
Berlin, BRD (Weltexpress). Nachdem am 17./18.Oktober 1989 im Politbüro der SED Mitglieder mit Ministerpräsident Willi Stoph an der Spitze ihren langjährigen Generalsekretär Erich Honecker, dessen Politik sie widerspruchslos mitgemacht hatten, zum Rücktritt gezwungen hatten, 1 kam auch in den Redaktionen der Medien für viele die „Stunde der Abrechnung“. Ihre Zielscheibe wurde vor allem Joachim (Achim) Hermann, im Zentralkomitee Verantwortlicher für Agitation und Propaganda und damit für die Anleitung aller Medien. Nach der „Wende“ sahen nicht wenige von ihnen in ihm den Verantwortlichen für ihre Bevormundung und ergingen sich in üblen Attacken gegen ihn, bis zu Anklagen, er sei ein „bösartiger Mensch“ geworden, der „durchs Telefon brüllte“ und nur noch Honeckers „Politbürobote“ gewesen sei. So titelte das auch sein langjähriger Stellvertreter in der „jungen Welt“, Manfred Gebhardt, in einem Beitrag in deren Ausgabe vom 28. Oktober 2008: „Auf der Höhe. Vom Büro- zum Politbüroboten“.
Ich will die gravierenden Probleme in der Gängelei der Medien nicht herunterspielen, aber zur Differenzierung einige Erfahrungen aus meiner eigenen Arbeit anführen. Als Auslandskorrespondent für „ADN“ und das „Neue Deutschland“ in Rom (1973 bis 1979) lernte ich bei nicht wenigen Arbeitsterminen Achim Hermann, meinen Chef im „ND“, näher kennen. Wie Günter Pötschke im ADN 2 genoss er den Ruf eines talentierten Journalisten, der von der Pike auf an die Spitze gekommen war. Jahrgang 1928, in einem Berliner Arbeiterbezirk geboren, kam er aus den ärmsten Schichten des Proletariats, hatte es dennoch, sicher auf Grund seines sprichwörtlichen Fleißes, geschafft, die Realschule zu absolvieren. Nach dem Krieg begann er als 17jähriger in einem Berliner Verlag als Zeitungspacker zu arbeiten. Später wurde er Bürobote. Er ging einen selbst für DDR-Verhältnisse fast einmaligen Aufstieg, war bereits 1950 stellvertretender Chefredakteur der „jungen Welt“ und wurde zwei Jahre später Chef der FDJ-Zeitung. 1962 wurde er Chefredakteur der „Berliner Zeitung“, die einen traditionsreichen Ruf besaß. Viele Leser wussten gar nicht, dass sie Organ der Bezirksleitung der SED war. Und so ging es für Achim weiter auf der Karriereleiter: Chef des kurzzeitig gebildeten Staatssekretariats für westdeutsche Fragen, eines Pendant des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen in Bonn, Aufnahme ins Zentralkomitee der SED, Chefredakteur des Zentralorgans „Neues Deutschland“ und schließlich als Mitglied ins Politbüro.
Er stand im Ruf fleißig, gewissenhaft und korrekt zu sein, ein journalistischer Leiter, der sein Metier aus dem ff beherrschte, war in allen Zeitungen ein beliebter Kollege, freundlich im Umgang mit den Mitarbeitern. Auch wenn man ihn ein „Arbeitstier“ nannte, war das nicht abschätzig, sondern anerkennend gemeint. Seine Bescheidenheit war sprichwörtlich, aber natürlich und ungekünstelt. Ebenso war seine Frau Gisela. Als er nach Wandlitz 3 umsiedeln musste, blieb sie in der Woche, aber oft auch über Sonnabend/Sonntag in Berlin in einer kleinen Wohnung und arbeitete als Kulturchefin in der „Berliner Zeitung“ weiter.
Nach Werner Lamberz‘ Tod 4 wurde Achim Hermann 1978 dessen Nachfolger als Verantwortlicher für Agitation und Propaganda im Zentralkomitee und war damit für die Anleitung aller Medien zuständig, was schon vor ihm allgemein als Gängelei und Bevormundung empfunden worden war.
Aber es war schon so, dass von da ab seine Beliebtheit unter den Kollegen rapide sank. Die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen entbehrten eigentlich nur eines Fakts. So haben es alle, auch auf den unteren Stufen der Ebene, gemacht. Eingeführt wurde diese widerspruchslose Unterordnung übrigens nicht erst von Achim Hermann, sondern generell mit Honeckers Amtsantritt als Parteichef. Ich habe das als Redaktionsleiter für Bildung, Wissenschaft und Technik im „ADN“ selbst erlebt, u. a., als ich über die Umbenennung der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin in Akademie der Wissenschaften der DDR im Oktober 1972 zu berichten hatte. Bei dem Staatsakt im Staatsratsgebäude erhielten wir eine vorbereitete Nachricht, mit der Bemerkung, daran nichts zu verändern, in die Hand gedrückt. Ich habe, bevor ich nach Vietnam ging,5 unter Walter Ulbricht 6 noch eine andere Praxis kennen gelernt. Als Redakteur in der Innenpolitik war ich damals bereits für Termine im Staatsrat zuständig. Da war es dem Berichterstatter noch völlig selbst überlassen, das Thema zu gestalten. Und es war üblich, dass Ulbricht so viel Zeit fand, sich mal bei den Journalisten blicken zu lassen. Übrigens haben wir in der Redaktion an der Nachricht über die Akademieumbenennung stilistisch einiges verändert, ohne das es Probleme gab.
