Huf. Bei diesen Lederhautquetschungen handelt es sich um totes Gewebe (abgestorbene, minderdurchblutete Lederhautbezirke), welches erst beim Wiedereinsetzen der Durchblutung in diesem Hufbereich vom Organismus erkannt und ausgeschieden wird. Als Folge kommt es zu Abszessen, die schmerzhaft sind.
Paschel: Leider wird es jetzt etwas fachlich und nur für Pferdefreunde interessant, die einer alten Pferdeweisheit zustimmen: „Ein Pferd ist nur so gut wie sein schlechtester Huf.“
Die Verantwortung für das Wichtigste, den Huf, geben die meisten Pferdebesitzer nahe zu 100% ab an den Hufschmied oder Hufpfleger leider mit dem Ergebnis, dass die Hufe nicht automatisch gut bearbeitet werden. Das bodenparallele Hufbein ist anscheinend unter Experten ein strittiger Punkt, mit dem wir uns genauer befassen müssen. Sehe ich es richtig, wenn man darunter versteht, dass beim Idealhuf die Sohle des Hufes, bzw. der Hornrand und der Hufbeinrand parallel sein sollen?
Spieleder:Ja, ein häufiges Missverständnis entsteht, weil man oft auf dem Röntgenbild den Strahlpolster bzw. die Sehnen und Bänder nicht sieht.
Bodenparallelität gilt für das Hufbein mit seinen inneren lebenden Strukturen!
Wie sie ja bereits erwähnt haben, sind der Hufbeinrand und Huftragerand parallel. Das findet man übrigens bei allen Huftieren, vom Reh, Zebra, Rinder… bis zum Pferd. Bei wildlebenden Pferden mit einem zu ihrem Huftyp passenden Boden und genügend Bewegungsreizen nützt sich die äußere Hornkapsel entsprechend den inneren Strukturen ab, d.h. das Hufbein hängt jederzeit bodenparallel in der Hornkapsel. Nicht ganz so verhält es sich bei gehaltenen Pferden, die einen Großteil ihrer Zeit aufgrund zu wenig Bewegungsreize und der Tatsache das 60% der Zeit mit Rauhfutteraufnahme verbracht wird, mit stationärem Stehen verbringen. Bei diesen Pferden kommt es in den meisten Fällen dazu, das aufgrund der nicht optimalen Bodenbedingungen und geringen Bewegung die Trachten schneller wachsen als die Zehe (zumindest bei den Vorderhufen). Das Hufbein hängt nun nicht mehr bodenparallel in der Hornkapsel. Durch eine physiologische Hufbearbeitung muss das Hufbein wieder in eine bodenparallele Lage gebracht werden, da so sonst die inneren Strukturen Schaden nehmen und die einzelnen Hornröhrchen ungleichmäßig und unphysiologisch belastet werden.
Wie zuweilen behauptet wird, dreht sich das Hufbein je nach Belastung mehr. Das bedeutet in Zahlen, ein 10 cm langes Hufbein mit um 5° höheren Hufbeinästen müsste um 9mm im Trachtenbereich absinken, damit es in eine bodenparallele Lage bei voller Belastung kommt. Wie sollte dann die Bearbeitung aussehen? Meiner Ansicht nach ist das in der Realität nicht umsetzbar, da sich die Bearbeitung nach der Bewegungsintensität richten müsste… Wie soll das funktionieren? Außerdem würde sich mit jedem Schritt die seitliche Aufhängung (Lamellenlederhaut) verwinden und zerren. Für mich ist diese Theorie nicht logisch nachvollziehbar, sondern das Hufbein kann sich nur in einer parallelen Bewegung absenken.
Wie oben erwähnt, verbringen Pferde einen Großteil ihrer Zeit mit der Heu- und Grasaufnahme, nicht mit dem Springen über Hindernisse. Während dieser Zeit würde dann der vordere Aufhängungsbereich kontinuierlich überlastet werden. Außerdem wachsen Hornröhrchen ohne physiologischen Gegendruck ca. 3mal so schnell und aus den 5° Rotation wird bei einem 4-wöchigen Bearbeitungsintervall ganz schnell 10° Rotation.
