Lisse, Holland (Weltexpress). Zur Zeit der Tulpenblüte wird das Land verzaubert durch eine verschwenderische Fülle von Farbtupfern. Holland befindet sich im floralen Ausnahmezustand und scheinbar das ganze Land unter Tulpen.
„Tausend rote, tausend gelbe …“ Die Sprache der Blumen zeichnet sich aus durch einen hohem Symbolwert. Dies trifft besonders zu bei persönlichen Herzensanliegen. Denen können sie zuweilen glaubhafter Ausdruck verleihen als das gesprochene Wort es vermag. Machte diese Erfahrung nicht bereits Suleyman der Prächtige, einer der mächtigsten Sultane im Topkapi-Palast am Bosporus?
Sein Harem war legendär und sicherlich auch dessen amourös aufgeladene Gefühlswelt. So reifte in ihm der Gedanke, in Liebesangelegenheiten auf Machtworte zu verzichten und dafür lieber Blumen sprechen zu lassen. Ganz besonders die neuen Tulpenzüchtungen aus seinen eigenen Gärten, wie sie weder seine Gespielinnen noch die Welt je zuvor gesehen hatten.
Goldenes Zeitalter
Belustigend bis peinlich wirkte allerdings die Ahnungslosigkeit im Abendland. Denn dort endete die erste Lieferung von Tulpenzwiebeln fast vollständig im Kochtopf des niederländischen Händlers. Erst der bescheidene Rest bildete die Grundlage für eine Welle der Begeisterung. Diese mündete wegen der ungewohnten Schönheit der Pflanzen ein in ein wahres Tulpenfieber.
In unzähligen Stillleben wurde die gestreifte „Rembrandt-Tulpe“ von den Malern des holländischen Goldenen Zeitalters für die Nachwelt festgehalten. Erstaunlicherweise entwickelten sich auch die Tulpenzwiebeln zu gefragten Objekten der Begierde. Erst das Platzen der riesigen Spekulationsblase an der Börse bereitete diesem Spuk ein Ende und hinterließ traumatisierte Anleger.
Urbild eines Tulpenhimmels
Der langfristigen Wertschätzung der Exoten aus dem Morgenland tat das jedoch keinen Abbruch. Im Gegenteil! Denn der damaligen Krise zum Trotz erhoben sich die neuen „Tulpen aus Amsterdam“ wie Phoenix aus der Asche. Somit stand der Fortsetzung ihres Höhenfluges bis in die Gegenwart hinein nichts mehr im Wege. Denn zweifellos lassen die heute allgegenwärtigen Tulpenfelder Rückschlüsse zu auf den wirtschaftlichen Erfolg, der in Höhe von vier Milliarden Euro jährlich mit ihnen einher geht. In langen farbigen Bahnen streben sie dem Horizont entgegen und scheinen dort mit dem Himmel zu verschmelzen.
Alle Wege durch die holländische Landschaft führen während der Frühjahrs-Blütenzeit nach Keukenhof. Für Blumenliebhaber aus aller Welt ist dies nicht nur das unumstrittene Eldorado der Gärtnerkunst, sondern zugleich auch die Eingangspforte zum Urbild eines perfekten Tulpenhimmels. Ein dem hohen Bedarf angepasstes modernes Eingangstor ist seit kurzem in der Lage, den nicht abreißenden Strom neugieriger Zuschauer zu kanalisieren. Die Zufriedenheit über diese gelungene Maßnahme ist der Keukenhof-Managerin Annemarie deutlich aus dem Gesicht abzulesen.
Pure Sinnenfreude
Und in der Tat: Nach Betreten des Parkgeländes herrscht die pure Sinnenfreude vor. Bei überwiegend fröhlichen Gesichtern, die angesichts der üppigen Blumenarrangements schnell auf Genussmodus umschalten. Überall beherrschen prächtige Kreationen aus Formen und Farben das Bild. Dazwischen stößt man auf unauffällig in die Parklandschaft eingefügte Pavillons, alle benannt nach den Mitgliedern der holländischen Königsfamilie. Diese informieren über die lange Geschichte des heimischen Tulpenanbaus oder präsentieren thematisch gestaltete Installationen rund um die Tulpenromantik.
Da darf natürlich die typisch holländische Windmühle nicht fehlen, die mit ihrer Pumpfunktion früher dazu beitrug, das „Land unter Wasser“ trocken zu legen. Ihre obere Plattform eröffnet eine großartige Vogelperspektive über das bunte Parkgelände hinweg. In ihrem Schatten werden auch die ringsum gelegenen Kanäle erkennbar, die mit kleinen Elektrobooten zu einem Ausflug einladen. Natürlich fällt der Blick dabei auch auf die bunten Felder außerhalb des Parks, auf denen Millionen von Blütenkelchen und Tulpenzwiebeln bereits darauf warten, in alle Welt verkauft zu werden.
