Grenzgänger – Jim Jarmusch lotet in seinem filmischen Glanzstück “The Limits of Control” aus

“Es ist wie ein Spiel. Täuschung” , sagt Tilda Swinton. Sie ist “die Blondine” in dem namenlosen Figurenensemble. Eine der ominösen Kontaktpersonen, mit denen der geheimnisvolle Fremde (Isaach de Bankole) Botschaften und Wertgegenstände austauscht. Der Fremde trifft “den Franzosen” (Jean-Francois Stevenin), “Molekül” (Youki Kudoh) und “Gitarre” (John Hurt). Die Botschaften werden in Streichholzschachteln übermittelt. Vermutlich werden viele Kinobesucher beim nächsten Spanienaufenthalt nach der Zündholzmarke “Le Boxeur” suchen. Spricht der geheimnisvolle Fremde doch spanisch, wonach ihn jede Kontaktperson fragt? Was um ihn herum geschieht, begreift er mehr als die anderen Figuren. Nichts entgeht seinem unerschütterlichen Blick. Weder das Filmplakat mit besagter Blondine mit dem Titel “Un Lugar solitario” noch der dem gleichnamigen Lied entlehnte Schriftzug “La vida no vale nada” auf dem Wagen eines Kontaktmannes, dem Mexikaner (Gael Garcia Bernal). Mit der Frage nach der darin beklagten Wertlosigkeit des Lebens lässt Jarmusch den Zuschauer zurück. Dem Mexikaner übergibt der geheimnisvolle Fremde einen Gitarrenkoffer. “The Limits of Control” ist vermutlich der einzige Gangsterfilm, in welchem solch ein Gitarrenkoffer tatsächlich eine Gitarre enthält. Sie ist mit dem Auftrag verknüpft, welcher den Fremden durch Spanien ziehen lässt. Dieser Auftrag entschlüsselt sich nie völlig, nur eine der raffinierten Scharaden Jarmuschs. Man genießt es und schweigt. “Manchmal mag ich Filme, in denen Leute nur schweigend dasitzen.” Worte sind immer noch das prinzipielle Mittel der Kontrolle, schrieb es William Borroughs seinem 1975 erschienen titelgebenden Essay voraus.

“The Limits of Control” ist ein heller film noir. Isaach de Bankoles Fremder tigert durch die karge Landschaft wie Alan Ladd in “This Gun for Hire”, weswegen man ihn unwillkürlich für einen Auftragskiller hält. “Sind Sie ein amerikanischer Gangster?“, fragt den Fremden ein kleiner Junge. Nein, das wäre zu plump für Jarmusch. Eher ist dieser Fremde Alain Delon aus “Der Eiskalte Engel”, nur dass es in “The Limits of Control“ ein Schwarzer mit weißer Geliebter ist, statt umgekehrt. Unterkühlt bleibt er angesichts jener nackten Schönheit (Paz de la Huerta) in seinem Hotelzimmer, die längst nicht so durchschaubar ist, wie ihr Regenmantel. Doch nicht ganz eiskalt. In ihm lodert ein Feuer, dass zu der eiskalten Konfrontation mit Bill Murray führt. Murray ist der Schmierige, Fiese, “der Amerikaner” und dafür reichen Bill Murray fünf Minuten. Der Fremde geht als postmoderne Verkörperung des einsamen Reiters. Ein Stück entfremdeter und einsamer in dieser Welt noch kälter als er. Der Mann hat den Blues. Doch Blues hört man nicht, auch wenn man es erwartet. Stattdessen verwendet Jarmusch an die Doors erinnernden Klangwerke und Schubert. Die Liebe zu Schubert verbindet den Fremden mit der Nackten. Oh, diese Nackte, gespielt von der wunderbaren Paz de la Huerta. War je eine Schöne so verführerisch? War je eine Schöne so keusch? In der Beziehung des Fremden zu ihr begibt sich “The Limits of Control” doppelt an die Grenze: die der Erotik und die der Frustration. Gezielt werden die Zuschauererwartungen enttäuscht. Jarmusch kreiert erotisch aufgeladenen Momente ohne plakative Körperlichkeit: “Benutzen Sie Ihre Fantasie”.

“The Limits of Control” ist ein Kriminalfilm von unverschämter Coolness. Klinische Eleganz und eine gradlinig-schlichte Handlung nehmen ihm jede Arriviertheit. Vielleicht zu kalt für manche, doch die Ausübung von Kontrolle braucht Zeit, nach Borroughs. Statt Spannung vermittelt der Thriller eine Atmosphäre innerer Angespanntheit. Jarmusch hat einen modernen Klassiker geschaffen, eine neuen alten Film. “Alte Filme sagen uns, wie die Leute waren, wie sie rauchen.” Darüber gibt es schon “Coffee& Cigarettes” von Jarmusch. Wie man sich am besten wach ruft aus der surrealen und doch trocken-authentischen Traumwelt lernt man in “The Limits of Control”:  Zwei Espressi, bitte. In separaten Tassen.

Titel: The Limits of Control
Start: 28. Mai 2009
Regie und Drehbuch: Jim Jarmusch
Darsteller: Isaach de Bankole, Paz de la Huerta, Cate Blanchette, Bill Murray, Gael Garcia Bernal
Verleih: TOBIS

Vorheriger ArtikelSex mit den Geistern der Ex -Matthew McCoughney muss in “The Womanizer – Die Nacht der Ex-Freundinnen” durchstehen
Nächster ArtikelTV- und Video-Produkte im Weltexpress – TV- und Video-Produktion beim Kulturexpresso