Fairplay war gestern – vielleicht auch nie. Für Florian (Fabian Hinrichs), Otto (Christian Bach), Christian (Christian Ahlers) und Henning (Maxim Mehmet) ist die Verehrung für Eintracht Braunschweig zum Kult ausgeartet. Das Meisterjahr ihres Vereins haben sie sich in die Haut eingebrannt. Nur in ihrer gemeinsamen Anhängerschaft fühlen die Freunde noch entfernt Anerkennung und Rückhalt. In provozierten Schlägereien mit Fans anderer Vereine leben sie ihre angestauten Aggressionen aus. Das Wutgefühl stauen die Figuren in ihrem frustrierenden Alltag an. Florian will lieber sein Diplom machen als in das Unternehmen seines Vaters (Bernahardt Schütz) einzusteigen. Zu Özlem (Melika Foroutan), der Schwester seines Kumpels Tamer (Fahri Ogün Yardim), hat er eine unstete Beziehung. Otto will sich und seinen Freunden seine Homosexualität nicht eingestehen und zeigt ein zunehmend abstoßendes, aggressives Verhalten. Florian übertrifft ihn in der Gewalttätigkeit noch. “Ich verstehe ja, dass brauchen Jungs mit 17 – aber mit dreißig?”, fragt Özlem irritiert. Die lebensuntauglichen vier Fußballfanatiker brauchen es. Einzig Tamer kümmert sich um seinen todkranken Vater und die Familienkneipe. Der Horizont der anderen hört hinter dem Tor auf.
“Rausgehen aus Braunschweig? Wohl verrückt geworden!” Von Fußballfans hat “66/67 – Fairplay war gestern” ein denkbar schlechtes Bild. Otto ist beleidigend. Henning wohnt noch bei seinen Eltern und lässt sich von Mama Frühstück machen. Mehr als um Eintracht Braunschweig dreht sich Florians Welt um ihn selbst. “Am Ende des Tages stehen alle Türen offen, oder?”, sagt er. Nicht, wenn man mit Mitte dreißig immer noch auf elterliche Geldzuwendungen angewiesen ist, Fremde grundlos zusammenschlägt und mit unerträglichem Egoismus seine Mitmenschen vergrault. Was Florian zur “archaische” Tugend der Treue und des Zusammenhalts verklärt, ist das verzweifelte Klammern an das Letzte, was seinem unerfüllten Alltag einen Sinn gibt. Immer weiter driften die Charaktere ins soziale Abseits. In der Schilderung dieses für sie selbst unmerklichen Abstiegs, der in bizarrem Gleichklang mit dem ihres Vereins steht, liegt das filmische Potential. Doch “66/67 – Fairplay war gestern” überspielt die düsteren Seiten seiner Figuren, statt sie zu ergründen. Özlem und Tamer bleiben die einzig erträglichen Figuren, besetzt mit den überzeugendsten Akteuren. Doch seine besten Darsteller verbannt “66/67” wie die interessanteren Handlungskonflikte auf die Ersatzbank. Christian wird sogar zum Gewaltverbrecher. “Fairplay war gestern” gilt auch für die Sicht der Regisseure auf Fußballfans. Wir alle standen schon mal zwischen einer Horde grölender Fahnenschwinger im Zug eingezwängt, doch nicht jeder Fußballfan ist von so üblem Charakter wie die Protagonisten des Dramas.
Paradoxerweise scheint “66/67 – Fairplay war gestern” als Film für Fußballfans angelegt zu sein. Ein Stadion von innen sieht man jedoch nur anlässlich eines abgelehnten Heiratsantrags. Welche Frau gibt einem Kerl das Ja-Wort, der sie für eine Vereinsjacke verlassen würde, noch dazu, wenn er solche Kumpels hat? Wenn die mal auf ein Bier vorbeikommen”¦ Die Bemühungen Glasers und Ludwigs, der hartnäckigen Treue ihrer Figuren, wenn sie bei Rowdytum zusammenhalten, einen Hauch Heroismus abzugewinnen, wirkt deplaziert und mündet in unfreiwillige Komik. So verkündet Otto: “Das Bekenntnis versagt zu haben, ist die Königsdisziplin.” In der ist “66/67 – Fairpaly war gestern” fast Tabellenführer.
* * *
Titel: 66/67 – Fairplay war gestern
Deutschland 2009
Genre: Drama
Kinostart: 19. November 2009
Regie: Carsten Ludwig, Jan-Christoph Glaser
Drehbuch: Jan-Christoph Glaser
Darsteller: Fabian Hinrichs, Christoph Bach, Melika Foroutan, Maxim Mehmet, Fahri Ogün Yardim
Laufzeit: 116 min.
Verleih: Farbfilm
Internet: www.farbfilm-verleih.de