Berlin, Deutschland (Weltexpress). Im Grunde braucht man über “The Limits of Control” nicht zu schreiben. Alles ist bereits gesagt von Tilda Swinton in einer doppelbödigen Szene des unterkühlten Thrillers. Regisseur Jim Jarmusch, der sein Drehbuch wie immer selbst verfasste, legt der weiß gewandetet Swinton die selbstreflexiven Worte in den Mund: “Die besten Filme sind wie Träume.” Wie ein bizarrer Wachtraum fühlt sich “The Limits of Control” an, trotz seiner knapp zwei Stunden keine Minute zu lang. Das ist an sich schon ein Kunststück, denn in “The Limits of Control” wird viel geschwiegen. Doch Jarmusch ist ein Meister des stummen Dialogs. Seine Figuren kommunizieren durch Handlungen und Monologe. Vieles wird wiederholt, woraus Jarmusch die ihm eigene lakonische Komik kreiert. Fällt ein Satz, ist es meist ein gewichtiger, ein Zitat oder eine philosophische Erkenntnis oder beides: “Diamonds are a girls best friends”. So etwas kann man auch einfach zwischendurch sagen, weil es so wahr ist. Jarmusch nährt sich mit seiner Referenzialität auf dem cineastischen Sektor der Grenze, welche er in “Dead Man” literarisch nahe kam. Dies sind “The Limits of Control”, die der Film in jeder Szene neu auslotet. Wie reduziert kann eine Handlung sein? Wie anspielungsreich ein Dialog? Wie zurückgenommen ein Charakter?
“Es ist wie ein Spiel. Täuschung” , sagt Tilda Swinton. Sie ist “die Blondine” in dem namenlosen Figurenensemble. Eine der ominösen Kontaktpersonen, mit denen der geheimnisvolle Fremde (Isaach de Bankole) Botschaften und Wertgegenstände austauscht. Der Fremde trifft “den Franzosen” (Jean-Francois Stevenin), “Molekül” (Youki Kudoh) und “Gitarre” (John Hurt). Die Botschaften werden in Streichholzschachteln übermittelt. Vermutlich werden viele Kinobesucher beim nächsten Spanienaufenthalt nach der Zündholzmarke “Le Boxeur” suchen. Spricht der geheimnisvolle Fremde doch spanisch, wonach ihn jede Kontaktperson fragt? Was um ihn herum geschieht, begreift er mehr als die anderen Figuren. Nichts entgeht seinem unerschütterlichen Blick. Weder das Filmplakat mit besagter Blondine mit dem Titel “Un Lugar solitario” noch der dem gleichnamigen Lied entlehnte Schriftzug “La vida no vale nada” auf dem Wagen eines Kontaktmannes, dem Mexikaner (Gael Garcia Bernal). Mit der Frage nach der darin beklagten Wertlosigkeit des Lebens lässt Jarmusch den Zuschauer zurück. Dem Mexikaner übergibt der geheimnisvolle Fremde einen Gitarrenkoffer. “The Limits of Control” ist vermutlich der einzige Gangsterfilm, in welchem solch ein Gitarrenkoffer tatsächlich eine Gitarre enthält. Sie ist mit dem Auftrag verknüpft, welcher den Fremden durch Spanien ziehen lässt. Dieser Auftrag entschlüsselt sich nie völlig, nur eine der raffinierten Scharaden Jarmuschs. Man genießt es und schweigt. “Manchmal mag ich Filme, in denen Leute nur schweigend dasitzen.” Worte sind immer noch das prinzipielle Mittel der Kontrolle, schrieb es William Borroughs seinem 1975 erschienen titelgebenden Essay voraus.
“The Limits of Control” ist ein heller film noir. Isaach de Bankoles Fremder tigert durch die karge Landschaft wie Alan Ladd in “This Gun for Hire”, weswegen man ihn unwillkürlich für einen Auftragskiller hält. “Sind Sie ein amerikanischer Gangster?“, fragt den Fremden ein kleiner Junge. Nein, das wäre zu plump für Jarmusch. Eher ist dieser Fremde Alain Delon aus “Der Eiskalte Engel”, nur dass es in “The Limits of Control“ ein Schwarzer mit weißer Geliebter ist, statt umgekehrt. Unterkühlt bleibt er angesichts jener nackten Schönheit (Paz de la Huerta) in seinem Hotelzimmer, die längst nicht so durchschaubar ist, wie ihr Regenmantel. Doch nicht ganz eiskalt. In ihm lodert ein Feuer, dass zu der eiskalten Konfrontation mit Bill Murray führt. Murray ist der Schmierige, Fiese, “der Amerikaner” und dafür reichen Bill Murray fünf Minuten. Der Fremde geht als postmoderne Verkörperung des einsamen Reiters. Ein Stück entfremdeter und einsamer in dieser Welt noch kälter als er. Der Mann hat den Blues. Doch Blues hört man nicht, auch wenn man es erwartet. Stattdessen verwendet Jarmusch an die Doors erinnernden Klangwerke und Schubert. Die Liebe zu Schubert verbindet den Fremden mit der Nackten. Oh, diese Nackte, gespielt von der wunderbaren Paz de la Huerta. War je eine Schöne so verführerisch? War je eine Schöne so keusch? In der Beziehung des Fremden zu ihr begibt sich “The Limits of Control” doppelt an die Grenze: die der Erotik und die der Frustration. Gezielt werden die Zuschauererwartungen enttäuscht. Jarmusch kreiert erotisch aufgeladenen Momente ohne plakative Körperlichkeit: “Benutzen Sie Ihre Fantasie”.
“The Limits of Control” ist ein Kriminalfilm von unverschämter Coolness. Klinische Eleganz und eine gradlinig-schlichte Handlung nehmen ihm jede Arriviertheit. Vielleicht zu kalt für manche, doch die Ausübung von Kontrolle braucht Zeit, nach Borroughs. Statt Spannung vermittelt der Thriller eine Atmosphäre innerer Angespanntheit. Jarmusch hat einen modernen Klassiker geschaffen, eine neuen alten Film. “Alte Filme sagen uns, wie die Leute waren, wie sie rauchen.” Darüber gibt es schon “Coffee& Cigarettes” von Jarmusch. Wie man sich am besten wach ruft aus der surrealen und doch trocken-authentischen Traumwelt lernt man in “The Limits of Control”: Zwei Espressi, bitte. In separaten Tassen.
Filmographsiche Angaben:
- Titel: The Limits of Control
- Start: 28. Mai 2009
- Regie und Drehbuch: Jim Jarmusch
- Darsteller: Isaach de Bankole, Paz de la Huerta, Cate Blanchette, Bill Murray, Gael Garcia Bernal
- Verleih: TOBIS
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