Geist und Materie – Serie: Ernst Barlach als Bildhauer und Zeichner im Leopoldmuseum in Wien (Teil 1/3)

Ernst Barlach: Entwurf zum Güstrower Mal, 1926

Ernst Barlach gehört zu denen, dem die Nazis ihr Schild der „entarteten Kunst“ um den Hals hängten, was gleichbedeutend nicht nur Ausstellungsverbot, sondern Arbeitsverbot bedeutete, das derart gebrandmarkte Künstler nur listig überwanden. Barlachs, 1870 in Wedel geboren, künstlerische Doppelbegabung für sprachliche und bildnerische Gestaltung ward schnell offensichtlich und wurde gefördert und durch eine Ausbildung als Maler und Bildhauer an der Kunstakademie Dresden professionalisiert. Er studierte in Paris und war Stipendiat der Villa Romana in Florenz. Sein weithin unbekannte Frühwerk zeigt ihn als Adepten von Symbolismus und Jugendstil. Einschneidend war für ihn seine Rußlandreise 1906, wo er das Bild von einfachen, in sich ruhenden Menschen fand, denen er mit der geschlossenen Form ein auratisches Abbild schuf, das ein für alle mal eines seiner gestalterischen Mittel blieb.

Wie viele Künstler hatte er den Ersten Weltkrieg 1914 begeistert begrüßt und ebenso schnell wie seine Kollegen die Kriegsmaschinerie abgelehnt, ja bekämpft, nachdem er sie kennengelernt hatte. Seine pazifistische Grundeinstellung kann man nicht nur der Thematik seiner Kunstwerke entnehmen, sondern auch seinen Dramen, die heute leider fast unbekannt sind. Zunehmend wurde Barlach auch ein öffentlicher Künstler, der bis 1933 Aufträge für Ehr- und Mahnmale erhielt, die anschließend von den Nazis wieder entfernt (insgesamt 400 Werke) und – wie man es bei der Schwebenden aus Güstrow, wo er seit 1910 lebte, weiß – für deren Kriegsmunition eingeschmolzen wurden. Nach 1945 wurde zum Beispiel diese Skulptur neu gegossen und viele weiteren auch, die Grundlage der Ausstellung sind. Barlach steht also auch als Künstler exemplarisch für diejenigen, denen der Nationalsozialismus zwar das Leben, nicht aber ihre Arbeitsmöglichkeiten ließ und vor allem nicht die Achtung und Beachtung schenkte, die ihrer Kunst zukommt und die Künstler brauchen. Ernst Barlach starb verbittert 1938.

Wenn nun das Leopoldmuseum einen in den 50er Jahren in der Bundesrepublik kurzzeitig als Heroen geschauten, in der DDR stabil als Bauerngestalter Geehrten, heute als achselzuckend Bejahten erstmals zu einer Retrospektive nach Österreich holt, ist das schon kulturhistorisch eine überfällige Tat. In drei Räumen finden die oft kleinfigurigen Plastiken Platz, die im Inneren als Block und Straße zusammenstehen und die Wände für die Zeichnungen freilassen. Meist. Denn gleich zu Beginn, zur Begrüßung also, wenn der Blick auf den „ Singenden Mann“ fällt, vielleicht die bekannteste Figur von Barlach mit dem geöffneten Mund und dem beseelten, himmelwärtigem Singen bei geschlossenen Augen, reißt es den Blick nach rechts, wo an der Wand der „Schwebende Engel“ hängt und eine Zeichnung den Entwurf, der bis 1912 zurückreicht, skizziert. Das Friedliche bleibt in beiden Medien gleich. Natürlich wirkt eine Skulptur, die in der Luft hängt, eindrücklicher. Beim genaueren Vergleichen sieht man dann aber, daß Barlach entweder weitere Zeichnungen fertigte oder beim Gestalten der Figur diese abänderte.

Der Mantel ist es, der Ärmel, der anders fällt, das, was auf der Zeichnung als Mantellösung interessant mit dem gefälteten und abfallenden Gewand aussieht, erhielt in der Bronzeskulptur, die durch die Farbgebung etwas Hölzernes enthält, nein, nicht übertragen gemeint, sondern wie Material aus Holz aussieht – eine interessante Variante, die er sein Leben lang durchspielt, sehen Bronzen wie Holz aus, vermeint man seine Holzskulpturen seien aus Bronze – erhielt also in Bronze durch die stark ausgeprägten Längsrippen einen Schwung, der trotz der ruhigen Liegelage dieser Figur etwas Dynamisches verleiht. So kann man gleich am Anfang sich festsehen und dieses bewegungslose Schweben studieren, das Barlach 1927 gelang, Denn eigentlich haben schwebende Figuren immer eine Tendenz. Sie schweben nach oben, wie es für uns die Zeichnung tut, auch wenn der Text sie fallen läßt, sie fallen ab oder bewegen sich nach vorne. Dieser Engel als Ausdruck des Friedens schwebt über uns und wenn wir erst nachher Barlachs eigenen Kommentar lesen; „ In den Engel ist mir das Gesicht von Käthe Kollwitz hineingekommen, ohne daß ich es mir vorgenommen habe. Hätte ich so etwas gewollte, wäre es wahrscheinlich mißglückt.“, sagen wir: „Wir hatten es nicht gesehen, stimmen aber zu.“ Und verweisen auf die zusätzliche Käthe Kollwitz Ausstellung, die Rudolf Leopold aus seinem Bestand zusammengestellt hat. Tatsächlich ist diese bedeutende Künstlerin im Kontext Barlachs richtig angesiedelt, kommt aber bei uns heute angesichts der vielen Plastiken Barlachs zu kurz.

