Hall of Fame des deutschen Sports – Brüche im Selbstverständnis und Helden mit gebrochenen Biografien

Aussagen, die am Donnerstag anläßlich der Premiere einer Wanderausstellung zur "Hall of Fame" des deutschen Sports zu vernehmen waren. Gastgeber war die DKB-Bank im Atrium ihrer Zentrale in Berlin-Mitte. Ein Finanzdienstleister, dessen Engagement und Sponsoring des Sports landesweit unübertroffen ist. Vom Wintersport in allen Facetten bis zur Leichtathletik (ISTAF) und den hauptstädtischen Top-Vereinen (Hertha, Berlin Volleys, Handball-Füchse, Eisbären, Alba) reicht das Unterstützungs-Portefeuille des Unternehmens…

Recknagel, Olympiasieger 1960, Weltmeister und dreimaliger Gewinner der Vierschanzen-Tournee aus Thüringen, und die DDR-Doppel-Olympiasiegerin der Spiele 1972 in München, waren als Mitglieder der deutschen Sport-Ruhmeshalle geladen worden. Um wie die in Neubrandenburg beheimatete Kugelstoß-Olympiasiegerin nach der Wende, Astrid Kumbernuss, und der aus Cottbus stammende Harting Auskunft zu geben über ihren sportlichen und bei den drei Erstgenannten auch erfolgreichen beruflichen Werdegang. Recknagel ist nach seiner Sportler-Karriere erfolgreicher Tierarzt geworden und war eine Zeit lang als internationaler Kampfrichter aktiv. Karin Büttner-Janz hat zusammen mit einem Kollegen als Orthopädin die erste künstliche Bandscheibe entwickelt und damit den Anstoß zu einem weitreichenden Einsatz von künstlichen Hilfen im Gesundheitwesen gegeben. Dr. Büttner-Janz hat viele Jahre eine außerodentliche Professur an der Charite vertreten. Und Astrid Kumbernuss (43), Olympiasiegerin mit der Kugel 1996, dreifache Weltmeisterin, aber (noch) nicht in der Ruhmeshalle, ist in einer Leitungsfunktion bei der Barmer GEK angekommen.

Sie erfüllen die Ansprüche der 2006 von der Deutschen Sporthilfe als Idee geborenen und dann installierten nationalen "Hall of Fame". Denn – so lautet das Credo – die Hall of Fame soll "ein Forum der Erinnerung an Menschen, die durch Erfolge im Wettkampf oder durch ihren Einsatz für Sport und Gesellschaft Geschichte geschrieben haben", sein.

Mittlerweile umfasst die HoF 76 Namen. In diesem Jahr sind vier neue dazugekommen. Einmal der mit der Goldenen Sportpyramide der Sporthilfe ausgezeichnete Skisportler, Unternehmer und Filmemacher Willy Bogner. Dazu Joachim Deckarm (Handball-Weltmeister) und posthum die verstorbenen Harry Valerien (Sportreporter-Legende) sowie der Sportpionier aus dem 18. Jahrhundert, der "Turnvater" Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852).

Allgemein sollen Athleten, Trainer, Funktionäre und überhaupt Gestalter des Sports gewürdigt werden.

Keine leichte Sache, Verdienste und Leistungen aus einer mehr als 100 Jahre umfassenden Geschichte eines Landes zu würdigen, das gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Umbrüche erlebt hat, wie kaum ein anderer europäischer Staat. Deutschland unter einem Kaiser, Kanzler in der Weimarer Republik und Führer im Faschismus, Deutschland in Besatzungszonen, als BRD und DDR, nun wiedervereinigt als "Berliner Republik"!

Das hat – im Sport wie in anderen Bereichen – durch Verstrickungen mit jeweiligen Ideologien zu vielen "Brüchen in den Biografien" geführt, wie der Sporthilfe-Vorsitzende Dr. Michael Ilgner anführt.