Ein Video von Prof. Pollitt, aus den Jahre 1992 zeigt sehr anschaulich wie sich das Hufbein bodenparallel absenkt. Warum dieses Video so oft falsch interpretiert wird kann ich nicht nachvollziehen.
Für interessierte Leser habe ich dazu einen Link, zu einem von mir produzierten Video, in dem man den Bewegungsablauf sehr deutlich sehen kann. (https://www.facebook.com/hufwissen/videos/1859535834311628/)
Außerdem ein Ausschnitt aus einem Video von Prof. Pollitt, in dem man sehr deutlich sieht wie sich das Hufbein bodenparallel absenkt. Ich habe das Hufbein durch 2 weiße Linien gekennzeichnet. (https://www.facebook.com/hufwissen/videos/1733975523534327/)
Paschel: Für viele Pferdebesitzer möchte ich stellvertretend eine vielleicht dumme Frage stellen. Wie erkenne ich an einem nicht geöffneten Huf, ob das Hufbein bodenparallel ist?
Spieleder: Diese Frage ist einfach zu beantworten und kann auch von den Lesern sehr einfach bei ihren Pferden kontrolliert werden. Man kauft sich ein 30° Dreieck und hält es an die Kronsaumhaarlinie. Hat der Kronsaum 30°, kann man davon ausgehen, das das Hufbein bodenparallel in der Kapsel hängt.
Paschel: Wie wichtig ist eigentlich die Wölbung in der Sohle?
Spieleder:Das ist ein äußerst wichtiger Punkt.
Ohne ein entsprechendes zur Wölbung des Hufbeins passendes Gewölbe kann keine Spreizung der Kapsel bzw. Abflachen der Sohle stattfinden.
Damit Pferde ein physiologisches Sohlengewölbe bilden können, benötigen sie Tag für Tag eine gleichmäßig hohe Bewegungsmenge auf einem für den Huftyp entsprechenden Boden. Da das wie man sich leicht vorstellen kann, für gehaltene Pferde kaum umsetzbar ist, müssen Hufe bearbeitet werden und immer wieder die physiologischen Proportionen durch einen Hufbearbeiter hergestellt werden. Umso besser die Haltungsbedingungen zum entsprechenden Huftyp passen, umso weniger muss der Huf korrigiert werden und umso gesünder ist der Huf. Mit anderen Worten, wir bearbeiten nur jene Bereiche an denen unphysiologisch zu viel Horn vorhanden ist. Das gilt natürlich auch für die Sohle. Ich muss mich an dieser Stelle wiederholen, nimmt das Pferd eine Schonhaltung ein, wachsen geringer belastete Hornbereiche ca. 3mal so schnell! Aussagen wie „Der Huf entwickelt sich für jedes Pferd individuell und passend“, werden gerne verwendet, um sich Hufdeformationen schönzureden… Sobald die inneren (lebenden) Strukturen nicht zu den toten Strukturen (Hornkapsel) passen, spricht man von Deformationen und diese verursachen Quetschungen der lebenden Strukturen!
Paschel: Frau Strasser wurde auch vorgeworfen, dass sie bei der Therapie der Rehe-Krankheit Fehler mache, die zum Hufbeindurchbruch führen würden, indem sie eine künstliche Wölbung in der Sohle erzeugt. Das kann ich überhaupt nicht verstehen, denn gerade bei dieser Krankheit ist sie ein Pionier und hat vielen Pferden geholfen, die schon halb beim Schlachter waren.
Spieleder: Ganz einfach, ein Hufbein bricht bei Rehehufen mit der Spitze durch, d. h. sobald das Hufbein in eine bodenparallele Lage gebracht wird, kann es nicht mehr durchbrechen. Durchbrechen kann das Hufbein nur, wenn die Trachten unphysiologisch zu hoch sind.
Paschel:Vielen Dank, lieber Patrick, dass ich wieder etwas lernen durfte, und ich hoffe, Sie haben einigen Kritikern geholfen und vor allen Dingen einige Pferdebesitzer motiviert, sich mit dem Huf etwas mehr theoretisch auseinander zu setzen.
Anmerkung:
Weiterführende Informationen unter hufwissen.com im Weltnetz.