„Eine Dame bin ich vielleicht”¦“ sagt Hildegard Hamm-Brücher in einem Interview des Bayerischen Rundfunks zu ihrem 90. Geburtstag, über das Attribut „große alte Dame der FDP“. Lachend sagt sie: ”¦weder bin ich besonders groß, noch fühle ich mich besonders alt“. In meiner Kindheit und Jugend war sie ein fester Bestandteil der deutschen Politik. Zurückblickend könnte ich sagen, dass wir damals PolitikerInnen von der Qualität einer Hamm-Brücher, eines Willy Brandts und Helmut Schmidts nicht wirklich zu schätzen wussten, bzw. für selbstverständlich hielten. Wo sind sie, diese unbeirrbaren, gebildeten und wegweisenden Leitbilder?
Zurück zur Jubilarin, die ich also jetzt nicht „Grand Dame“, sondern „Lady“ nenne, denn sie hat eine herausragende Bezeichnung verdient, die ihrer Aura entspricht. Ich frage mich gerade, welches Attribut man in dieser Hinsicht für Frau Merkel finden könnte”¦? Zur Haltung, die auch politisch „ladylike“ war, sei kurz daran erinnert, wie Hamm-Brücher 2002 aus der FDP austrat: „In einer zur rechten Volkspartei a la Möllemann gestylten FDP kann ich keine Spuren aufrechter Liberaler mehr entdecken“, schrieb sie damals. Einige Monate später trat sie wegen fortgesetzter rechtspopulistischer und antijüdischer Äußerungen des Parteivize Jürgen Möllemann unter Duldung von Guido Westerwelle nach 54 Jahren Parteizugehörigkeit aus. Seither bezeichnet sie sich als „freischaffende Liberale“. Ich erinnere an Lady Hamm-Brücher immer dieses strahlende Lachen, sie war immer direkt und konkret, wie in ihrem Kommentar um das Brauchtum, beispielsweise. Da sagt die Wahl-Münchnerin: „Brauchtum als Krampf und Dirndlpflicht liegt mir nicht. Ein Dirndl habe ich höchstens beim Starkbieranstich getragen“. Immer wieder wurde sie gefragt, wie die zweifache Mutter denn Kinder und Karriere unter einen Hut bringe. Und wer sie erziehe, wenn die Mama nicht daheim sei? Auf die Frage antwortete die Tochter damals: „Bei uns daheim wird nicht erzogen“. Und um die Polit-Lady durch noch weiter zurück liegende Ereignisse zu zeichnen, soll hier erwähnt werden, dass die Enkelin einer Jüdin im 2. Weltkrieg zum erweiterten Kreis der Widerstandsgruppe die Weiße Rose gehörte. Sie arbeitete im selben Labor wie der Student Hans Leipelt, der 1943 zusammen mit den Geschwistern Sophie und Hans Scholl von den Nazis hingerichtet wurde. „Falls ich diese Nazizeit überstehe, habe ich mir vorgenommen, mein Leben dafür einzusetzen, wofür meine Freunde sich geopfert haben“, wird sie zitiert.
Das alles ist Hildegard Hamm-Brücher! Man kann sich unschwer vorstellen, dass eine solche Frau, eine solche Politikerin sich in der heutigen FDP nicht mehr wiederfindet. Unbegreiflich, was Möllemann und Westerwelle aus dieser Partei, besser gesagt, aus der liberalen Idee, gemacht haben. Die jetzige, neue FDP-Führung nennt sie „lammfromm“.
Eine junge Chemikerin, die nach dem Krieg ihrer journalistischen Leidenschaft nachging und bei der „Neuen Zeitung“ unter Erich Kästner arbeitete und ein Interview, das vielleicht verantwortlich dafür war, dass sie in die Politik ging. Nachdem sie ihn interviewt hatte, soll Theodor Heuss zu ihr gesagt haben: „Mädle, Sie müsset in die Politik!“ Und wir wie wissen, tat sie das dann auch! Sie setzte Zeichen und hinterließ Spuren, mehr als ein halbes Jahrhundert lang und tut es immer noch. Nun fordert sie als „Freischaffende Liberale“ einen Demokratie-Watch! Was das ist? Ein Diagnostikprogramm, um heraus zu finden, was unserer Demokratie fehlt und warum sie dahinsiecht, erklärt sie in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“. „Eigentlich müsste das der Bundespräsident machen“, sagt sie da. Aber der habe ja ein Parteibuch. „Ich bin aber frei und kann es tun“, sagt die frischgebackene 90-Jährige, die sich gerade von einem Oberschenkelhals-Bruch erholt und straffe Reha-Trainings-Programme absolviert und sich über diesen ihren momentanen eher belustigt äußert.
Herzlichen Glückwunsch zum 90. Geburtstag, Lady Hildegard Hamm-Brücher – wir haben am selben Tag Geburtstag – bleiben Sie uns bitte noch lange erhalten!