Hallo und Merhaba! – Fliegender Teppich mit Ali Baba und den vierzig Räubern punktgenau in der Komischen Oper Berlin gelandet

Dort bedeckt der Fliegende Teppich in dekorativen Wellen die ganze Bühne, seine Fransen hängen schräg bis in den Orchestergraben, und das Muster in warmen Erdtönen macht viele Deutungen möglich. Er überzeugt als weite Wüstenlandschaft, läßt sich aufklappen und einen Blick auf die Räuberschätze zu, wird von Häusersilhouetten der vom Bühnenhimmel herabfallenden Fadenvorhänge auf eine dörfliche Siedlung geschrumpft und schließlich mit einem kleinen Läufer und einem üppigen Perser für die Wohnungen des armen Ali Baba beziehungsweise seines reichen Bruders Kasim parzelliert. (Szenenbild: Sanne Danz).

Erneut zeigt das Haus in der Behrenstraße, dass dort etwas getan wird für den Nachwuchs – den im Publikum und den auf der Bühne. Die jährliche Neuproduktion einer Oper für ein junges Publikum wurde mit dem gleichen Engagement und Aufwand erarbeitet wie eine »normale« Inszenierung: mit großem Orchester, erstklassigen Solisten und Chorsängern. Und mit einer fantasievollen Ausstattung sowieso. Wie gewohnt dürfen auch die Mitglieder des Kinderchors (Leitung: Dagmar Fibach) demonstrieren, dass sie singen und tanzen können wie die Profis.  Das Ganze spielt auf der großen Bühne des traditionsreichen Hauses und nicht – wie andernorts gern – im Foyer oder auf der Probebühne.

Die Aufführungen sind seit Jahren ein fester Bestandteil des Spielplans und in dieser Form nahezu einzigartig in der bundesdeutschen Opernlandschaft. Aktuell also: »Ali Baba und die vierzig Räuber«, eine Kinderoper  in 2 Akten von Taner Akyol.  Das Libretto des Auftragswerkes schrieben í‡etin Ä°pekkaya und Marietta Rohrer-Ä°pekkaya nach dem weltbekannten Märchen aus Tausend und einer Nacht. Spielerisch stellen die Autoren  deutsche und türkische Passagen nebeneinander. Wo Worte fehlen, hilft die Musik – die Sprache der Völker. Die Bildschirme in den Sessellehnen, auf denen die Besucher  während der Vorstellungen die Texte in den gängigen Weltsprachen und neuerdings auch auf Türkisch mitlesen können, sind nicht aktiviert.

Die herkömmlichen Instrumente des Orchesters (Leitung: Kristiina Poska) werden   ergänzt durch die türkische Zurna oder die Kaval. Die Baglama – eine türkische Laute – wird von Taner Akyol eigenhändig gezupft. Für die Musik seiner ersten Oper verbindet der in der Türkei geborene Berliner Komponist (seit 1999 Träger des Hanns-Eisler-Preises für Komposition und Interpretation zeitgenössischer Musik) heimatliche Klänge mit westlichen Musiktraditionen. Sie untermalt das Bühnengeschehen auf angenehme Art und Weise. Ohrwürmer enthält sie nicht. In Erinnerung bleibt vielleicht das mehrmals lautstark und begeistert wiederholte Lied »Wir sind die vierzig Reubääärrr, jeder von uns ist ein Held! Alle vom feinsten Kalibääärrr. Wir scheffeln gerne Geld.« Oder so ungefähr.

Die Geschichte selbst ist fix erzählt: Armer Ali (Jens Larsen) kommt zufällig fiesen Räubern auf die Schliche und klaut von ihrem Golde nur ein wenig, damit sie den Diebstahl nicht merken. Reicher Bruder (Stefan Sevenich) ist weniger schlau und vergißt über seiner Gier das Zauberwort für die Schatzkammer (ein herrliches Goldene–Bälle-Bad), wird von den Räubern überrascht und portioniert. Abschreckung für den nächsten Dieb muss sein. Die Kleinen im Publikum – fernseherfahren – graulen nicht. Tüchtiger, aber eitler Schneider (Manfred Sabrowski) flickt den Toten auf Wunsch der Familie wieder zusammen, bringt diese jedoch in noch größere Schwierigkeiten, indem er den Räubern die Adresse verrät. Pfiffige Sklavin (Ariana Strahl) vermehrt geschwind an sämtlichen Häusern das Zeichen, das die Bösewichte als Gedankenstütze an Kasims Tür gemalt hatten. Sehr witzig der neuerliche Auftritt des Räuberhauptmanns (Carsten Sabrowski),  der wie ein moderner Ölscheich gewandet ist und seine Kumpane in 40 Ölfässern mit Sehschlitzen heran rollt. Genau durch diese pustet die aufgeweckte Dorfbevölkerung ein »Schlafpulver«. Aus mit lustig für die beutegierige Bande.  Ali verheiratet die kluge Sklavin mit seinem Sohn und alle haben einen Grund zum feiern.

