Im Nachhinein ein genialer Schachzug, hier in Bonn eine Kunsthalle für ein Millionenpublikum hinzustellen. Ursprünglich wollte die als politische Zentrale der alten Bundesrepublik immer etwas belächelte Provinzstadt Bonn sich und die reüssierende Republik mit Kunst aufpeppen, aber als es dann soweit war, war Bonn nicht mehr als Bundeshauptstadt vorgesehen. Die Halle dennoch gebaut zu haben, ist für alle Kunstliebhaber des westlicheren Teils Deutschlands ein Gewinn und das große Tankschiff Bundeskunsthalle übersteht auch Turbulenzen wie Direktorengeschaße und andere Zwielichtigkeiten und geht aus den Konflikten strahlend weiß hervor, in die nun die bunte Vielfalt der Moderne aus der Schweiz eingezogen ist.
Wie das? Sehr verständlich, denn das eigene Haus in Winterthur wird renoviert und da die Bilder eh ausgelagert werden mußten, ist es sinnvoll sie in Bonn einem Publikum zu zeigen, das normalerweise nicht mal gleich in Winterthur vorbeikommt, was man unweigerlich tut, wenn man sich Zürich von der Rheinseite her nähert und den direkten Weg über Schaffhausen wählt. Das aber sollte man dann eher wieder tun, wenn das neue Haus die Bilder zurück hat. Denn jetzt hängen 246 Gemälde, Skulpturen und Zeichnungen von 96 Künstlern in Bonn und eh man anfängt die großen Namen aufzuzählen, der Artikel wäre voll, fragt man doch lieber danach, wer beim Gipfeltreffen der Moderne fehlt. Und da gibt es welche und es sind dieselben, die uns bei den großen Sammlungen aus den USA in Israel auffielen, die Wiener um Klimt und Schiele und die deutschen Expressionisten der Brücke mitsamt wichtigen Malern des Blauen Reiters.
Dies ist zu erklären. Bis heute schlägt in den Museen der Welt der Kunstgeschmack durch, der Frankreichs Malerei zum Nabel der Welt erkor. Das war auch für die Blüte des 19. Jahrhunderts verständlich, aber spätestens mit Jugendstil und Expressionismus gab es weitere Kunstzentren als Horte der Moderne und selbst für die neueste Zeit läßt sich an der Sammlung von Winterthur konstatieren, daß bestimmte Kunstrichtungen aus Österreich und Deutschland nicht vorkommen, weder der phantastische Realismus noch eine Malerin wie Maria Lassnig und ein Malerfürst wie Werner Tübke und all die anderen so meisterlichen DDR-Maler auch nicht.
Verstehen Sie das bitte richtig, die Fehlenden mußte man wie bei einem Familientreffen aufzählen, um für die gesamte Feier zu sagen: aber alle anderen waren da. So ist es nämlich. Sie betreten den großen Saal und sind gleich bei Corot und Barbizon, sie sehen Paul Cezánne, der künstlerischer Mentor der Moderne wurde, erstaunlich hier Medardo Rosso, mal nicht in Wachs, sondern eine Bronzebüste, die einen denken läßt, aha, hierher hatte Giacometti seine Ideen. Aber während wir noch an den Franzosen, auch vielen hier nicht so bekannten, vorübergehen, zieht wieder einmal ein Überlebensgroßer von Rodin uns in Bann. Es ist Pierre de Wissant (Guß 1937), auch großer Akt genannt und als Figur den Bürgern von Calais entlehnt. Eigentlich wäre das schon eine Monumentalplastik, aber auf die Idee kommt man gar nicht, so demütig dahingeschmolzen ist der Gestus des jungen Mannes, unterstützt vom Materialprozeß, wo die Bronze längst grün ist. Aber wie eine Musterung laufen Längsstreifen vom Hals über die Brust hinunter und konzentrieren sich am Genital. Übermächtig die Hände und Füße. Aber die Geste voller Anmut und Schmerz. Faunähnliche Öhrlein hat er, das ist uns noch nie aufgefallen. Allein auf der Welt.
Hier allerdings sind die Franzosen um ihn gruppiert, Pissaro, Alfred Sisley und Monet und dort auch das Plakatmotiv, weil sich ein van Gogh immer gut macht: der Postbeamte Roulin von 1888, ein eindrückliches ernstes und menschliches Porträt des großen Künstlers, der zu früh für seine Zeit lebte. Die Ausstellungsdidaktik hat die Gruppen klug zusammengestellt, unter die man Künstler mit einem Begriff einander zugesellt, wobei man immer um die Spannung von Individuum und allgemeiner Kunstrichtung weiß, aber wie sollte man sonst das üppige Kunstleben ordnen? In der Folge kommen sie alle, die in Europa eine Rolle spielten, wobei die Schweizer Ferdinand Hodler, Giovanni Giacometti, Felix Valloton und Alberto Giacometti eine besondere Rolle spielen, aber die Großmeister Renoir und Picasso dennoch die Marschrichtung vorgeben.
Ausgesprochen interessant die Skulpturen, die ein breites Spektrum bieten und wenn wir nun sagen, daß wir dabei nur jemanden wie Barlach vermissen, wiederholen wir uns erstens und zweitens wollen wir uns jetzt wirklich freuen, wer uns hier in dieser Ausstellung alles unter die Augen kommt, wobei uns die Sammlung „Magischer Realismus und Neue Sachlichkeit“ in ihrer Fülle besonders beeindruckte und wir offen sagen, daß schon allein dies Kabinett den Weg nach Bonn lohnt. Wie erst mitsamt aller Bilder und wie erst mit den anderen Ausstellungen dazu. Und wer derzeit nicht nach Bonn kann, kann die Ausstellung später auch in Rovereto oder in Salzburg sehen.
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Ausstellung: bis 23. 8. 2009
Katalog: Gipfeltreffen der Moderne. Das Kunstmuseum Winterthur, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Richter Verlag 2009
Der Katalog bringt die kunstgeschichtlichen Einteilungen mit einem einleitenden Wortteil und den diesbezüglichen Werken und ist somit auch ein Kunstkompendium, das denen weiterhilft, die nicht täglich in Kunstausstellungen gehen.