Denn wir stehen vor den dicht zusammengedrängten Kleinskulpturen, die uns anziehen und die Blätter an den Wänden, die ihre Entwürfe zeigen oder auch eigene Thematiken haben, auf später verweisen. Der „Singende Mann“ ist Blickfang und eben als Augenfänger sofort als Barlach zu identifizieren. Barlach schuf ihn 1918, da war er schon 58 Jahre und das Hingegossene des Sängers drückt jede Pore aus, von der man bei der Bronze natürlich nicht sprechen kann, aber gerade die Vertiefung, die geschlossenen Augen, der geöffnete Mund, mache diese doch tote Figur außerordentlich lebendig. Und entsteht ein Drang, den das Museum leider nicht befriedigen kann: Man möchte zu gerne die Figur anfassen, das Material erspüren, sie streicheln. Barlachs Figuren haben etwas unwillkürlich Haptisches. Das geht uns auch bei anderen Plastiken so, aber das ist im Museum verboten und hätte auch glänzende abgegriffene Stellen zur Folge. Mehr allerdings nicht.

Warum man hier beim „Singenden Mann“ sofort an Kirche denkt? Wir auf jeden Fall tun es, obwohl die Haltung des lässig auf dem Boden Sitzenden und seine Hände um das aufgestellte Knie Schließenden doch ganz und gar nicht so aussehen. In erster Linie ist es der Kopf, die Rundfrisur und die Versunkenheit, die uns an etwas zumindest Jenseitiges gemahnt, vielleicht auch die Mönchskutte, an die dieser Überwurf erinnert, sicher aber die zum Ausdruck kommende Intensität die Religiöses assoziiert. Hier sitzt der Sänger und kann nicht anders und wird vom Ausstellungslicht geschickt eingehüllt. Wir reißen uns los und kommen zu den eigentlichen Kleinskulpturen, die uns völlig überraschen, auch, weil wir viele nicht kennen, was eine Fortsetzung erforderlich macht.

* * *

Ausstellung:

bis 25.5.2009

In Kooperation mit dem Ernst Barlach Haus Stiftung Hermann F. Reemtsma, Hamburg

Kataloge:

Der Bildhauer Ernst Barlach. Skulpturen und Plastiken im Ernst Barlach Haus, hrsg. von Sebastian Giesen u.a., Ernst Barlach Haus, Hamburg 2007

Der Zeichner Ernst Barlach. Bestandskatalog der Zeichnungen im Ernst Barlach Haus, hrsg. von Sebastian Giesen u.a., Ernst Barlach Haus, Hamburg 2002

Das Museum Leopold tut gut daran, seine Ausstellung auf die umfänglichen Kataloge des Ursprungsortes, des Ernst Barlach Hauses in Hamburg, zu stützen, denn diese bieten wirklich Grundlagenmaterial über diese Ausstellung hinaus an. Sie finden in den Büchern neben einführenden Essays, eben auch solchen zum Material, zu allen Werken ausführliche einzelne Darstellungen, die Ihnen nach dem Museumsbesuch diesen beim Durchblättern gegenwärtig machen. Es ist nämlich ein Geheimnis um den menschlichen Blick und seine Erinnerungsfähigkeit im Gehirn. Hätte man das Buch ohne die Ausstellung betrachtet, dann wäre es auch ein interessantes Kompendium. Aber nach der Ausstellung bringt einem jeder Anblick auf das fotografische Abbild einer Figur, diese im dreidimensionalen Kontext wieder vor das innere Auge und das heißt auch, daß eine Ausstellung sich immer wieder erneuern und vertiefen kann. Hinzu kommt eine kleine Schrift mit den notwendigen Angaben, die sich nennt:

Broschüre zur Ausstellung „Ernst Barlach und Käthe Kollwitz, Leopold Museum 2009

Reiseliteratur:

Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005
Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch

Tipp:

Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.

Anreise:

Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.

Aufenthalt:

Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien). Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.

Mit freundlicher Unterstützung von Air Berlin, dem Wien Tourismus, der Wiener Festwochen und diverser Museen und den Hilton Hotels Wien.

Vorheriger ArtikelGeist und Material – Serie: Ernst Barlach als Bildhauer und Zeichner im Leopoldmuseum in Wien (Teil 2/3)
Nächster ArtikelDer öffentliche Feind – Engel mit schmutzigem Gesicht – “Todestrieb” vollendet Jean-Francois Richets Gangsterepos „Public Enemy No. 1“