Gestalten der deutschen Revolution von 1848/49: Carl Schurz, von der badisch-pfälzischen Revolution in den nordamerikanischen Bürgerkrieg

Carl Schurz, 1877. Foto: M.B. Brady gemeinfrei

Berlin, Deutschland (Weltexpress). In Baden begann vor 75 Jahren, am 11. Mai 1849 mit dem Aufstand in der Festung Rastatt die letzte Etappe der deutschen Revolution von 1848/49. Die Erhebung griff rasch auf alle anderen Landesteile über und erfasste auch die Pfalz. In der sich formierenden badisch-pfälzischen Revolutionsarmee kämpften herausragende demokratische Persönlichkeiten, zu denen der damals erst 19jährige Bonner Student Carl Schurz gehörte. Ausgangspunkt seines Weges war die Februarrevolution 1848 in Frankreich und die danach aufflammende revolutionäre Entwicklung in Deutschland, die ihn, wie viele seiner Generation, unwiderstehlich in die Reihen ihrer Kämpfer trieb. „Unter dem Eindruck der sich zuspitzenden Ereignisse entwickelte sich Carl Schurz vom unverbindlichen Liberalen zum revolutionären Demokraten, der sich nicht mehr mit einer konstitutionellen Monarchie, mit der sich die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche begnügen wollte, zufriedengab, sondern angesichts der starren Haltung der reaktionären deutschen Herrscher „eine unteilbare deutsche Republik“ forderte. Sein Leben als Revolutionär und die abenteuerliche Flucht nach der Niederlage bei Rastatt an der Murg aus der von den Preußen besetzten Festung und der Verfolgung durch die preußische Reaktion hat er im ersten Band seiner Lebenserinnerungen beschrieben 1 und im zweiten 2 seinen Neuanfang als 23 jähriger Emigrant in den USA, wo er von Lincoln zum Generalmajor ernannt, am amerikanischen Bürgerkrieg teilnahm. Es ist Memoirenliteratur vom Feinsten, spannend geschrieben, historisch genau und subjektiv ehrlich.

Im Frühjahr 1848 stürzte sich Schurz unter dem Einfluss seines Professors Gottfried Kinkel 3 Hals über Kopf in das politische Leben, gründet demokratische Vereine, wurde nach der Märzrevolution anerkannter Führer der revolutionären Studenten und schließlich Redakteur der „Neuen Bonner Zeitung“, dem Publikationsorgan der Bonner Demokraten. Nach dem Ausbruch der badisch-pfälzischen Revolution im Mai 1849 trat er in die Revolutionsarmee ein und wurde Adjutant von Fritz Anneke, der die pfälzische Artillerie kommandierte. An der Murglinie nahm er an der letzten Schlacht teil. Nach der Niederlage gehörte er zu den Einheiten, die sich in die Festung Rastatt zurückzogen, die von den Preußen bereits am 30. Juni völlig eingeschlossen wurde.

Der standrechtlichen Erschießung durch General Graf von der Gröben, dem Befehlshaber des preußischen Korps, der als erste der Festungskommandant Oberst Tiedemann und 27 seiner Offiziere zum Opfer fielen, entging Schurz mit zwei Kameraden durch eine abenteuerliche Flucht. Mit Hilfe von Arbeitern hielten sie sich vier Tage auf dem Boden einer Ziegelscheune, unter der preußische Kavallerie einquartiert war, versteckt, ehe sie durch eine Kloake aus der Festung kriechen konnten.

Kinkel war zum Tode verurteilt worden und saß im Zuchthaus Spandau, aus dem ihn Schurz im Herbst 1850 in einem tollkühnen Handstreich befreite. Von der preußischen Polizei steckbrieflich verfolgt, hielt sich Schurz zunächst in Paris und London auf und begab sich 1852 in die USA, wo allein in dem Jahrzehnt zwischen 1851 und 1860 zweieinhalb Millionen, vorwiegend nach der Revolution vertriebene Europäer, darunter 950.000 Deutsche, Zuflucht fanden. 4

In London gehörte Schurz zu den Anhängern von Oberst August Willich, der in der Revolutionsarmee ein Freikorps kommandiert hatte, und, wie andere Revolutionsteilnehmer der Illusion verfiel, einer neuen bewaffneten Erhebung zum Ausbruch zu verhelfen. „Nach anfänglicher Begeisterung wendete sich Schurz von diesem Treiben ab“, schreibt Klaus Schmidt in seiner Biographie über „Mathilde Franziska und Fritz Anneke“, in der Schurz als alter Freund der Annekes immer wieder auftaucht. 5

