Forsa-Chef Manfred Güllner agiert als Wahlkämpfer – Wahlforschung beauftragt prekäre Telefoninterviewer

Loriots nackte Tatsachen anlí¤sslich seines Todes im Klebeformat. © BH

Zulässige Meinungsäußerung

Bernd Lucke darf weiter "Lügen-Lucke" genannt werden – entschied kurz vor der Wahl das Landgericht Hamburg in einem Blitz-Urteil (Az 324 O 502/13), nachdem der Betroffene per Anwalt eine kostenpflichtige Unterlassung von Güllner einforderte. Dagegen wiederum zog Güllner vor Gericht und bekam jetzt umfassend recht: Die Bezeichnung „Lügen-Lucke“, so argumentierten die Hamburger Richter, sei „unter dem Gesichtspunkt des ,Rechts zum Gegenschlag’“ eine zulässige Meinungsäußerung. Darüber hätte Loriot geschmunzelt und inspiriert durch Justitias spontanes Ansinnen, beide Kontrahenten mit niedlicher Knollennase nachgezeichnet: "Lügen-Lucke" und "Tele-Manni"  im Wahlkampf-Duett in Badehose und Taucherschnorchel in der Hand vor einer Badewanne, gefüllt mit Wählerstimmen.
                                                                                                   
Spielräume durch Kleinrechnung

Lucke hatte in einem Interview Ende August den Meinungsforschern von Allensbach und Forsa vorgeworfen, seine neu gegründete Partei absichtlich zu benachteiligen. „Die Forschungsinstitute nutzen den Spielraum der statistischen Analyse, um uns kleinzurechnen", so Lucke im „Handelsblatt". Er habe für seinen Vorwurf „eindeutige Hinweise von Mitarbeitern der Wahlforscher", sagte Lucke. „In den Rohdaten von Allensbach und Forsa liegen wir deutlich über fünf Prozent. Wahlkämpfer Bernd Lucke  reagierte gelassen. „Diese einstweilige Verfügung von Forsa ist ein durchsichtiger Versuch, uns zu zwingen, unsere Quellen offen zu legen. Dies werden wir aber auf keinen Fall tun“, so die Reaktion Bernd Luckes, Sprecher der Alternative für Deutschland, auf den Beschluss des Kölner Landgerichts.

Datenservice von moniTel

Loriots nackte Tatsachen anlässlich seines Todes im Klebeformat. © BHDie Kölner Richter hatten dem Antrag des Umfrageinstituts Forsa auf eine einstweilige Verfügung stattgegeben. Darüber hinaus zeigte sich Lucke verwundert, dass ihn das Landgericht Köln nicht zur Sachlage angehört hatte. Für "Forsa-General" Manfred Güllner ergibt sich nun die Notwendigkeit seine 1.200 Interviewer davon abzuhalten, bei künftigen Telefonumfragen statt den Namen "Bernd Lucke" nicht den Namen "Lügen-Lucke" zu verwenden. Zur Zeit stehen dem Unternehmen 300 Bildschirm-Telefoninterviewplätze in Berlin und Dortmund zur Verfügung. Genaugenommen verfügt Forsa nach eigenen Angaben über nur 60 festangestellte Mitarbeiter. Die Interviewer am Berliner Alexanderplatz, die meist zwischen 17 und 21 Uhr die Telefonleitungen zum Glühen bringen sind in der Regel freie Mitarbeiter, die  nicht mit Forsa, sondern mit der Firma Monitel GmbH Gesellschaft für Datenservice und -organisation einen Vertrag geschlossen haben, die unweit von der Forsa Zentrale in Berlin-Mitte ihre Geschäftsräume hat.

Ohne Lohnfortzahlung im Krankheitsfall

„Die freien Mitarbeiter erhalten im Jahr ein Stundenhonorar von acht Euro. Davon müssen sie einen Euro gleich wieder abgeben, als Miete für die Technik und ihren Arbeitsplatz in den Geschäftsräumen von Forsa. Urlaubsgeld, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Betriebsrat gibt es nicht. Selbst wenn die Beschäftigten auf die Toilette gehen, müssen sie sich abmelden und werden für diese Zeit nicht bezahlt," so schilderte die Gewerkschaft ver:di anno 2010 die realen Arbeitsverhältnisse bei den "Politikflüsteren" am Alex. . Pro Schicht telefonieren allein in Berlin rund 200 Studierende, Rentner, Nebenberufler und „Hartz-IV-Aufstocker/innen" an fünf Tagen in der Woche für Forsa. Sie rufen Privatleute an und fragen sie im Auftrag der Kunden nach ihrer Meinung. Dass im Jahr 2010 die Interviewer in diesen vier Stunden nicht mehr als 28 Euro brutto verdienten, wußten ihre Gesprächspartner nicht. ZDF und RTL, Verlage wie Bauer und Bertelsmann, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Krankenkassen, Banken – die auf der Homepage veröffentlichte Kundenliste des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen mbH, ist lang und prominent.

