Wer ist es dann? Sophokles lässt keinen Zweifel daran, dass hier Gott Apollo höchstpersönlich als „Täter“ seine Hände mit im Spiel hat. Und dass die tückischen Fallen, in die Ödipus wiederholt hineintappt, durch ein von göttlicher Vorsehung inszeniertes Fatum ausgelegt wurden. Und somit zu einem in sich widersprüchlichen Szenario führen. Zu einem tragischen Handlungsstrang, an dem die Bitten des christlichen Vaterunsers um Geschehen des göttlichen Willens und Vergebung der individuellen Schuld wegen ihres unterschiedlichen Gottesbildes zweifellos scheitern müssten. Ebenso die moderne Überzeugung, dass es ohne individuelle Schuld auch keine Strafe geben dürfe.
Tragische Figur
Dennoch hat sich der englische Komponist Julian Anderson in seiner Oper „Thebans“ des Ödipus-Stoffes angenommen. Und nach dem Libretto von Frank McGuinness in eine anrührende Musiksprache übersetzt, deren Dramatik das Beethoven Orchester Bonn unter der musikalischen Leitung von Johannes Pell von einfühlsam bis furios in all ihren Schattierungen intensiv auskostet.
Auch die in Kooperation mit der English National Opera in London erfolgte Inszenierung von Pierre Audi arbeitet die spannungsgeladenen Erzählstränge der drei Akte überzeugend heraus. Und bietet damit allen am Bühnengeschehen beteiligten Interpreten einen angemessenen Rahmen.(Bühnenbild: Tom Pye, Kostüme: Christof Hetzer) Allen voran Ödipus, König von Theben (William Dazeley), der den in seiner Person vereinten Widerspruch von Täter- und Opferrolle überzeugend zum Ausdruck bringt. Bis hin zum bitteren Ende, an dem Zeus ihn als tragische Figur in das Reich der Toten abberuft.
Gebot contra Verbot
Und ihn damit aus den Armen seiner Tochter Antigone (hervorragend: Yannick-Muriel Noah) herausreißt, die sich als Schlüsselfigur nicht nur für ihren geliebten Vater verantwortlich weiß. Sondern darüber hinaus auch für ihren Bruder Polynices (Giorgos Kanaris), mit dessen symbolischem Begräbnis sie zwar einem göttlichen Gebot Folge leistet, sich damit aber gleichzeitig über ein menschliches Verbot hinwegsetzt.
Für Letzteres steht König Creon (Peter Hoare), der für Recht und Ordnung sorgende und doch skrupellose Nachfolger des Ödipus auf dem thebanischen Königsthron. Er hat seine wunderbar kämpferischen Auftritte in der Auseinandersetzung nicht nur mit der ungehorsamen Antigone. Sondern selbst mit seinem eigenen Sohn Haemon (Christian Georg), der ihn mit Leidenschaft von seiner selbst auferlegten Sturheit abbringen will, an der er dann aber doch, ebenso wie Antigone, scheitern muss.
Erkenne Dich selbst
Als Blinder Seher Tiresias bringt Rolf Bromann (warum in Frauenkleidung ?) beschwörend seinen sonoren Bass zum Einsatz. Ohne jedoch verhindern zu können, dass sich Königin Iocasta (Anjara I. Bartz) als Mutter und zugleich Ehefrau des Ödipus in ihrer Verzweiflung auf unwürdige Weise das Leben nimmt. In den Nebenrollen überzeugen auch Theseus (Jakob Huppmann), der Shepherd (Nicholas Probst) und Eteocles (Olaf Reinecke). Und nicht zuletzt ist es der Chor des Theaters Bonn (Einstudierung: Volkmar Olbrich), der in anspruchsvollen Partien das dramatische Geschehen kommentiert. Eine besondere Leistung, die beiträgt zum lang anhaltenden Schlussapplaus.
Und dennoch stellt sich abschließend die Frage, was jenseits des von Sophokles abgesteckten antiken Handlungsrahmens für die Gegenwart übrig bleibt. Ist es die Aufforderung, sich selbst zu erkennen, auch wenn die aus dieser Selbsterkenntnis erwachsenden Konsequenzen nicht leicht zu ertragen sind? Oder ist es die Aufforderung, Ideologien mit Absolutheitsanspruch kritisch zu hinterfragen, woher auch immer sie kommen mögen. Denn dann könnte sich die Menschlichkeit am Ende doch noch durchsetzen.
Weitere Aufführungen: 16., 22., 31. Mai und 4. Juni 2015.