Die ehemals Neureichen sind ja mittlerweile etabliert, haben Manieren gelernt und haben auch die Kultur, von der sie zunächst ausgeschlossen waren, in Besitz genommen und ihren Geschäftsinteressen angepasst.
Blickfang im Salon der Giddens’ ist ein schwarzer Flügel, eine exquisite Ergänzung zu der sparsamen, effektvollen Möblierung mit schwarzen Ledersesseln und niedrigem Glastisch, mit der Jan Pappelbaum die Bühne ausgestattet hat. Im Hintergrund links führt eine gefährlich aussehende Treppe nach oben, und rechts schließt sich das Esszimmer an, in dem durch die gelegentlich geöffnete Schiebetür ab und zu ein gedeckter Tisch und Mitglieder der tafelnden Gesellschaft gesehen werden können.
Zu Beginn wird ein Geschäftsabschluss gefeiert: Dank des amerikanischen Investors William Marshall kann die Firma, die Ben und Oscar Hubbard von ihrem Vater geerbt haben, ins Ausland expandieren. Regina Giddens, geborene Hubbard, ist bei der väterlichen Hinterlassenschaft leer ausgegangen und hat deshalb die in der Familie neben dem Erben übliche Art der Vermögensbildung gewählt: Sie hat geheiratet. Bankdirektor Horace Giddens ist um Einiges älter als seine Frau, weshalb Regina die Hoffnung hatte, recht bald ein freies Witwenleben im Wohlstand genießen zu können.
Inzwischen ist die gemeinsame Tochter Alexandra fast erwachsen, und nun endlich neigt sich das Leben des ungeliebten Gatten dem Ende zu. Noch allerdings kann Regina nicht über sein Vermögen verfügen und muss Horace dazu bringen, ins große Geschäft ihrer Brüder, mit Aussicht auf immense Gewinne, einzusteigen.
Das Abendessen mit Marshall findet im Haus der Giddens’ statt, nachdem Regina voreilig mitgeteilt hatte, ihr Ehemann werde anwesend sein und sei bereit, zu investieren, obwohl der sich im Krankenhaus befindet und durchaus nicht willens ist, sein Geld in die Firma der ihm verhassten Hubbards einzubringen.
Für Oscar und Ben Hubbard gibt es wohl noch einen weiteren Grund, Marshall ins Haus ihrer Schwester einzuladen: Ben ist Junggeselle, wirkt leger und hat vermutlich keine sonderlich ansprechende Häuslichkeit zu bieten, und Oscars Ehefrau Birdie ist Alkoholikerin mit Tendenz zu unkonventionellem Benehmen. Regina Giddens dagegen ist eine exzellente Gastgeberin mit perfekt organisiertem Haushalt.
Nina Hoss präsentiert sich als Regina hoch elegant und diszipliniert bis in die gepflegten Fingerspitzen, eine wunderschöne, eiskalte Frau, die dennoch Charme zu versprühen vermag und sogar imstande ist, eine Atmosphäre entspannten Wohlbehagens zu schaffen.
Herz hat diese Frau nicht, dafür aber Stil. Mit eiserner Willenskraft ist es ihr gelungen, all die Jahre an der Seite des von ihr verachteten Ehemanns durchzustehen, ohne ihr Ziel aus den Augen zu verlieren und ohne sich selbst aufzugeben.
Ganz anders Reginas Schwägerin Birdie. Oscar hat sie geheiratet, um die Ländereien ihrer alteingesessenen, vornehmen aber verarmten Familie in seinen Besitz zu bringen. Birdie hat sich von ihren Eltern in die Ehe mit diesem Mann drängen lassen, der anfänglich nett zu ihr war, sich jedoch nach der Heirat als gewalttätiger Tyrann entpuppt hat. Und Birdie, anstatt ihn zu verlassen, hat sich ihm untergeordnet, verheimlicht seine Misshandlungen sogar vor der Familie und verabschiedet sich von der Hoffnung, mit ihrer großen Begabung als Pianistin, für die Oscar, wie für alles Kulturelle und Künstlerische, nur Verachtung übrig hat, Karriere zu machen. Ihren Sohn kann Birdie nicht lieben, weil der, vom Vater zurechtgeprügelt, allzu deutlich in dessen Fußstapfen tritt.
