Hetzplakate und Hassbanner, Schmähschriften und Gewaltexzesse bedrohen die Fankultur im Fußball – Die Dachorganisationen zeigen wenig Initiative

Anhänger von Hertha BSC 2013 im Berliner Olympiastadion. © Foto: Hans-Peter Becker, Aufnahme: Berlin, 10.8.2013

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Am vergangenen Wochenende vor dem Fußball-Bundesligaspiel Hertha BSC gegen Eintracht Frankfurt kam es vor Anpfiff vor einer Stammkneipe der Hertha-Ultras in Berlin zu einer Massen-Schlägereien beider Fangruppen. Polizei, Festnahmen, Verletzte. Zuvor in Karlsruhe waren Union-Fans aus Berlin von der Polizei rechtzeitig gestoppt worden, die sich mutmaßlich mit KSC-Fans zu einer Schlägerei „verabredet“ hatten.

Beschlagnahmte Kampfhandschuhe, Sturmhauben, Pyrotechnik, Drogen im Gepäck von Dortmunder Ultras auf dem Weg zum Auswärtsspiel in Darmstadt. 88 Stadionverbote für ein halbes Jahr. Und schließlich der Gewaltexzess von Dortmunder Fanatikern Anfang Februar mit Werfen von Steinen und Flaschen sogar auf inder und Frauen aus dem angereisten Fan-Tross von Rasenballsport Leipzig. Im Stadion wurden auf der „Südwand“-Stehtribüne Hassbanner und Schmähschriften übelster Art gegen die Gäste gezeigt.

„In solche hasserfüllten Fratzen habe ich noch in keinem meiner Polizeieinsätze gesehen. Ich bin schockiert“, erklärte Edzard Freyhoff, Einsatzleiter der Dortmunder Polizei. Erklärungen reichen nicht!

Die Öffentlichkeit reagierte über diese Orgie des Hasses mit Empörung, Entsetzen und Fassungslosigkeit. Empörung reicht nicht!

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) musste einschreiten und verhängte gegen Borussia Dortmund eine Geldstrafe von 100 000 Euro. Das ist ein Witz! Außerdem verhängte der DFB eine einmalige Sperre gegen die „Wand“, deren Kapazität von 25 000 Zuschauern gern mit dem Superlativ der größten Stehplatztribüne der Welt versehen wird. Ein Spiel Sperre? Ein Witz!

Parallel zu gewalttätigen Auseinandersetzungen oder den Versuchen dazu sind auch die verbalen Hemmschwellen bei Plakaten, Bannern, Schriften und Transparenten unsäglichster Art alltäglich geworden.

So wurden am Hamburger Millerntor beim Zweitligisten FC St. Pauli die angereisten Dresdener mit folgendem Willkommensgruß schockiert: „Schon eure Großeltern haben für Dresden gebrannt – gegen den doitschen Opfermythos“. Peinlich? Pervers!

Für den Bezug auf die Bombenangriffe der Alliierten auf Dresden 1945, die sich in jenen Tagen zum 72. Mal jährten, entschuldigte sich St. Pauli bei Dynamo Dresden später und zwar für diese „Verhöhnung der damaligen Opfer“. Während der Zweitligabegegnung schwiegen die Verantwortlichen und griffen nicht ein.

Dies passierte auch nicht bei Borussia Mönchengladbach. Ein Verein, der bislang weniger durch Aktionen von Ultras oder Hools auffiel.

Doch wenn es gegen RB Leipzig geht, dann scheinen auch bei Borussen-Fans alle Hemmungen außer Kraft gesetzt. Den Leipziger Anhängern wünschten die MG-Ultras jedenfalls: „Wir verurteilen jeden geworfenen Stein“ sowie mit der Anschlusszeile “der Euch Kunden nicht getroffen hat“.

Weder der Stadionsprecher noch die Vereinsführung haben auf dieses üble Hetze während des Spiels reagiert. Schlimmer noch! Tags darauf äußerte sich der Leiter Medien/Kommunikation der Borussia, er rechne nicht mit einer Bestrafung. Das wäre auch verfehlt! Verfehlt? Der Mann und andere bei Borussia Mönchengladbach sind fehl am Platz.

Generell wird der Umgang mit Schmähungen aller Art, mit Hetze und Hass auf Transparenten und Bannern erstaunlich lax gehandhabt. In Papiermedien oder in Neuen Medien sowie in sozialen Medien wird oft lediglich von „geschmacklosen Plakaten oder Sprüchen“ gesprochen. Geschmacklos? Hetze muss man Hetze nennen.

Hass und Hetze werden mit dem Hinweis auf freie Meinungsäußerung verharmlost. Das Eingreifen von Polizei- und Ordnungskräfte wird als überzogen bewertet.

Verharmlosung und Verständnis für Aktionen der Fans, für das Ausleben der sogenannten Fankultur, das finden wir bei Verantwortlichen. Und das ist zu wenig.