In den USA bauten sich Schurz und seine Frau Margarethe, Tochter des Hamburger Fabrikanten Meyer, eine Existenz auf. Margarethe eröffnete nach den Lehren des Pädagogen Friedrich Fröbel den ersten Kindergarten in Amerika. Schurz ließ sich als Anwalt nieder, stürzte sich aber schon bald wieder in die politische Arbeit und wurde enger Mitstreiter von Abraham Lincoln, den er als einen entschiedenen Gegner der Sklaverei sah und zu dessen Sieg bei der Präsidentenwahl 1860 er nicht unerheblich beitrug. In einem Brief schrieb Lincoln ihm: „So begrenzt unsere Bekanntschaft noch ist, kein Mann steht meinem Herzen näher als Sie.“ Schurz wurde „ein Mann, der in Amerika Respekt und Berühmtheit als Anwalt, Journalist, Diplomat, Generalmajor im Bürgerkrieg, U.S.- Senator und Kabinettsmitglied erlangte“, fasst der US-Historiker Bruce Levine zusammen. 6 Lincoln schickte Schurz zunächst als Gesandten nach Paris, dann nach Madrid und ernannte ihn im Bürgerkrieg zum Generalmajor der Unionstruppen, in deren Reihen aus der badisch-pfälzischen Revolutionsarmee auch deren Oberbefehlshaber Franz Sigel, August Willich, Fritz Anneke und andere kämpfen. Schurz gehörte zu den fähigsten Militärs, und Friedrich Engels, der ihm, wie Marx auch, oft kritisch gegenüberstand, zollte dem „tapfren Schurz“ in einem Brief an Joseph Weydemeyer im November 1864 Respekt. 7

Am Ende des steilen politischen Aufstiegs stand die Wahl zum Senator (1869-75) und schließlich die Ernennung zum Innenminister (1877-81). Keiner der deutschen Revolutionäre von 1848/49 hat in den USA einen derart erfolgreichen Weg zurückgelegt, was nicht ohne Kompromisse von statten ging. Trotzdem blieb Schurz´ Ziel, wie ihm Lincoln bescheinigte, „eine Regierung des Volkes durch das Volk und für das Volk“. Sein hohes Ansehen in den USA führte auch in Deutschland zu gewissen Korrekturen. Selbst Bismarck empfing den General 1868 bei einem Besuch freundlich. Er verwies auf aus der Immigration heimgekehrte Liberale und ließ durchblicken, dass auch einer Rückkehr für Schurz nach Preußen und sogar einer öffentlichen Stellung nichts im Wege stünde. 8 Schurz durchschaute die Verlockungen, die das Ziel verfolgten, die einstigen Revolutionäre in das reaktionäre preußische System zu integrieren.

Die erfolgreiche Karriere täuschte Schurz nicht darüber hinweg, dass die meisten seiner demokratischen Ideale letzten Endes auch in den USA scheiterten. Wie die bürgerliche Revolution von 1755 bis 1783 blieb auch die demokratische Bewegung, die im Bürgerkrieg gipfelte, unvollendet. Die Beseitigung der Sklaverei war ein durch die Volksmassen auf revolutionärem Weg erkämpfter Fortschritt, der das Haupthindernis der kapitalistischen Entwicklung und der bürgerlichen Demokratisierung beseitigte. Der Großgrundbesitz blieb im Süden erhalten, die Sklaverei wurde nur formell aufgehoben, die schwarze Bevölkerung erhielt keine volle staatsbürgerliche Gleichheit und wurde durch den Ku-Klux-Klan-Terror wieder entrechtet

Schurz trat entschieden gegen die zunehmende Korruption im Beamtensystem auf und wandte sich gegen den Expansionismus, insbesondere den Krieg gegen Spanien und den Versuch, die Philippinen zu erobern. Als Innenminister, dem das Indianerressort unterstand, versuchte er engagiert, die Interessen der Ureinwohner wahrzunehmen. Seine Lebenserinnerungen, die 1906 das erste Mal erschienen, widerspiegeln die tiefe Sorge, welche die Entwicklung in den USA, die in das imperialistische Stadium eintraten, bei ihm hervorrief.

Das demokratische Amerika bewahrte Schurz ein ehrendes Andenken. Am Sockel einer Statue, die am Hudsonufer in New York steht, ist zu lesen: „Carl Schurz. 1829-1906. Dem Verteidiger der Freiheit und Freund menschlicher Würde“. 1983 wurde Carl Schurz zusammen mit Wilhelm von Steuben 9 mit einer Medaille gewürdigt, die gleichzeitig an die drei Jahrhunderte deutscher Migration in die USA erinnern sollte.

Anmerkungen:

1 Vorwort zu „Carl Schurz. Sturmjahre. Lebenserinnerungen 1829-1952“, Berlin/DDR 1977, S. 11f.

2 „Unter dem Sternenbanner“, ebd.

3 Evangelischer Theologe, Professor für Kunst- und Literaturgeschichte, entschiedener Demokrat.

4 Die Angaben schwanken, in anderen Quellen ist von 700.000 die Rede.

5 Klaus Schmidt: „Mat­hil­de Fran­zis­ka und Fritz An­ne­ke. Eine Bio­gra­phie“, Köln 1999.

6 In: Achtundvierziger – Forty-Eighters. Die deutsche Revolution von 1848/49, die Vereinigten Staaten und der amerikanische Bürgerkrieg. Münster 2000, S. 43.

7 Marx Engels Werke, Bd. 31, Berlin/DDR 1965, S. 425.

8 Unter dem Sternenbanner, S. 440 ff.

9 Wilhelm von Steuben, preußischer Offizier, Adjutant Friedrich des Großen, nach Konflikt mit Mitglied des Hochadels aus der Armee entlassen, ging 1777 nach Nordamerika, von George Washington im Unabhängigkeitskrieg zum Generalmajor und Generalinspekteur ernannt, trug er durch systematische Ausbildung und Disziplinierung der Armee beträchtlich zum Sieg über Großbritannien bei.

Anmerkung:

Siehe auch die Beiträge

im WELTEXPRESS.

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