Albi, Frankreich (Weltexpress). Das südfranzösische Departement Tarn bekennt sich zu einer der schillerndsten Figuren des Montmartre.
Der Weg hinauf zum Montmartre war steil und steinig. Ein Pfad der Tugend war er jedoch nicht. Denn hier im Künstlerviertel der französischen Metropole lockte stets auch das amouröse Abenteuer. Mit vielversprechenden Verheißungen zog es als Rotlichtmilieu die Menschen in seinen Bann. Und es erwies sich dabei stets als ein bis zum Rand gefüllter Honigtopf, in den viele mit hohen Erwartungen begierig hineintappten und der süßen Verführung wehrlos erlagen.
Zu ihnen gehörte auch Henri de Toulouse-Lautrec, für den das Schicksal zunächst andere Lebensfreuden und -aufgaben bereithielt. Als Spross einer Adelsfamilie aus dem südfranzösischen Departement Tarn stand ihm die ganze Welt offen. Denn das Schicksal legte ihm einen Karriereweg in die Wiege, von dem Andere nur träumen konnten. Zum Beispiel den Besuch der weit über die Grenzen hinaus bekannten Eliteschule von Sorèze. Oder das luxuriöse Leben auf einem der Schlösser und Weingüter, die zum ausgedehnten Familienbesitz gehörten.
Schmerzhafter Schicksalsschlag
Und doch hatte das Schicksal Anderes mit ihm vor und versagte ihm ein unbefangenes Leben voller Genuss und ungetrübter Lebensfreude. Denn ausgerechnet in seinem prächtigen Geburtshaus in Albi geschah das Unglück, das ihn für den Rest seines Lebens von vielen Aktivitäten ausschloss, die er bislang praktiziert und geliebt hatte.
Denn hier verhedderte sich nach einem gemeinsamen Ausritt mit dem Vater sein Fuß in der Schlaufe seiner Reitpeitsche. Dabei verlor er das Gleichgewicht und fiel zu Boden. Die Folge war ein Beinbruch, dessen Entzündung, soviel steht heute fest, trotz fachmännischer Behandlung einfach nicht heilen wollte. Dies wiederum hatte zur Folge, dass das Wachstum gegenüber dem anderen Bein um mehrere Zentimeter zurückblieb. Eine schmerzhafte Perspektive, musste er doch fortan mit ansehen, wie sich seine Lebensqualität zunehmend verengte.
Neue Schaffensperiode
Immerhin war er noch in der Lage, seine Eltern zu deren ausgedehnten Familienbesitztümern zu begleiten. Unter anderem in die französische Hauptstadt, die ihm im Unterschied zu der lieblichen Landschaft am Tarn ein völlig neues Lebensgefühl vermitteln musste. Bis heute ist nicht völlig klar, was ihn damals bewog, seine geliebte Heimatstadt am Tarn aufzugeben und sie gegen die Seine-Metropole einzutauschen. War es vor allem die innere Verbitterung über seine körperliche Versehrtheit, die ihn zur Flucht antrieb?
Oder sah er als ein seit Kindesbeinen künstlerisch begabter Mensch eine Gelegenheit, die ihm neuen Lebenssinn eröffnen sollte? Und die zugleich in diesem überaus leichtlebigen Milieu eine neue Sinnlichkeit in ihm freilegte? So spricht in der Tat vieles für einen Perspektivwechsel ohne Bitterkeit, zumal die Werke dieser Schaffensperiode eine innere Gelassenheit ausstrahlen. Offenbar hatte er am neuen Ort auch seine neue Identität gefunden.
Alltag der Prostitution
Den Beweis dafür erbringt das Toulouse-Lautrec-Museum in Albi, in dem sich die überwiegende Mehrzahl seiner Zeichnungen und Gemälde befindet. Vor allem ist es das Porträt von Aristide Bruant, des Sängers mit dem roten Schal, das sich im Laufe der Zeit zu einem seiner künstlerischen Markenzeichen entwickelt hat. Zugleich sind es jedoch die Werke aus dem Rotlichtmilieu des Montmartre, die ohne moralischen Zeigefinger das Alltagsleben der Prostituierten abbilden.
Ohne größere Emotionen zu zeigen, entledigen sich die Damen ihrer Kleidungsstücke. Dabei zeigen sie natürlich auch oberhalb des Fußknöchels stets etwas mehr von ihrer Körperlichkeit, als es die Moral der damaligen Zeit zuließ. Knisternde Spannung ruft beispielsweise das Gemälde hervor, das die zum Liebesakt bereiten Damen geduldig ausharrend in ihrem Warteraum zeigt. Gleichsam ein Detail aus dem Sittengemälde der damaligen Zeit?
Genuss- und Lebensfreude
Auch wenn Toulouse-Lautrec seinen Aktionsrahmen nach Paris verschob, hat er doch während seiner Sozialisation einige Charakterzüge seiner Heimat am Tarn in seinem innersten Wesen abgespeichert. So jedenfalls sieht es Christian vom Departement Tarn, der die Zusammenhänge kennt wie sonst niemand. Für ihn ist es erwiesen, dass der Künstler selbst nach seinem Fortgehen die heimische Genuss- und Lebensfreude beibehielt.
