Handball-EM 2018 in Kroatien: Bundestrainer Christian Prokop hat „viel gelernt“

DHB-Trainer Christian Prokop.
Berlin, 23. Oktober 2017. Christian Prokop, Trainer der Handballer der deutschen Männer-Nationalmannschaft posieren für Portraits vor weißem Hintergrund im Studio. © Foto: Sascha Klahn/DHB

Varazdin, Kroatien; Berlin, Deutschland (Weltexpress). Wenn es stimmt, dass Bundestrainer Christian Prokop bei der Handball-EM in Kroatien das Abschlusstraining vor der 27:31-Pleite gegen Spanien vorzeitig abgebrochen hat, weil ihm Einsatz und Bereitschaft der Spieler missfielen, dann gab es tatsächlich mehr als „atmosphärische Störungen“ im Verhältnis Trainer und Mannschaft.

Jene Störungen aber sind öffentlich jedoch von Prokop wie von Spielern dementiert worden. Der Vorfall würde auch nicht zu der Erklärung von Verbands-Vizepräsident Bob Hanning nach dem Scheitern des Titelverteidigers und Rang neun passen, in einer knallharten Analyse werde alles schonungslos hinterfragt. Sein Agieren und das der Trainer und Spieler.

Aber einen Tag später – also vor der gründlichen Aufarbeitung – liefert Hanning ein unerschütterliches Treuebekenntnis zu dem 39-jährigen, jüngsten Bundestrainers aller Zeiten ab. Prokop stünde nicht zur Disposition und man habe das Ziel, mit ihm bei der WM 2019 in Deutschland und Dänemark und zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio weiter zu arbeiten. Dort Gold zu gewinnen gehöre zu den „unverhandelbaren Visionen“.

Hannings Versprechen eine Fehleinschätzung

Vermutlich ist Hannings Vorliebe für vollmundige Ankündigungen und Aussagen geschuldet, dass die deutschen Medien – nicht nur Papier, sondern auch das Fernsehen – das Turnier ungewohnt kritisch begleiteten. So erklärte der 49-jährige, hauptberuflich Geschäftsführer der Berliner Handball-Füchse, nach den ersten wackligen EM-Auftritten als Replik auf kritische Berichte, er sei 1000-prozentig von der Person des Bundestrainers überzeugt. Und vor dem Anpfiff des desaströsen Spiels gegen Spanien ließ er keinen Zweifel: „Aber wenn wir tatsächlich ein Endspiel gegen Spanien bekommen sollten, kann ich versprechen, dass wir es gewinnen.“

Es kam bekanntlich anders

Die Handball-EM – ein Risiko-Unternehmen für den Bundestrainer Christian Prokop und dessen Förderer Bob Hanning, hatte der WELTEXPRESS vor der EM in Kroatien geschrieben.
Und leider recht behalten. Allerdings fiel dann das Scheitern drastischer aus, als man sich denken konnte.

Der Taktik-Fuchs hat sich verpokert

Als nicht erfolgreich erwies sich Prokops Vorhaben, die Abwehr von einem meist defensiven 6:0-Verbund zu einem Offensivverband mit ständigem Heraustreten und Balleroberung umzustellen. In Leipzig, beim Bundesligisten SC DHfK, hatte er diese moderne Variante über Wochen und Monate entwickeln können. Diese Zeit gab es aber für die Nationalmannschaft nicht. Und so häuften sich Abstimmungsfehler, die Prokop mit häufigen Wechseln einzudämmen suchte.

Wie ihm generell die rasche und mitunter wenig verständliche Wechseltaktik vorgeworfen wurde. Denn das zu einer Verunsicherung der Akteure beitragen muss, leuchtet auch dem Handball-Laien ein.

Als ausgemachter „Taktik-Fuchs“ ist der mit einem Fünf-Jahresvertrag ausgestattete Leipziger in den Vorschauen gepriesen worden. Doch ausgerechnet in der wohl wichtigsten EM-Prüfung gegen Spanien ist ihm mit der Anweisung, das Tor zugunsten eines siebenten Feldspielers leer zu lassen, ein elementarer Taktik-Fehler unterlaufen. Die ballsicheren Iberer deckten offensiv und kamen durch Ballverluste der Deutschen zu leichten Treffern, einem 7:0-Tore-Lauf und einem 8-Tore-Vorsprung.

Bewährungsprobe auf ungewohntem Terrain

Bei all den offensichtlichen Fehlentscheidungen und dem kaum verständlichen Leistungseinbruch unter seiner Leitung ist erstaunlich, dass der Auswahlnovize Prokop ähnlich wie sein Vorgesetzter Hanning eher selbstbewusst denn selbstkritisch reagierte. Einen Rücktritt schloss er aus: „Da mache ich mir überhaupt keine Gedanken. Ich habe hier meine Erfahrungen gesammelt, auch viele negative. Es gilt jetzt, die richtigen Schlüsse zu ziehen.“ Und er habe noch „viel Großes“ mit der Auswahl vor.

Hanning war klar, dass er mit der Berufung Prokops ein Wagnis eingehen würde. Denn jener hatte vorher, nach einer Lernphase bei Zweitligisten, nur Leipzig zum Aufstieg verholfen. Und zwei Jahre entsprechend den Voraussetzungen erfolgreich betreut. Mit Akteuren, die nicht die Qualität des Spitzenquartetts Mannheim, Berlin, Flensburg oder Kiel aufweisen. Prokop hat mit Leipzig nie international gespielt. Ihm fehlen also Erfahrungen des Umgangs mit Spitzenspielern, mit Begegnungen auf internationalem Parkett und logischerweise mit Anforderungen eines Auswahlverantwortlichen bei einem internationalem Großereignis.
Prokop stand bei dieser EM vor einer Bewährungsprobe, die mindestens zwei Stufen über seinen bisherigen Jobs lagen. Prokop war offensichtlich von Anfang an überfordert.

In sozialen Netzwerken finden sich Forderungen, Prokop sowie Hanning als Verantwortlichen im Verbandspräsidium zu verabschieden. Alternativen sind allerdings nicht erkennbar. Die Spitzenmannschaften der Bundesliga werden mit Ausnahme von Maik Machulla (Flensburg) von Ausländern betreut, die kaum Verlangen nach Einnahme des heißen Stuhls als Bundestrainer verspüren dürften. Zumal der finanziell weniger gut dotiert sein dürfte. Und nebenher, Bundestrainer als Zweitbeschäftigung, geht nach den ehrgeizigen Verbandsvorhaben auch nicht. Ergo dürfte Prokop bleiben. Zumal der Verband am Freitag den angeblichen Eklat beim Training dementierte: Alles sei ganz normal verlaufen!

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