Was Achim Hermann im Auftrag Honeckers später den Leitern der Medien auftrug, haben diese, wie bereits gesagt, meist ohne Widerspruch entgegengenommen und so gegenüber ihren Mitarbeitern durchgesetzt. Und das waren die nachgeordneten Chefs der Bereiche, Abteilungen und Redaktionen. Das traf zum Beispiel auch auf Wolfgang Meyer zu. Nach mehreren Auslandseinsätzen, unter anderem als Korrespondent des „ADN“ bei der UNO in New York, wurde er 1971 Nachrichtenchef und wechselte dann zur Agitationskommission des ZK der SED. Von dort avancierte er zum Leiter der Hauptabteilung Presse des Außenministeriums, erhielt seine Weisungen direkt von Honecker und führte sie so aus. In dieser hochrangigen Funktion war er auch Medienkoordinator der Auslandsreisen Honeckers. Er galt als Pressesprecher der Partei- und Staatsführung. Für solche Aufgaben mussten Journalisten in der DDR eine hohe fachliche Qualifikation mitbringen. Über sie verfügte Meyer mit seinen Auslandserfahrungen, soliden Sprachkenntnissen, hervorragenden redaktionellen Fähigkeiten und einem ausgezeichneten Organisationstalent ohne jeden Zweifel. Was ihn für diesen Posten aber besonders prädestinierte, war – im Urteil von Mitarbeitern –, dass er ohne jeden Widerspruch und ohne von seinen sicher begrenzten Möglichkeiten der Kritik Gebrauch zu machen, alle Weisungen bedingungslos ausführte. Drei Vaterländische Verdienstorden und die Ehrenspange dazu waren der Lohn für solche Treue. Zu seinem Werdegang muss man nun sehen, dass er in der Modrow-Regierung 7 im Herbst 1989 Regierungssprecher im Ministerrang wurde. Mehr als nachdenklich stimmen musste nun, dass frühere Spitzenfunktionäre wie Meyer ihre eingeübte Linie der Anpassung und Unterordnung auch unter veränderten Bedingungen fortsetzten, dabei viele ihrer bisherigen Überzeugungen bedenkenlos über Bord warfen und sich, ganz nach dem Beispiel des Ministerpräsidenten, in keinerlei Hinsicht zu dem zu erwartenden Schicksal der DDR bei einem Anschluss an die Bundesrepublik äußerten. Hinzu kam, dass die DDR-Journalistin Edith Spielhagen 1993 unter dem sicher diffamierenden Titel „So durften wir glauben zu kämpfen“ eine Schrift herausgab, in der Wolfgang Thierse im Vorwort zur Gründung der DDR bemerkte, sie sei eine „Mischung aus Irrationalität und Brutalität, von Byzantinismus und Banalität“ gewesen. Der spätere Bundestagspräsident stellte den sozialistischen deutschen Staat durch die Phrase von „insgesamt 60 Jahren zweier unterschiedlicher autoritärer Regimes“ mit der faschistischen Diktatur auf eine Stufe. Wolfgang Meyer hinderte das nicht, sich an diesem Produkt mit einem Beitrag „DDR-Medien im demokratischen Aufbruch“ zu beteiligen und der „Bürgerrechtsbewegung“, die sich mehrheitlich der Konterrevolution anschloss, zu bescheinigen, es sei ihr „um eine bessere, d. h. demokratische DDR“, gegangen.
Achim Herrmann hat sich, im Gegensatz zu solchen Verbiegungen früherer Mitarbeitern nach der „Wende“ zu seiner Arbeit öffentlich nicht geäußert, nichts relativiert, nichts widerrufen. Er verstarb am 30, Juli 1992. Wenn man dem Prinzip folgt, vom Positiven auszugehen, dann kann ich nur sagen, ich habe Achim Hermann in Erinnerung als einen Menschen und Kollegen, der sich für die DDR als eine bessere und sozial gerechte Gesellschaft einsetzte und dabei seine Kräfte nicht schonte. Die Geschichte hat schon immer ihren Weg über Irrtümer und Fehler genommen.
Anmerkungen:
1 „Vor 36 Jahren stürzte das Politbüro der SED seinen Generalsekretär Erich Honecker – In der Partei begann eine regelrechte Selbstzerfleischung“, Beitrag in „Weltexpress“, 23. Oktober 2025. URL: Vor 36 Jahren stürzte das Politbüro der SED seinen Generalsekretär Erich Honecker – In der Partei begann eine regelrechte Selbstzerfleischung von Gerhard Feldbauer
2 Auch er begann als Redakteur, stieg zum Chefredakteur auf und war zuletzt Generaldirektor.
3 Die Waldsiedlung Wandlitz in der Bernauer Ortschaft nördlich von Berlin war für führende Personen der DDR mit ihren Familien militärisch abgesicherter Wohnsitz.
4 Lamberz stürzte während eines Besuchs bei Libyens Staatschef mit einem Großraum-Hubschrauber Super Frelon beim Start zum Rückflug von einem Treffen mit Gaddafi in dessen Wüstenresidenz in Wadi suf al Jin ab. Bei dem Absturz kamen alle elf Insassen ums Leben, darunter der Leiter der ZK-Abteilung für Internationale Verbindungen, Paul Markowski, und mein Kollege, der Fotoreporter Hans Joachim Spremberg. Die Ursachen des Absturzes waren umstritten.
5 1967 bis 1970 Leiter des „ADN“-Büros in Hanoi.
6 Von 1950 bis 1971 Erster Sekretär des ZK der SED, am 1. Juli 1973 verstorben. Honecker führte nach seinem Amtsantritt den Titel Generalsekretär wieder ein.
7 Siehe den Beitrag Spurensuche zum Untergang der DDR – Hans Modrows „Deutschland einig Vaterland“ stellte faktisch die DDR zur Disposition von Gerhard Feldbauer im WELTEXPRESS, 3. Juli 2025.
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