Unprofessionelle Nähe

Manfred Güllner - Firmengründer, Kanzlerflüsterer und Wahrheitsforsche aus Berlin. © TKIn Sachen Wählermeinung steht „Forsa-General“ Güllner mit klare Meinung zu den Alt-Parteien und ihren Vertretern. Dem 71-Jährigen, der das Forsa-Institut 1984 gründete, ist keiner der etablierten Parteizentralen unbekannt. Dem in Remscheid aufgewachsenen studierten Soziologen, Sozialpsychologen und Betriebswirt wurde seinerzeit eine unprofessionelle Nähe zur SPD-Regierung von Gerhard Schröder nachgesagt. Auch gegen diese Behauptung aus den Reihen der CDU erwirkte Güllner damals eine einstweilige Verfügung. Güllner kennt Alt-Kanzler Gerhard Schröder seit den siebziger Jahren, er feierte mit Schröder, als der 1998 die Wahl gewonnen hatte, und er war zur Hochzeit mit Doris eingeladen. Seit 1964 ist er Mitglied der SPD. „Lügen-Lucke" – so der Terminus des Wahlforschers –  hingegen war nach eigenen Angaben knapp 30 Jahre passives Mitglied der CDU.

Durchgreifende Arbeitsvermittlung

Nachdem der Sozialdemokrat Gerhard Schröder als Kanzler einer rot-grünen Koalition die Arbeitsmarktreformen, die auf Vorschlägen der »Kommission moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« (unter Leitung von Peter Hartz) beruhten, durchgesetzt hatte, erschloss sich mittels durchgreifender, technisch-organisatorischer Verbesserung der Arbeitsvermittlung für Forsa ein neues Geschäftsmodell für eine effektivere Personalrekrutierung – Human Ressources a la Fließband. Mittels neu eingerichteter Personal-Service-Agenturen,  die Aufwertung der Leiharbeit, die Förderung von geringfügiger Beschäftigung, die Förderung von Selbstständigkeit aus der Arbeitslosigkeit sowie die Verschärfung von Regeln über die Zumutbarkeit angebotener Arbeit konnte Forsa sein erforderliches Personal für computergestützte Telefonumfragen (CATI) ziemlich leicht aufstocken. Im August 2008 wurde die moniTel Gesellschaft für Datenservice und -organisation mbH  von Köln aus  (letzter Handelsregistereintrag in Köln Dezember 2005) nach Berlin verlegt.

Angeleitet durch Forsa Supervisor

Die Personal-Agentur moniTel vermietete laut Aussage der Ex-Geschäftsführerin Stephanie Bachnick, über tausend freie Mitarbeiter an das Unternehmen Forsa, die dann in den Geschäftsräumen der Forsa arbeiteten. Die Personal-Agentur moniTel beschäftigte selbst nur drei Mitarbeiter. Angeleitet werden die freien moniTel Leute durch Forsa Supervisor. Der Umbau der staatlichen Arbeitsverwaltung zur Bundesagentur für Arbeit durch Hartz IV (2005), die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum neuen Arbeitslosengeld II veränderte die Profitorientierung computergesteuerter Organisationen: drei Mitarbeiter einer winzigen GmbH mit einer Einlage von 25.000 Euro konnten innerhalb weniger Jahre bis heute durchschnittlich per anno mehr als 1000 Personen gleichzeitig an einen Kunden  vermieten – ein Vergleich zu moderner Sklaverei sei höflichst angemerkt.

