Gestern, heute, morgen: und die Neuentdeckung des Offenbacher Hafens – Serie: Auf der Route der Industriekultur Rhein-Main bei deren öffentlichen Tagen im August 2009 (Teil 2/2)

Auf den Schlag genau eröffnete Birgit Grün, die zuständige Programmbereichsleiterin für Kulturelle Bildung der VHS-Offenbach. Anschließend ging die Führung mit einer Besichtigung des am Hafen gelegenen Kulturcafés HAFEN 2 los. Andrea Weiß, Mitbegründerin und Kuratorin des Cafés sprach zu Beginn über die Visionen, die vor fünf Jahren zu der Idee geführt hatten, einen kulturellen Treffpunkt innerhalb einer stillgelegten Eisenbahnwartungshalle zu schaffen. Nach anfänglichen harten Jahren zog das Projekt jedoch nach und nach ein immer größer werdendes Publikum heterogener Mischung an. Weiß, die an diesem Nachmittag mit ihrer kleinen Tochter zu der Veranstaltung erschien, zeigte sich stolz und zufrieden über den Erfolg des Cafés, das ihrer Meinung nach heute viel eher die Bezeichnung „Kulturzentrum“ verdient hätte.

Zusätzlich bietet der ehemalige Hafenschuppen, der äußerlich durch seinen markanten Fünfziger-Jahre Baustil und seine sachliche Architektur besticht, eine weitgefächerte Palette von Programmmöglichkeiten an. Neben einem großen Außenareal, das u.a. Einsatz für Open-Air-Konzerte und Kinovorführungen findet, erlaubt ein, sich im Obergeschoss befindlicher Ausstellungsraum im sechswöchentlichen Rhythmus, Künstlern sich und ihre Werke der Öffentlichkeit zu präsentieren. Derzeit gibt die Galerie, die durch ihre von Pflanzen zugewachsen Fenster auf uns sicher auch im leeren Zustand eine mystische Aura ausgestrahlt hätte, Skulpturen und Bilder von Studenten der in Offenbachbeheimatete Hochschule für Gestaltung (HfG) ihre Ausstellungsflächen. Glanzpunkt des HAFEN 2 stellt natürlich die frühere Wartungshalle dar. Gekennzeichnet durch die schweren Außentore, durch die in der Vergangenheit die alte Hafenbahn zur Wartung geführt wurde, dient die Halle heute mit ihrem Fassungsvermögen von bis zu 400 Gästen als Raum für Diskotheken und weitere Veranstaltungen.

Unter Leitung der VHS-Dozentin und Historikerin Christina Uslular-Thiele, zuständig für die vergangene Geschichte des Hafens und der Projektleiterin des Projekts Hafen Offenbach, Daniela Matha, sie sprach über die Zukunft der Anlage, folgte im Anschluss ein Rundgang über das sich gegenwärtig im Umbau befindliche Areal. Während Uslular-Thiele die Vergangenheit des alten Betriebsgeländes durch ihren Fundus an Offenbacher Stadt- und Landgeschichte souverän und anschaulich wiedergab, verwies Matha darauf, dass die Offenbacher sich in den letzten Jahren nicht mehr der Existenz des Hafens wirklich bewusst waren. Und da der Hafen weithin unbekannt sei, fuhr sie fort, „müssen die Offenbacher ihren Hafen neu entdecken.“

Dieser Prozess des Neuentdeckens hat bereits begonnen. Der Erfolg des HAFEN 2 aber auch des Beach Clubs King-Kamehameha verdeutlichen dies. Auch die Stadt Offenbach würde bereits Engagement in Hafennähe zeigen, hieß es weiter, u.a. durch neue Grünanlagen und Nutzmöglichkeiten des Mainufers, wie sie derzeit an vielerlei Stellen zu entdecken sind.

