Besonders die (teils möglicherweise unfertigen) Gedichte aus dem Nachlass haben es mir angetan. Diese fragilen, rohen Monologe. Gleichwohl lugt immer ein beflügelter HM aus den Zeilen hervor. Ab Seite 475 beginnen die Anmerkungen der Herausgeberin, und sie sind das eigentliche Überschmankerl des Bands. Die nächsten zweihundert Seiten sind der Entstehungsgeschichte und den Varianten der Gedichte gewidmet. Des Weiteren erfahren wir, wann und wo Müller einzelne Teile des Gedichts zitiert und in andere Zusammenhänge eingeflochten hat. Das fördert die Lesefreude ungemein – allein für diese Fleißarbeit gebührt der Herausgeberin unendlicher Applaus. Im Bildteil haben es fünf Entwürfe und Typoskripte in den Band geschafft, ich hätte gern noch mehr gesehen, aber fünf sind besser als gar keine.
Mitreißende Dichtung, großartiges Präsent, voll satter Denkkraft, provokativem Geist und guten Worten. In diesem Sinne: „Unter dem Raum unter der Zeit/Unter dem Raum der Geschichte/Unter der Zeit des Menschen/Ist der Raum ist die Zeit des Gedichts“.
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Heiner Müller, Warten auf der Gegenschräge – Gesammelte Gedichte, Kristin Schulz (Herausgeber), Suhrkamp Verlag, Berlin 2014, 675 Seiten, ISBN: 978-3-518-42441-4, Preise: 49,95 € (D), 51,30 € (A), 66,90 sFr (CH)