Birdies einzige Zuflucht ist der Alkohol, der Rausch, der ihr die Flucht aus einer unerträglichen Realität ermöglicht und sie zugleich noch fester an die Falle ankettet, in die sie arglos geraten ist. „Ich könnte ja gehen“ sagt Ursula Lardi als Birdie in ihrer großen Trunkenheitsszene, aber ganz offensichtlich weiß sie nicht, wie sie das anstellen könnte und ebenso offensichtlich gibt es niemanden, der sie dabei unterstützen würde.
Ursula Lardi bringt eindrucksvoll den Flügel zum Klingen, während der auf einer Drehscheibe kreist. In der Trunkenheitsszene offenbart sie Birdie als ein skurriles Märchenwesen, dem, in einer grausam kalten Welt, der Boden unter den Füßen und die Luft zum Atmen entzogen wurde, ein Wesen, das an einem Übermaß von unerwiderten und unverstandenen Gefühlen zu ersticken droht und das den gnadenlos brutalen Machtkämpfen seiner Umgebung hilflos wie ein Kind ausgesetzt ist.
Birdie scheint gar nichts mit Regina gemein zu haben, und doch, wenn Regina von ihrer Freiheit als reiche Witwe schwärmt, von Reisen und großen Städten im Ausland, dann sieht diese abgebrühte Lady auf einmal aus wie ein Provinzmädchen, das von der großen weiten Welt träumt. Regina wie auch Birdie sind Vertreterinnen einer Gesellschaft, in der die Männer regieren und Frauen keine Chance haben, erwachsen und selbständig zu sein.
Die Rollen der Männer sind schlichter strukturiert als die der Frauen. Es gibt nur Sieger und Verlierer. William Marshall, zu Beginn von den Hubbards umschwärmt wie ein Popstar, gehört zweifellos in die Sieger-Kategorie, auch wenn Andreas Schröders sich in seiner einzigen kleinen Szene einen Anflug von Verwirrung gestattet. Immerhin scheint es ihm gelungen zu sein, sowohl bei Regina wie auch bei Birdie den Eindruck erweckt zu haben, er habe vor allem ihr seine besondere Aufmerksamkeit zugewendet.
Ben Hubbard ist der Boss des Familienunternehmens. Mark Waschke gestaltet ihn jovial, selbstherrlich, eitel aber nicht unsympathisch. Ben ist ein Machtmensch und so von seiner Überlegenheit, d.h. der Unterlegenheit aller Anderen, überzeugt, dass er sich auch Großmut erlauben und sogar gelegentliche Niederlagen wegstecken kann.
Er sei ein guter Verlierer sagt Regina am Ende des Stücks zu ihm, nachdem sie ihn ausgetrickst hat. Regina bewundert ihren Bruder und sie weiß auch, dass sie allen Grund hat, ihn als höchst gefährlichen Gegner zu fürchten.
Den unsympathischen Part in der Familie hat David Ruland als Oscar. Er ist zwar der Ältere, erscheint jedoch wie der kleine Bruder von Ben, den dieser nicht ganz ernst nimmt und, im Grunde, verachtet. Oscar erscheint stets in strammer Haltung, völlig verkrampft, und er wirkt immer so, als sei er gerade zusammengestaucht worden. Dabei ist es doch Oscar, der einen Sohn und damit den Erben der Firma produziert hat, der gerade bei Onkel Horace eine Banklehre absolviert und über ebenso viele kriminelle Energien verfügt wie sein Vater.
Horace Giddens ist der Vertreter einer werteorientierten Gesellschaft, die im Aussterben begriffen ist. Thomas Bading als Todkranker erweckt dennoch keine wirkliche Anteilnahme, da er am Ende seines Lebens nichts anderes im Sinn hat, als sich für die vielen Demütigungen zu rächen, die er von seiner Frau erdulden musste.
In einer sehr intensiven Szene rechnet das Ehepaar miteinander ab. Aber obwohl Horace wie ein geifernder Hund wirkt, während Regina ihre mörderischen Gemeinheiten mit Contenance serviert, verfügt Horace doch noch über die Macht, die Träume seiner Frau zu vernichten. Nur ein Zufall, den Regina erbarmungslos ausnutzt, führt dazu, dass sie aus diesem Duell um Leben und Tod als Siegerin hervorgeht.
