Berlin, Deutschland (Weltexpress). Sportlich soll es mindestens bis ins Halbfinale gehen. Finanziell erwartet der Deutsche Handball-Bund (DHB) einen Gewinn von mehr als 250 000 Euro, womit das Minus aus der der zurückliegenden Frauen-WM getilgt würde. Aber vor allem erhoffen sich die Organisatoren von der WM vom 10. bis 27. Januar 2019 in Deutschland und Dänemark einen positiven Schub für ihre Sportart.
In punkto medialer und öffentlicher Wahrnehmung möchte sich der DHB mit seinen mehr als 734 000 Mitgliedern als Nummer zwei hinter Fußball behaupten. Vor den Basketballern (mehr als 203 000) und den Eishockeyspielern (rund 26 000), die trotz deutlich geringerer Mitgliederzahlen in der Publikumsgunst den Handballern kaum nachstehen. Beispielsweise gibt es auf Sport1 regelmäßig TV-Live-Übertragungen von deren Bundesligen, nicht aber von der „stärksten Handball-Liga der Welt“.
Das nun jedoch ARD/ZDF in der Winterpause des Fußballs die WM-Auftritte von DHB-Kapitän Uwe Gensheimer und Co. komplett übertragen und dies auch von jeweiligen EM und WM der Männer bis 2022 vertraglich zugesichert haben, darf im Mutterland des Handballs (die Variante in der Halle wurde zuerst in Skandinavien praktiziert) als gelungener Coup gewertet werden.
In der Absicht, sich möglichst attraktiv zu präsentieren, haben sich die DHB-Macher bei den vier deutschen Spielstätten für Großstädte mit Großarenen entschieden: Berlin, wo am morgigen Donnerstag das Eröffnungsspiel des Gastgebers gegen eine gemeinsame Vertretung von Nord- und Südkorea angepfiffen wird, Köln, München und Hamburg.
Die traditionellen Handball-Hochburgen Kiel, Flensburg, Mannheim, Magdeburg sind außen vor.
Dennoch will die DHB-Auswahl die Zuschauer auf ihre Seite ziehen und ähnlich wie bei der triumphalen Heim-WM 2007 eine allgemeine Handball-Euphorie schüren.
Nicht weniger als von einem erneuten Handball-Wintermärchen ist die Rede und eine renommierte Berliner Zeitung forderte gar von den Schützlingen des Bundestrainers Christian Prokop, Deutschland brauche nun neue (Handball-)Helden-Geschichten…
Ob den besten deutschen Handballern damit nicht ein bisschen zu viel abverlangt wird – die kommenden Tage und Begegnungen werden es zeigen.
Nicht ohne Risiko ist das Entfachen der Handball-Begeisterung bis hin zu einem überdrehten Hype, wenn man sich die enttäuschenden 9. Ränge bei der WM 2017 bzw. der EM 2018 in Erinnerung ruft.
Handball-Legende Heiner Brand, als Spieler wie als Trainer 2007 Weltmeister geworden, aus Gummersbach sagt, die heutige Auswahl sei eine starke Mannschaft. Die natürlich mit dem Publikum im Rücken, „auch Weltmeister werden kann“. Aber er sagt auch, dass in der aktuellen Besetzung Akteure mit Führungsqualitäten fehlen würden.
Und mit dem 40-jährigen Leipziger Christian Prokop ein relativ unerfahrener Trainer die Verantwortung die Verantwortung trage.
Prokop war nie wie Brand selbst Nationalspieler. Er hat den SC DHfK in die Bundesliga und dort in einen Anschlussbereich zum Spitzenquartett geführt. Im Vorjahr scheiterte er mit dem Versuch, die Nationalmannschaft nach einem am Computer erdachten schnellen und modernen Handball spielen zu lassen. Weil die Vorbereitung zu kurz war, weil die Spieler den ungewohnten Anforderungen nicht gerecht wurden. Und dann beispielsweise während eines Spiels eigenmächtig das Abwehrsystem änderten…
Danach stand sogar die vorzeitige Beendigung seines fünfjährigen Vertrages (bis 2022!) auf der Agenda. Doch Prokop kämpfte um die Weiterbeschäftigung, zeigte sich selbstkritisch und gestand offen Fehler ein. Nachdem angeblich auch die Differenzen mit einigen Spielern ausgeräumt waren, gab das DHB-Präsidium grünes Licht für seine Jobverlängerung.
Zwei Klasse-Torhüter und drei Kleiderschränke
Zuvor hatte noch der einflußreiche DHB-Vizepräsident Bob Hanning, der Geschäftsführer der Berliner Füchse gilt als Fürsprecher Prokops, mit Rücktritt gedroht für den Fall, das Gremnium würde für Prokops Entlassung votieren. Hanning hatte für sein ehrgeiziges Projekt „Olympiasieg 2020 in Tokio“ die Zustimmung der Verbandsspitze gefunden, was bei Prokops Entlassung vorzeitig gefährdet wäre.
Diese Konstellationen erhöhen den Druck auf das Duo Prokop/Hanning. Deren Schicksal liegt in den Händen eines Aufgebots, das man zu den sechs bis sieben Kandidaten auf einen Medaillenrang rechnen darf. In Favoritenposition aber eher Titelverteidiger Frankreich, Olympiasieger Dänemark und die spielstarke Formation der Spanier.
Die deutsche Mannschaft vertraut auf ihre speziellen Qualitäten in der Defensive. Das Torhütergespann Andreas Wolff und Silvio Heinevetter bilden mit dem Mittelblock durch Hendrik Pekeler, Finn Lemke und Patrick Wiencek – allesamt 2 m bis 2,10 m groß und mehr als 100 kg schwer – einen nur schwer zu überwindendes Bollwerk. Deren Ballgewinne wiederum ermöglichen den Außen Uwe Gensheimer und Patrick Groetzki schnelle Gegenstöße und die sogenannten leichten Tore.
Bei Positionsangriffen im Modus 6:6 oder 7:6 verfügen andere Mannschaften wohl über ein größeres Repertoire.
Fußballer als WM-Botschafter
Die WM wird in der Vorrunde mit 24 Teilnehmern in vier Sechsergruppen gespielt. Die ersten Drei gelangen in zwei Sechser-Hauptgruppen unter Mitnahme der Vorrunden-Ergebnisse. Aus den beiden Hauptrunden (Köln) erreichen die beiden Ersten die Halbfinals (Hamburg). Die Finals werden dann in Dänemark (Hernig bzw. Kopenhagen) ausgetragen.
Als Kuriosum anzumerken wäre noch die Tatsache, dass in den deutschen Spielorten Profis des „großen Bruders“ Fußball und ein Hockey-Star als WM-Botschafter gewonnen wurden: Bayern-Profi Javier Martinez in München, Lukas Podolski (derzeit in Japan tätig) für Köln, Hockey-Olympiasieger Moritz Fürste in Hamburg sowie die beiden Ex-Fußballer Torsten Mattuschka (1. FC Union) und Andreas „Zecke“ Neuendorf (Hertha BSC) in der Hauptstadt.
Diese Vereinnahmung ist ganz im Sinne von Hannings sehnlichstem Wunsch: „Wir wollen unseren Sport als Nummer eins der Teamsportarten hinter dem Fußball festigen und den Abstand zu den Fußballern verringern.“