Gunter Demnig: Zehn Jahre sind nicht genug! Aber von München kann man genug haben. „Stolperstein“, ein Dokumentarfilm von Dörte Franke auf DVD

Das war ein Erlebnis, gerade die Kollegen, die sich einen Film über Juden und Naziverfolgung nicht anschauen wollten, dann hinterher diskutieren zu sehen. Das beste Zeichen, daß es sich um einen gelungenen Film handelt, den Dörte Franke gemacht hat. Aber ganz schön schwierig, dieses Gelungene in Worte zu fassen. Filme kann man sonst nacherzählen, aber das taugt hier nicht so viel. Also erzählen wir lieber von der Geschichte, die seit dem 29. Januar nun als Film auf DVD erhältlich ist. Gunter Demnig heißt er. Der Mann, der mit seinen Steinen die Basis des Films bildet, wo doch die Steine eigentlich die Basis des Fundaments sind, auf dem unsere Füße wandern in deutschen Straßen auf deutschen Pflaster und in Österreich inzwischen auch.

Denn die Steine, die Gunter Demnig Stück für Stück in Handarbeit fertigt und in Handarbeit verlegt – inzwischen über 20 000 Stolpersteine – , die tragen Namen. Sie tragen die Namen von deportierten Juden, von Nazi-Opfern insgesamt, die abgeholt, in die Konzentrationslager geschafft und vergast wurden. Stolpersteine heißen sie, weil man zwar nicht wirklich über sie stolpern und fallen soll, aber im übertragenen Sinne schon. Denn bevorzugt werden sie dort auf Bürgersteigen ins Pflaster versenkt – ersetzen also herkömmliche Pflastersteine – , wo sie einst wohnten. Das ist eine anrührende Idee und die Umsetzung kann man den Film über sehr gut verfolgen. Wie Leute nämlich, die heute in diesen Häusern wohnen, mit wirklichem Interesse, die Namen lesen und sich Geschichten erzählen lassen oder vielleicht auch selbst auf den Weg machen, über die Ermordeten etwas herauszufinden.

Solange jemandes gedacht wird, so lange ist er nicht tot, zumindest nicht gänzlich tot, ist eine alte Weisheit, die in diesem Film visualisiert wird. Und daß es genug Menschen gibt, die Namen kennen und Namen auf Steinen wiederfinden wollen, ist auch eine der glückhaften Erkenntnisse, die einem dieser Film verschafft. Bei Gunter Demnig kann man nämlich als Initiative oder als einzelner Steine mit Namen bestellen. Vor über zehn Jahren fing er damit an, Stein für Stein in Handarbeit und in Messing und aus seinem privaten Projekt ist längst mehr als eine private Gedächtniskultur geworden. Diese Steineaktion ist gut geeignet, eine kollektive Gedächtniskultur zu begründen, denn überall wohnten die Opfer, die von den Nazis, verschleppt und ermordet wurden und angeblich hat ja kaum einer etwas mitbekommen von den Nachbarn, den ehrbaren Bürgern, die sich nicht mal über die leeren Wohnungen wunderten und mitgenommen von den luxuriösen Gegenständen aus den leeren Wohnungen hat ja auch kein Deutscher etwas. Angeblich. Nur sind die Möbel, die Bilder, die Bücher, die Pelze, das Geschirr und der Schmuck verschwunden. So verschwunden wie ihre Besitzer, die Gunter Demnig nun aus dem Nirwana holt und sie in Stein verewigt.

Da liegen sie also zusammen, Max, Edith und Ruth und die Kinder, die aus dem Haus eilen, gucken und lesen und fragen: „ Wer sind die?“ Und schon bekommen die ermordeten Kinder aus diesen Haus eine Realität und Identität, wieder eine, nachdem sie durch den Mord erst einmal verstummten. Die Sinnhaftigkeit der Aktion des Gunter Demnig entwickelt sich im Film zu immer stärkerer Beweisführung. Das liegt auch daran, daß Dörte Franke sehr subtil die Akteure reden läßt, dabei vieles in der Schwebe läßt und die Kommentare den Köpfen und Herzen der Zuschauer überläßt. Am Schluß ist man gar sicher, man sei mit Gunter Demnig persönlich unterwegs gewesen, so gut glaubt man ihn auf Grund eines 73 Minuten langen Filmes zu kennen. Unterwegs durch Deutschland an die Stätten der Stolpersteinverlegung und ins benachbarte Österreich, ja bis Ungarn und eigentlich überall hin, wo Juden und andere Naziopfer abgeschleppt und umgebracht wurden.

Im Film wird die Geschichte nicht chronologisch erzählt, also mit dem Beginn vor zehn Jahren, sondern in Sprüngen. Besonders sprunghaft und diejenige, die man sich als Bürovorstand sofort in jeder Redaktion wünscht, ist die Lebensgefährtin des handwerklichen und politischen Künstlers, der nebenbei noch Geschichtsunterricht erteilt. Durch Praxis.

Diese Frau ist wirklich patent und wenn sie zu Beginn ihre Mitarbeit reflektiert, so sehen wir eine Frau vor uns, die streng und weich, die fordernd und gewährend ist und der wir jeden Moment zubilligen, daß ohne ihr Organisationstalent die Stolpersteine schon längst ins Stolpern geraten wären. Diese Frau ist sogar so gut, daß sie rechtzeitig eine Tochter gebar, die jetzt diesen Film verfaßt hat: Dörte Franke.

Aber Hauptperson bleibt der Ideengeber und derjenige, der die nun nicht mehr namenlosen Steine in den Boden versenkt. Man erlebt diesen Mann im Film in sehr unterschiedlichen Situationen. Denn nicht alle Menschen sind mit seinem Vorgehen einverstanden. Noch nicht einmal alle jüdischen Gemeinden. Denn sich immer als Opfer fühlen zu müssen, hat manche so renitent gemacht, daß sie jegliche Geste verabscheuen, die die Leidenszeit evoziert. Ach, es gibt so viele Gründe, diese Stolpersteine nicht zu wollen. Aber alles in allem doch weit mehr gute Gründe, mit der Personalisierung der Toten ein neues Kapitel der Aufarbeitung des Faschismus in Deutschland zu starten.

Gunter Demnig auf jeden Fall kann sich nicht beklagen. Denn seine Arbeit wird, seit sie sich rumgesprochen hat, immer begehrter. Wie man sich an ihn wendet, und wer dies so und andere anders machen, das ist anzuschauen schon ein Spaß und lehrreich dazu. Allerdings erfährt man auch Sachverhalte, die man eigentlich nicht glauben möchte, die aber – leider, leider, München! – stimmen. Denn tatsächlich hat die Münchener Stadtregierung verboten, daß in München Stolpersteine verlegt werden. Ausgerechnet also eine Stadt, die eh schon mit den Anfangsjahren der Nazis in München einen unrühmlichen Part hat, verweigert sich dem Gedenken der Opfer. Man glaubt es nicht. Es ist aber so. Noch. Höchste Zeit, daß dieser Film auch in München wirkt.

Info: Die DVD kann bei Good Movies oder bei Amazon, also eigentlich bei jedem, bestellt werden. Außer dem Film gibt es weiteres bonusmaterial wie Szenen, die nicht in den fertigen Film mit aufgenommen worden sind. Darüberhinaus ein Interview mit der Regisseurin Dörte Franke und mit der Produzentin Andrea Ufer.

Vertrieb: Indigo, EAN 4047179436083, Bestll.-Nr. DV 943608

Internet: www.stolpersteine.com

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