Trotz des dramatischen Geschehens agieren die SchauspielerInnen mit sparsamen, präzisen Ausdrucksmitteln. Gefühle sind nur bei Birdie und Horace im Spiel, und da wirken sie eher verwirrend und erschreckend als ergreifend.
Das Publikum wird auf Distanz gehalten, auch durch das beeindruckende Lichtdesign von Urs Schönebaum, mit dem, auf der halbdunklen Bühne, einzelne AkteurInnen herausgehoben werden wie in Großaufnahmen im Film.
Während der Szenenwechsel dreht sich das Mobiliar gemächlich bei leiser Musik. Die Zeit vergeht langsam, bei den Hubbards und den Giddens’ herrscht keine Hektik, sie gehören bereits der Vergangenheit an. Eine neue Generation ist schon am Start, wobei Oscars Sohn Leo eine Entwicklung zum noch Schlimmeren zu verheißen scheint.
Moritz Gottwald als Leo ist ein wichtigtuerischer Zappelphilipp, ein eigentlich bedauernswertes Opfer seines Vaters, ein armseliger Schwächling, dem die Empathie ausgetrieben wurde und der auf dem besten Wege zu sein scheint, sich zu einem heimtückischen, rücksichtslosen Menschenschinder zu entwickeln.
Obwohl sie kaum etwas zu sagen haben, sind die beiden jungen Frauen in dieser Inszenierung sehr eindrucksvoll. Jenny König als Hausgehilfin Addie schwebt wie ein guter Geist durch die Räume, eine Frau, die Wärme ausstrahlt. Wenn sie, mit dem Staubsauger in der Hand, konzentriert lauschend dasteht, so geschieht das nicht aus Neugier, sondern aus Besorgnis und Fürsorglichkeit. Addies Sympathie gilt Horace Giddens, den sie vor der Gefahr beschützen möchte, die ihm von seiner Ehefrau droht. Regina begreift, dass sie sich vor Addie in acht nehmen muss, während Oscar, gewohnt, nach oben zu buckeln und nach unten zu treten, die Hausangestellte herumkommandiert wie einen Hund.
Addies Fürsorge gilt auch Alexandra, und obwohl es keine gemeinsame Szene zwischen den beiden jungen Frauen gibt, kommt ihre Vertrautheit deutlich zum Ausdruck. Iris Becher gestaltet die Figur der Alexandra sehr anrührend als zunächst argloses Mädchen, das zu einer kritischen, erwachsenen Persönlichkeit wird. Anfänglich lässt sie sich in die Pläne ihrer Mutter einspannen, obwohl sie Reginas Ausflüchten und Lügen mit erkennbarem Befremden zuhört. Noch ist Alexandra jedoch die gehorsame Tochter einer Mutter, die keinerlei echtes Interesse an ihrem Kind hat.
Nach dem Tod ihres Vaters will Alexandra von ihrer Mutter wissen, wie es dazu kommen konnte, dass Horace auf der Treppe zusammengebrochen ist. Alexandra muss sich jedoch gedulden, denn zunächst führt Regina ein wichtiges Gespräch mit ihrem Bruder Ben. Währenddessen wartet Alexandra oben auf dem Treppenabsatz. Es ist eine grandiose Leistung von Iris Becher, wie sie, schweigend zusammengekauert, deutlich macht, was in Alexandra vorgeht und was sie schließlich, als ihre Mutter endlich Zeit für sie hat, dazu bringt, mit einer wegwerfenden Handbewegung auf diese Unterredung zu verzichten.
Bei der Inszenierung, ein großer Publikumserfolg nicht nur in Berlin, sondern auch bei einem Gastspiel in Paris, wurde von einigen KritikerInnen die Gesellschaftskritik vermisst, die allerdings im Auge der BetrachterInnen liegt. Geld als Zentrum des Lebens, neben dem ideelle Werte völlig nebensächlich sind, ist vielleicht heute noch viel akzeptierter als zu der Zeit, als Lillian Hellman das anprangerte, aber es ist sehr schön, dass Thomas Ostermeier auf den Holzhammer verzichtet hat, der vielleicht angebracht gewesen wäre,
„Die kleinen Füchse“ von Lillian Hellman, sind seit Januar 2014 in der Schaubühne zu erleben. Nächste Vorstellungen: 5. – 9. Juni 2014.