Widerlegter Wahlkämpfer

Grete Götze - Bloggerin, FAZ Redakteurin und Wahrheitssucherin aus Berlin. © FRParteichef Lucke warf den Meinungsforschern von Forsa vor, Zahlen kleinzurechnen – und kassierte dafür jetzt einen juristischen Maulkorb. Forsa-Chef Güllner begrüßte die Gerichtsentscheidung – und lästerte über "Lügen-Lucke". Das Landgericht Köln untersagte Lucke nun vorläufig, Behauptungen zu verbreiten, wonach die AfD in den Rohdaten von Forsa deutlich über der Fünfprozenthürde liege. Wenige Tage  vor der Bundestagswahl 2013 schwenkte der selbsternannte „Wahlkämpfer“ Manfred Güllner,  der mit seiner Familie in Berlin lebt, um und traute der AfD einen Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde zu. Güllners etwas unstrukturierte, aber wahltangierende und wahlbeeinfussende Begründung lautete, dass die AfD  mit ihrer Anti-Euro-Kampagne rechtspopulistische bis rechtsradikale Wähler anziehe, die sich jedoch nicht offen zur Partei bekennen würden. Vielleicht Stoff für einen juristischen Gegenschlag? Für Luckes Euro-Skeptiker kam der Maulkorb vom Gericht gar nicht so ungelegen, wie es zunächst scheinen mag. Die AfD inszenierte sich mit geschickter PR als Opfer einer Art Verschwörung des Medien-Mainstreams, der gegen die vermeintlich aufrechten Euro-Skeptiker anschreibt und -sendet. In diesem Punkt  ist die AfD der Piratenpartei gar nicht unähnlich. Die persönliche Analyse vom „Wahlkämpfer“ Güllner wurde durch das offizielle Endergebnis der Bundestagswahl 2013 und der fairen Analyse zahlreicher Wahlbeobachter widerlegt, Lucke verfehlte sein Wahlziel um knapp 0,3 Prozent.

Analyse

„Die Partei Alternative für Deutschland (AfD) weiß seit dem Urnengang der Bundesbürger, wen sie anspricht. Daraus kann sie Schlüsse für die anstehenden Europawahlen sowie die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ziehen. Außerdem kann die AfD die Daten zur sozialen Herkunft ihrer Wähler nutzen, um ein Parteiprogramm zu formulieren. Ausgehend von einer kleinen engagierten Kernwählerschaft hat sie es vermocht, Protestwähler an sich zu binden. Und entgegen der Annahme, die aus einer eurokritischen Professorenvereinigung hervorgegangene Partei werde vor allem Akademiker an die Wahlurne locken, kommen die mehr als zwei Millionen Wähler aus allen Bevölkerungsschichten. Den größten Zuspruch hat die Partei von Arbeitern erfahren. Die Wähler waren, ähnlich wie jene der Piratenpartei, vor allem Männer. Eine weitere Gemeinsamkeit mit der Piratenpartei besteht darin, dass die AfD in allen politischen Lagern Zustimmung fand. 430.000 ehemaligen FDP-Wählern folgen an zweiter Stelle 340.000 enttäuschte Linkspartei-Wähler, auch 210.000 vormalige Nicht-Wähler konnte die Partei mobilisieren. Nicht umsonst betont Parteichef Bernd Lucke seit der Parteigründung immer wieder, dass die AfD nicht konservativ sei, sondern aus der Mitte der Gesellschaft komme und nach unideologischen Lösungen suche,“ so äußerte sehr kompetent und sachlich sich die 30-jährige Bloggerin und Journalistin Grete Götze mit einem Kommentar in der FAZ vom  24. September 2013.

Arbeitnehmerüberlassung

Das Unternehmen moniTel verlegte schon im Jahre 2012 seinen Hauptsitz nach Dortmund, ohne die Berliner Geschäftsräume zu verlassen. Gleichwohl funktioniert die Geschäftsverbindung mit Forsa in den Callcentern Berlin, Frankfurt und Dortmund nach wie vor. Stephanie Bachnick hat das Unternehmen mittlerweile verlassen und firmiert als Rechtsanwältin im selben Gebäude in der Almstadtstraße 7 in Berlin Mitte  mit einer eigenen Kanzlei. Laut Angaben gut informierter juristischer Kreise ließen zahlreiche Arbeitsgerichtsprozesse ihres Ex-Arbeitgebers moniTel den Verdacht aufkommen, ob der bisherige Status der freien Mitarbeiter im Forsa-Gebäude nicht eine illegale Arbeitnehmerüberlassung darstellt. Nach dem Gesetz brauchen Firmen, die Beschäftigte an andere Unternehmen ausleihen, dafür eine Genehmigung. Manchmal ist eine nüchterne Analyse härter als jeder Spitzname. "Der beste Platz für Wahlforscher ist der Platz am Telefon. Dort sind sie nicht für alle erreichbar. Das Grundrecht auf Wahlgeheimnis bleibt gewahrt, auch ohne Zufallsgenerator, garantiert fälschungssicher."

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