Pflückgarten und Tulpenrestaurant
Wie das im kleinen Rahmen funktioniert, beschreibt Gärtnerin Annemieke in ihrer nahe gelegenen privaten Gärtnerei. Mit einem der schönsten Pflückgärten in der Region macht sie große wie kleine Blumenliebhaber glücklich, die für wenig Geld riesige Sträuße individuell für sich zusammenstellen dürfen. Natürlich sind auch die entsprechenden Tulpenzwiebeln erhältlich, mit denen jeder das soeben erlebte Blumenwunder im nächsten Frühjahr noch einmal persönlich nachvollziehen kann.
Abschließend lüftet Annemieke noch ein Geheimnis. Sie verrät, dass Teile ihres Tulpenangebots sich nicht nur zum Betrachten sondern auch zum Verzehr eignen. Das lässt sich nachprüfen in dem nahe gelegenen Restaurant „Die vier Jahreszeiten“, in dem Küchenchef Ton Freriks mit fantastischen Blumen-Kreationen auf dem Teller aufwartet. Dabei verbinden sich die Tulpen-Blütenblätter mit dem Gericht zu einer wundervollen geschmacklichen Intensität.
Dimensionen einer Auktion
Tulpen-Kulinarik spielt dagegen in der Blumen-Auktionshalle von Rijnsburg keine Rolle. Hier rollen, aufgestapelt auf zweistöckigen Transportwägelchen, bereits am frühen Morgen Unmengen von Blumenladungen mit der Präzision eines Uhrwerks zur Versteigerung an den zahllosen Bankreihen der Käufer vorbei. Im Auftrag der Produzenten versucht Auktionatorin Linda, Angebot und Nachfrage vermittelnd miteinander auszugleichen – was ihr mit sympathischem Tonfall auch mühelos gelingt.
Nicht weniger spannend geht es zu in den nicht minder riesigen Hallen des Blumengroßhändlers Dingemans Hoek. Unaufhörlich sausen hier kleine Elektrokarren durch die tief gekühlten Säle, um die von Großkunden gewünschten Sortimente umgehend zusammen zu stellen. Die Vorgänge greifen wie die Zahnräder eines Uhrwerks ineinander, denn wer wollte daran zweifeln, dass es bei Frischblumen keine Zeit zu verlieren gilt?
Floraler Wasserfall
Einen wunderschönen Abschluss bildet das traditionsreiche Haarlem mit seinem romantischen Flair. Jenes Städtchen, das mit seinen gewundenen Kanälen, seinen stilvollen Bauwerken und reich bestückten Museen sogar dem stolzen Amsterdam ein wenig das Wasser reichen kann. Auch hier sind rund um die zentral gelegene Bavo Kathedrale mit ihrer prächtigen Barockorgel die Tulpen nicht wegzudenken. Tragen sie doch bei zu einer liebenswürdigen Atmosphäre, wie sie besonders in den bezaubernden Innenhöfen, den berühmten Hofjes, zum Verweilen einladen.
Aber auch in den Innenräumen finden sich großzügig gesteckte Blumenarrangements. So zum Beispiel im Frans-Hals-Museum oder in der Neuen-Bavo-Kirche. In romantischer Jugendstilkulisse hängen hier im Frühjahr mehr als tausend Schnittblumen und mehrere tausend Blüten kaskadenförmig wie ein floraler Wasserfall vom vierzig Meter hohen Innenturm herab. Ein Blütensegen, der sich unmerklich in einen Blütenregen verwandelt und damit den floralen Ausnahmezustand erneut veranschaulicht.
Fotoreportagen:
Mehr von Dr. Bernd Kegel über den Keukenhof in der Fotoreportage: Der Keukenhof – ein Eldorado der Gärtnerkunst und über Haarlem in der Fotoreportage: Die Spaarnestadt Haarlem in Holland im WELTEXPRESS.
Reiseinformationen „Holland“:
Anreise: Von Amsterdam aus sind alle Ziele bequem mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen.
Reisezeit: Holland ist mit seinem kulturellen Angebot grundsätzlich ganzjährig zu bereisen. Unvergleichlich ist natürlich das Frühjahr als Zeit der Tulpenblüte.
Attraktionen: Keukenhof, Pflückgarten Noordwijk, Rijnsburg: Fam Flower Farm, Pflückgarten Hillegom, Haarlem: Frans-Hals-Museum.
Unterkunft: Noordwijk: Grand Hotel Huis ter Duin; Haarlem: Ambassador City Centre Hotel.
Essen und Trinken: Noordwijk: Hof van Holland Noordwijk und Beachclub O; Keukenhof: Kasteel Keukenhof; Lisse: Restaurant De Vier Seizoenen; Haarlem: By Tholen, Hofje Zonder Zorgen und Jopenkerk.
Auskunft: Niederländisches Büro für Tourismus & Convention (NBTC), Richmodistraße 6, 50667 Köln, Telefon: 0221-92042183, Web: www.holland.com.
Anmerkungen:
Vorstehender Beitrag von Dr. Bernd Kregel ist eine Erstveröffentlichung im WELTEXPRESS. Die Recherche wurde unterstützt vom Niederländischen Büro für Tourismus und Kultur.