Das alles wird flott und mit manch schönem Regieeinfall (Erster Aufttritt der Räuber, ihr Gruppenbild) inszeniert (Matthias Davids), fröhlich und laut mit vielen Huhs und Hahs dargeboten. Die Moral der Geschichte ist dünn. Poetische Elemente sind rar. Dennoch: großes  Amüsement bei Darstellern und Besuchern und ebensolcher Beifall. Das war’s.

Liebling aller Altersgruppen des Publikums: Karakaçan (Daniel Drewes) – ein Esel in Menschengestalt – quasi ein Zwillingsbruder des Papageno (Kostüme: Judith Peter), der seinem Herrn Ali Baba ein echter Kumpel ist und – Runniggag des Stücks –bei jeder Gelegenheit das I A der deutschen Esel  i ins Türkische übersetzt: A I.
Mit einer deutsch-türkischen Kinderoper betritt das Ensemble Neuland. Das Risiko scheint nicht sonderlich groß zu sein in einer Stadt, in der laut amtlicher Statistik vom Mai dieses Jahres rund 105.000 türkische Mitbürger leben und die als die größte türkische Gemeinde in Europa, d.h. außerhalb des Heimatlandes, gilt.  Die Komische Oper Berlin versteht sich als lernende Institution, die auf Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse reagieren und sich mit ihrem Publikum weiterentwickeln muss. Sie setzt auf den Dialog. Ihr vor knapp zwei Jahren ins Leben gerufene und auf Nachhaltigkeit angelegtes Projekt »Selam Opera!« bietet speziell den Besuchern mit türkischen Wurzeln ein umfangreiches Angebot  von Workshops und informativen Veranstaltungen samt Blick hinter die Kulissen der geheimnisvollen und spannenden Opernwelt. Sie will so Begeisterung für das Musiktheater wecken und helfen, Sprach- bzw. kulturelle Barrieren zu überwinden. Die Bemühungen tragen erste Früchte: Mehrere singefreudige Kinder haben zum Kinderchor gefunden und sind mit Begeisterung bei der Sache. Und zumindest zur Premiere kamen  deren Eltern, Großeltern, Geschwister, viele viele Mitglieder der Großfamilien und so mancher Nachbar. Dennoch dominierte bei der Premiere im Zuschauerraum der Singsang der Einwanderer aus dem Süden Deutschlands.

Bis Jahresende wird in der Komischen Oper noch mehrmals die Zauberformel zu hören sein: »Sesam – öffne dich!« bzw. »Açil, suam açil!«

Der Besuch sei hiermit nachdrücklich empfohlen.

*  *  *

Nächste Vorstellungen 8../12./28. und 30. November und am 9./14./20. und 26. Dezember 2012, jeweils u,m 11 Uhr.
Kartenpreise: 10 – 28 €.
Kartentelefon: Komische Oper Berlin (030) 47 99 74 00,
Mo bis Samstag 9 – 20 Uhr, Sonntag 14 – 20 Uhr.
karten@komische-oper-berlin.de

*  *  * 

Gemeinsam mit dem renommierten Berliner Verlagshaus Jacoby & Stuart gibt die Komische Oper Berlin ein Hörbuch zu Ali Baba und die 40 Räuber heraus. Es ist ist es mit ansprechenden Zeichnungen von Regina Kehn bebildert und im Buchhandel zum Preis von 12,95 € sowie im Opernhaus an der Behrenstraße zu einem Sonderpreis von 7,00 € erhältlich.

Vorheriger ArtikelAbsage an den Biosprit aus Pflanzen aus dem Umweltbundesamt
Nächster ArtikelSchwarze Sonne im Berliner Herbst – Gus Black auf Split the Moon Tour