Die Pläne, das Hafenviertel in einen neuen Stadtteil zum Wohnen und Arbeiten umzuwandeln und darüber hinaus Ausdrucksformen für Kultur, Freizeit und Kreativität zu schaffen, zeugen ebenfalls von dieser Transformation. Einziger Wehmutstropfen bleibt dabei jedoch, so wurde es uns erzählt, dass der historische Hafen mit seiner expressiven Architektur in dieser Metamorphose verloren gehen wird. Das wirft allerdings Fragen des Denkmalschutzes auf und die generelle Frage, warum sich beides nicht vereinen ließe.

Denn der Hafen blickt immerhin schon auf eine lange Geschichte zurück. Seine Hochzeit erlebte er zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit zunehmender Industrialisierung wuchs das Interesse der am Main gelegenen Städte, sich den Fluss nutzbar zu machen. Nach der Kanalisierung des Flusses in den 1880er Jahren siedelten sich zunehmend neue Industrieunternehmen in der Region an. So z.B. die von den Brüdern Christoph und Georg Heyne 1896 errichtete Gebrüder Heyne-Fabrik. Dieser, heute noch immer in Hafennähe befindliche Komplex, bietet mittlerweile, mit seiner Nutzung als Kreativzentrum für Werbe- und Internetagenturen, Architekten, Mode- und Kunstschaffende einen Schmelztiegel für Kunst, Kultur und Innovation an.

Bis 1902 war dann auch die Errichtung des Hafens an seinem heutigen Standort abgeschlossen und dieser diente fortan als Umschlagplatz u.a. für Getreide, Kohle und Baustoffe. Ein schwachindustrielles Zentrum war geboren, dessen Entwicklung bereits mit Ausbruch des ersten Weltkriegs ins Stocken geriet. In der Folgezeit des Krieges gewann der Hafen eine neue gesellschaftliche Aufgabe und diente als Fläche für diverse Mainbäder wie etwa für das Strandbad Leicher, dass in den sportlichen 1930er Jahren zu einem attraktiven Vorzeigebad mit Liegewiese, Wasserrutschbahnen und einem Restaurant ausgebaut wurde. Durch die schwere Zerstörung, die den Hafen im zweiten Weltkrieg fast auslöschte, verschwanden die Bäder jedoch wieder und der Hafen geriet daraufhin in Vergessenheit. Doch dies soll bald der Vergangenheit angehören.

Die Zukunft verspricht eine optimale Mischnutzung für das 256.000 m ² große Hafengelände. Wohnstätten, Geschäfte und Büroanlagen sollen dort später genauso zu finden sein wie Parkanlagen und Maingärten. Eine neue Lebensqualität am malerischen Hafenbecken wird angestrebt. Gänzlich auf seine Vergangenheit verzichten wird der Hafen dabei dann aber doch nicht. Zwei der großen, in blau gehaltenen Kräne, ebenso einige der Silos, die heute das Mainufer in Offenbach schmücken, wurden bereits für eine zukünftige Verwendung erworben.

Als letzte Etappe der Führung und noch dazu als „besonderes Schmankerl“ wurde uns mit ausklingendem Nachmittag die Besichtigung der parallel zum HAFEN 2 gelegenen, ehemaligen Ölhalle angekündigt. Diese, seit Juli 2009 bereits als Ausstellungsort für HfG-Studenten in Benutzung, lud auch an diesem Tag mit einer bunten Mischung an Abschlussarbeiten zu fachkundigen Gesprächen unter den Führungsteilnehmern ein.

Daniele Matha zufolge wird mit den Bauarbeiten für die ersten Gebäude spätestens im nächsten Jahr begonnen. Vollständig realisiert sein soll das Projekt dann bis 2020. Noch bleibt also Zeit, sich den Hafen im gegenwärtigen Zustand ein letztes Mal anzusehen und diesen „transhistorischen Moment“, der sich zwischen Vergangenheit und Zukunft aufgetan hat, persönlich einzufangen und zu erleben.

Tage der Industriekultur Rhein-Main 2009: Fokus: Häfen und Flugplätze – 18. – 23. August 2009, http://www.route-der-industriekultur-rhein-main.de

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