Die Schließung der Südtribüne rief in den sozialen Netzwerken ein lebhaftes Echo hervor. Pro und Kontra hielten sich die Waage. Wahnsinn!

Häufig verwiesen die Gegner der Sperre auf eine unberechtigte „Kollektivstrafe“. 24 800 Unschuldige würden bestraft. Dabei galt die Sanktion dem Hausherren und nicht den Zuschauern.

Auf einem Portal wurde BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, der mit Sticheleien gegen Rasenballsport Öl ins Feuer der Anti-Leipzig-Stimmung gegossen hatte, aufgefordert, er solle sich den Mund und die Kritik am RB-Modell nicht verbieten lassen. Er habe zudem nie zu Straftaten aufgerufen, behaupten manche. Jüngst gab es sogar Morddrohungen gegen Watzke. Unklar sind die Urheber.

Ein angeblicher Fan-Forscher erklärte, ein Banner mit „Bullen klatschen“ sei keine Grenzverletzung, sondern Ausdruck einer allgemeinen und durchaus zulässigen Haltung. Erst wenn konkret zum Angriff auf Polizisten – zum Beispiel „Pflastersteine auf Bullen“ – animiert werde, sei eine Grenze überschritten. Das ist genau so dumm, als würde er behaupten, „Juden vergasen“ sei keine Grenzverletzung, sondern Ausdruck einer allgemeinen und durchaus zulässigen Haltung … und erst mit „Juden im KZ vergasen“ eine Grenze überschritten. Fan-Forscher? Verharmloser!

Als die Polizei die Fan-Betreuer der Dortmunder Borussia bei der Video-Auswertung um Mithilfe bei der Identifizierung bat, lehnten diese ab. In der Arbeit mit den Fans müsse Vertraulichkeit gewahrt bleiben, sonst würde das Vertrauensverhältnis zerstört. Diese Fan-Betreuer werden zu Schreibtischtätern.

Dass der DFB und die Deutsche Fußball-Liga (DFL) auf den Dortmund-Skandal auffällig wenig offizielle Reaktionen zeigten, lässt vor allem zwei Deutungen zu: Für diese beiden Dachorganisationen gehören Randale zu „normalen“ Begleiterscheinungen des Unterhaltungsspektakels Fußball. Und man hat keine wirklich nachhaltigen Konzepte, um dem Übel von Gewaltexzessen und Vandalismus wirksam zu begegnen.

Zudem hat man die Fan-Bewegung aus wirtschaftlichen Gründen gefördert. Denn jeder neue Fan ist ein potentieller Zuschauer und Käufer der Fan-Utensilien. Das ist ein nicht unerheblicher Faktor für Umsatz und Profit.

Nachdem es bei der Partie Hertha BSC gegen Bayern München allem Anschein nach Spuckattacken und Pöbeleien gegen den Münchner Trainer und gegen die Schiedsrichter gegeben hatte, erklärte FC-Bayern-Vorstand Karl-Heinz Rummenigge: „Ich habe das Gefühl, dass die Verrohung, die wir in vielen Bereichen unserer Gesellschaft beobachten, zunehmend auch den Fußball heimsucht. Das ist ein Phänomen, das es in diesem Ausmaß so noch nicht gegeben hat.“ Carlo Ancelotti zeigte dem Hass von Herthaner auf der Ehrentribüne den erhobenen Mittelfinger. Der sonst im Auftreten absolut korrekte Ancelotti bedauerte seine Geste, gab diese dem DFB-Kontrollausschuss gegenüber zu und erklärte sich bereit, als Strafe 5.000 Euro für einen gemeinnützigen Zweck zu spenden. Was aber machen die Verantwortlichen von Hertha BSC?

Rummenigges Einschätzung wird übrigens statistisch belegt. In der vergangenen Saison war die Zahl der Festnahmen um 28 Prozent auf 13.500 gestiegen. Mehr als 1.300 Menschen wurden verletzt. Es gab 8.000 Strafverfahren.

Ein Strafschwerpunkt stellen auch die Fan-Sonderzüge dar. Da gibt es Vandalismusschäden zum Nachteil der Deutschen Bahn sowie immer wieder gewalttätige Angriffe auf Bahnangestellte und Polizeikräfte.

Die Zentrale Ermittlungsabteilung der Polizei (ZIS) für kriminelle Delikte im Fußball-Umfeld geht bundesweit von 13.600 gewaltbereiten, größtenteils bekannten Fußball-Randalierern aus. Das ist die vermutete Zahl. Die tatsächliche Zahl dürfte höher liegen. Dabei unterscheiden die Spezialisten der Polizei Fans der Kategorien A, B, C – friedfertig, gewaltbereit, gewaltsuchend.