Und seine Heimat dankte es ihm, dass er selbst über seinen biografischen Umweg zum Ansehen der Region am Tarn wesentlich beitrug. Überall ist er präsent, liebevoll präsentiert bis in die Details. So in Albi im „Restaurant Le Pont“. Hier kann man ein Mittagessen unter dem Namen „Menu Toulouse-Lautrec“ bestellen. Eine Wahl, die wegen des schmackhaften Fisch-Hauptgerichts und des Blickes auf die Brücke der Tarn niemand bereut.
Cassoulet-Leckerbissen
Im Gespräch zeigt sich, dass Henri als Kenner der heimischen Küche selbst ein Kochbuch aus seinem kulinarischen Repertoire hervorzaubere. Mit Gerichten wie dem Cassoulet, einem deftigen Eintopf in einem Tongefäß, der ein wahres Geschmackserlebnis auslöst. Es ist eine Kombination von Lamm-, Gans- und Schweinefleisch, die auf der Grundlage von weißen Bohnen in einem aufwendigen Verfahren gegart wird. Im Restaurant „Le Tournesol“ von Sorèze beherrscht man die Technik der Zubereitung besonders gut.
Ein spezielles Erlebnis steht auch in der Markthalle von Albi bevor. Erbaut im Jahr 1901, finden sich hier alle Leckereien der heimischen Landwirtschaft wieder. Der ausgefallenste Treffpunkt jedoch ist die Metzgerei „Millas“, ein Familienbetrieb, der sich durch hohe Gastfreundschaft auszeichnet. Schnell füllt sich die kleine Sitzecke mit Gästen, die sich bei ausgelassener Stimmung die Schinken- und Wurstleckereien bei einem guten Roséwein munden lassen. Fürwahr ein Ort des unverfälschten Genusses!
Romantische Weinberglage
Auch das Dorf „Lautrec“ erinnert allein vom Namen her an den Künstler. Der mittelalterlichen Ortschaft wird von Lokalpatrioten sogar der Titel „eines der schönsten Dörfer Frankreichs“ zugesprochen. Im nahen Schloss von Montfa stand nicht nur die Wiege der Adelsdynastie Toulouse-Lautrec, sondern hier wurde auch der Vater von Henri geboren. Darüber hinaus wird an diesem Ort auch die Tradition der Pastel-Indigo-Farbe gepflegt, woraus in einem aufwendigen Eintauch-Verfahren weiße Stoffe in verschiedenen Tönen naturblau gefärbt werden.
Auch das ansehnliche Schloss Mauriac befand sich einst im Besitz der Familie Lautrec. Wem jedoch die Geschichte vom Mord an Hugues III. von Lautrec die Stimmung verdirbt, findet ganz in der Nähe das Chateau de Salettes. Romantisch gelegen an einem Weinberg, erweist es sich zweifellos als geeignet zum Ausklang einer Reise auf den Spuren des Künstlers Toulouse-Lautrec. Sicherlich hätte auch der sich an einem lauen Sommerabend in dieser zauberhaften Umgebung ebenso wohl gefühlt wie auf dem Montmartre.
Fotoreportage
Siehe auch die Fotoreportage: Toulouse-Lautrec in Albi am Tarn von Dr. Bernd Kregel.
Reiseinformationen „Tarn“:
Anreise: Mit dem PKW über Toulouse; mit der Bahn oder dem Flugzeug (z.B. Lufthansa über München) nach Toulouse, von dort weiter mit dem Mietwagen.
Reisezeit: Ganzjährig; allerdings empfehlen sich die Sommermonate
Reiseziele: Sorèze: ehemalige Abtei-Eliteschule mit Teppichmuseum, www.abbayeecoledesoreze.com; Castres: www.tourisme-castres.fr; Chateau de Montfa: www.chateau-montfa.com; Albi: www.albi-tourisme.fr; www.musee-toulouse-lautrec.com; Mauriac: www.chateaudemauriac.com; Chateau des Salettes: www.chateaudesalettes.com
Übernachtung: Castres: Grand Hotel de Castres, www.grandhoteldecastres.com; Albi: Hotel Alchimy Albi, www.alchimyalbi.fr; Cahuzac sur Vère: Chateau de Salettes, www.chateaudesalettes.com
Essen und Trinken: Sorèze: Restaurang Galerie d’Art Le Tournesol, Facebook: https://www.facebook.com/Restaurant-Le-Tournesol-Albi-592278187815617/; Castres: La Table du Sommelier, Facebook: https://www.facebook.com/pages/La-Table-du-Sommelier/162200960485957; Albi: Le Lautrec, www.restaurant-le-lautrec.com; Le Pont du Tarn, www.lepontdutarn.com; La Bastide, www.cave-labastide.com
Auskunft: Tourisme Tarn
Anmerkung:
Die Recherche wurde von Tourisme Tarn unterstützt.