Was der ehemalige Leistungs-Wasserballer meint, läßt sich am besten an Sportgrößen der Nazi-Herrschaft aufzeigen. Da gibt es ehemalige Parteimitglieder und glühende Anhänger der verbrecherischen Nazi-Ideologie und da gibt es auf der anderen Seite überrragende Sportler, die ihren Widerstand gegen das "1000-jährige Reich" mit dem Leben bezahlen mussten. Willi Daume und Sepp Herberger oder Werner Seelenbinder und Albert Richter.

Alle vier haben die Juroren für würdig befunden, in der HoF aufgelistet zu werden. Weil diese ja eigentlich virtuelle Ruhmeshalle dazu beitragen soll, "die mehr als hundertjährige Geschichte des deutschen Sports und seiner Persönlichkeiten im Gedächtnis zu bewahren und Diskussionen darüber anzuregen".

Unter den 76 Mitgliedern finden sich lediglich sieben ehemalige DDR-Sportler. Kein Trainer oder Funktionär. Protagonisten der Bundesrepublik sind sechs- bis siebenfach stärker vertreten. Obwohl der staatlich stark geförderte DDR-Sport seit Bestehen der eigenständigen Olympiamannschaften 1968 in der Medaillenwertung stets deutlich vor dem schwarz-rot-goldenem Aufgebot lag…

Was einfach auch mit dem Geburtsfehler der Wahl-Jury zusammenhängt. Bei seinerzeit 27 Mitgliedern war lediglich ein Alibi-Ostdeutscher aus Leipzig dabei. Zudem ein im DDR-Sport völlig Unbekannter.

So kam es denn, dass der mit Abstand populärste und bekannteste DDR-Sportler aller Zeiten, der Amateur-Radsport-Weltmeister und Friedensfahrt-Sieger Gustav-Adolf (geboren 1931) Schur (bekannt unter Täve Schur) von der Jury nach entsprechendem Vorschlag abgelehnt wurde.

Weil jener sich mit dem DDR-System identifizierte. Im vom Bürger gewählten höchsten Parlament, der Volkskammer, als SED-Mitglied saß und nach dem Mauerfall es für die PDS/Linke auch in den Bundestag schaffte.

Und dennoch für die vermeintlich über Systemen, Parteien und Ideologien stehende Sport-Ruhmeshalle nicht geeignet?

"Er hat einfach nicht die Mehrheit der Jury gefunden, obwohl auch Walter Tröger für ihn gestimmt hat", meint Recknagel. Tröger war NOK-Präsident im Westen Deutschlands und über politische Scheuklappen hinaus in der Lage, zu objektiven Wertungen zu gelangen.

Wozu das Grundgesetz, Art. 3 (niemand dürfe aus religiösen, rassistischen oder politischen Gründen diskriminiert werden), eigentlich auch die restlichen Juroren animieren müsste.

Schur hat verlangte frühere Aussagen poltischen Inhalts nicht ausdrücklich zurückgenommen und blieb außen vor. Obwohl es dazu aus den neuen Bundesländern viel Kritik gab. Recknagel: "Natürlich gibt es keinen Zweifel, dass Schur für den DDR-Sport da hineingehört."

Mittlerweile hat man das Wahlverfahren zur Aufnahme verändert. Da sind nunmehr neben allen lebenden Mitgliedern der HoF wie vorher die Sporthilfe, der DOSB und die Politik beteiligt. Ob Schur, 82, von diesem Gremium bei Lebzeiten Gnade erfährt, ist kaum vorstellbar. Da zeigt sich, dass die Brüche in Beurteilung von Persönlichkeiten bis heute reichen.

Die Wanderausstellung – Klapp-Lexikon, lebensgroße Pappfiguren, multimediales Zahlenspiel, Touchscreen-Monitor, Sportgeräte – ist werktags in der DKB-Zentrale in der Berliner Taubenstraße bis zum 28. Juni 2013 zu besichtigen. Eine neue Internetpräsenz der Hall of Fame bietet www.hall-of-fame.de.

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