Die sich aus Italien Anfang der 1990er Jahre in den Rest Europas ausbreitenden Ultra-Gruppierungen gehören aus organisatorischen Gründen – Ticketerwerb, Sonderzüge u.ä. – meist zum durchaus heterogenen Fanbereich der Vereine. Lassen sich aber oft von Fanprojekten oder Fanbetreuern nicht in ihrer radikalen Haltung beeinflussen oder steuern. Siehe die große Fangemeinde bei Borussia Dortmund, wo sieben angestellte Fanbeauftragte nicht verhindern können, dass in Splittergruppen extrem gewaltbereite Mitglieder mit rechtsradikalen Einstellungen aktiv sind. Die Borussenfront der 1980er Jahre lässt grüßen. Borussenfront beseitigt? Borussenfront reloaded!

Ultras sind besonders fanatische Anhänger eines Fußball-Unternehmens. Ultras fühlen sich kompromisslos als alleinige Bewahrer einer urbanen und echten Fußball-Zuneigung. Sie betonen den Stellenwert von Traditionen, wenden sich gegen Kommerzialisierung und akzeptieren meist nicht das Wirken der Funktionäre im Unternehmen, in der DFL und im DFB. Letztere Organisationen gelten als erklärte Feindbilder. Ultras bestimmen oft die Atmosphäre im Fanblock mit Vorsängern, Transparenten und Choreografien. Ultras organisieren auch ohne Abstimmung mit den Fanbetreuern Aktionen nach ihren Vorstellungen. Sie beanspruchen Autonomie, Wortführerschaft und Meinungsbildung unter den Fans auf sektenartige Art und Weise. Ultras solle ihre Mannschaft und Marke immer und überall bedingungslos unterstützen.

Bestens Beispiel in Berlin für die versuchte Einflussnahme war der öffentlich ausgetragene Streit über die neuen Auswärtstrikots bei Hertha BSC. Pink sollten die sein. Eine Gruppe der Ultras warf der Führung bei dieser Abkehr von den Farben Blau-Weiß – wie bei Heimspiel gezeigt und getragen – einen Traditions-Verrat aus kommerziellen Gründen vor. Sie brachten mit massiven Wortmeldungen in den sozialen Netzwerken einen Teil der Anhängerschaft auf ihre Seite.

Vom harten Kern der gewaltbereiten Ultras unterscheiden sich sogenannte Fußball-Hooligans nur marginal. Wobei Hools Fußballspiele primär als willkommene Kulisse für Gewalt, Schlägereien und Randale sehen. Während die Fußball-Unternehmen als Hausherren für Sicherheit und Ordnung im Stadion mit Aufstockung des Sicherheitspersonals sowie bei Einlasskontrollen reagiert haben, gibt es über den erhöhten Einsatz von Polizeikräften beim Geschehen außerhalb des Stadions Konflikte mit den Kommunen.

Denn bei der polizeilichen Absicherung bei sogenannten „Risiko- oder Hochrisiko-Spielen“ von der ersten Bundesliga bis hin in die vierte Liga (Regionalliga) kommen mehr als eine Millionen Einsatzstunden zustande. Das entspricht den Dienstzeiten von 1150 Vollzeitkräften übers Jahr und zwar nur für die Begleitung und Absicherung der Unterhaltungsbranche Fußball mit Milliardenumsätzen. Müssen alle Steuerzahler dafür aufkommen?

Verantwortliche Kommunalpolitiker sehen in diesen Einsätzen eine Zweckentfremdung von Kapazitäten der Polizei, die anderswo gebraucht würden, beispielsweise im öffentlichen Nahverkehr, bei der Abwehr von Einbrüchen und Diebstähle u.v.m. Sie wollen daher die Fußball-Unternehmen mit ihren Millionenumsätzen zur Kasse bitten. Deren Manager argumentieren, man zahle Steuern und für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung sei im Allgemeinen der Staat zuständig. Man darf gespannt sein, zu welchem gerichtlichen Ergebnis die Inrechnungstellung der Stadt Bremen an die DFL 2015 und 2016 für erhöhten Polizeieinsatz in Höhe von insgesamt mehr als 600.000 Euro führen wird.

Die DFL hat dies Bezahlung der Rechnung abgelehnt und will, wie die Innerverwaltung der Hansestadt mitteilte, durch alle Instanzen klagen, notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht.

Fußball als „schönste Nebensache der Welt“ war einmal. Heutzutage ist aus dem Spiel mit der Lederkugel eine Ware und ein Spektakel mit Kunststoff-Flugobjekten geworden. Fußball ist ein Milliardengeschäft und einige Unternehmen gelten als Global Player im breit gefächerten Spektrum der Sport- und Unterhaltungsbranche. Deshalb werben die Fußball-Unternehmen um möglichst große Fan-Anhängerschaft. Die aber sind mit ihr die vielzitierte Fankultur aus den Fugen geraten. Eine viel zu große Minderheit – vor allem Ultras und Hooligans – überschreitet immer wieder massiver jegliche Grenzen des Anstands und des Respekts vor anderen durch üblen Hass und schlimme Hetze sowie Gewaltexzessen.

Für die staatlichen Stellen wir des Zeit, die Würde des Menschen auch im und um das Stadion zu verteidigen.

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