Finnland kapert Schiff wegen Unterseekabel – EU-Staaten auf dem Weg zur Piraterie?

Helsinki, Finnland.
Ein Blick auf den Hafen der finnische Hauptstadt Helsinki. Quelle: Pixabay

Berlin, BRD (Weltexpress). Seit Monaten werden, bezogen auf die internationalen Gewässer rund um Europa, zwei Behauptungen aufgestellt: dass es immer wieder Akte der Sabotage gäbe, und dass eine russische „Schattenflotte“ die Umwelt gefährde. Nun werden damit gefährliche Handlungen gegen die Eagles begründet.

Es ist keine Lappalie, was sich Finnland da geleistet hat. So berichtet die Welt über den Vorfall: „Nach dem Ausfall eines Unterseestromkabels nach Estland haben die finnischen Behörden einen aus Russland kommenden Öltanker in der Ostsee unter ihre Kontrolle gebracht. Das auf der Cook-Insel registrierte Schiff ‚Eagle S‘ wurde am Donnerstag von der finnischen Küstenwache geentert, wie ein Vertreter der Küstenwache auf einer Pressekonferenz sagte. Diese habe das Kommando übernommen und das Schiff in finnische Gewässer gesteuert.“

In der deutschen Berichterstattung wird so getan, als handele es sich dabei um eine völlig legitime Handlung. Dabei kann das, was die finnische Küstenwache da getan hat, durchaus als Kriegshandlung betrachtet werden, selbst wenn man übersieht, dass das Ziel der Propaganda der letzten Monate eine (Teil-)Blockade der russischen Ostseehäfen zu sein scheint.

Die Begründung, die die finnischen Behörden liefern, lautet, es sei ein Stromkabel in der Ostsee beschädigt worden, und besagter Tanker stehe im Verdacht, dafür verantwortlich zu sein. Zudem soll er zur „russischen Schattenflotte“ gehören.

Es handelt sich dabei um den Tanker Eagles (dass viele deutsche Medien Eagle S schreiben statt Eagles, belegt nur, wie eifrig der Fehler abgeschrieben wurde; kann jeder durch Eingabe der IMO 9329760 selbst überprüfen), 2006 in China gebaut, der am 23. Dezember im Hafen Ust-Luga eintraf und diesen am 24. Dezember wieder in Richtung Port Said verließ, eine Strecke, die andeutet, dass das Ziel der Fahrt entweder Indien oder China heißt. Derzeit liegt sie in der Ostsee vor Anker. Die Eagles fährt unter der Flagge der Cook-Inseln, der Rohöltanker hat bereits mehrere Besitzerwechsel hinter sich.

Es handelt sich nicht um ein Schiff, das regelmäßig Öl aus Russland fährt – im vergangenen Jahr beispielsweise fuhr es Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate an, eindeutig keine Adressen, an die es Öl geliefert hat. Im Sommer 2023 gab es den letzten Besitzerwechsel, davor gehörte es Empire Navigation in Athen. Derzeit gehört das Schiff der Caravella Llc. in Dubai und wird von Peninsular Maritime India in Maharaschtra gemanagt. Letzteres legt nahe, dass auch die Besatzung zu großen Teilen aus Indien stammen könnte.

Die Tagesschau meldet in Bezug auf die Eagles, „der Tanker habe seinen Anker verloren, hieß es bei einer Pressekonferenz“. Im Zusammenhang mit dem Vorwurf, genau dieses Schiff habe ein Unterwasser-Stromkabel beschädigt, ein interessantes Detail. Vorausgesetzt, man wirft einen Blick in die UN-Seerechtskonvention: „Art. 29 Jeder Staat hat die erforderlichen gesetzgeberischen Maßnahmen zu treffen, damit die Schiffseigentümer, die beweisen können, dass sie einen Anker, ein Netz oder ein anderes Fischfanggerät geopfert haben, um die Beschädigung eines unterseeischen Kabels oder einer unterseeischen Rohrleitung zu vermeiden, vom Eigentümer des Kabels oder der Rohrleitung entschädigt werden, sofern sie zuvor alle angemessenen Vorsichtsmaßnahmen getroffen haben.“

Das weist darauf hin, dass der Verlust des Ankers gerade andeutet, besagte Eagles habe alles unternommen, um eine derartige Beschädigung zu vermeiden. Und es deutet gleichzeitig an, dass der finnische Staat mitnichten das Recht hat, ein fremdes Schiff deswegen festzuhalten, sondern vielmehr nach dem Seerecht verpflichtet wäre, den Anker zu ersetzen.

Angesichts des finnischen Vorgehens ist fast zu bedauern, dass nicht einmal die Fracht russisches Eigentum sein dürfte. Auch bei Tankern, insbesondere bei solchen, die keine feste Route fahren, sondern für Einzelaufträge gemietet werden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die transportierte Ware bereits dem Endabnehmer gehört und längst nicht mehr dem Verkäufer. Mit anderen Worten, es ist durchaus möglich, dass das einzig russische an der Eagles der Hafen ist, den sie zuletzt angefahren hat.

Rechtlich handelt es sich um Staatsgebiet der Cook-Inseln, und auch für den Fall, dass Finnland irgendjemanden wegen jener Beschädigung des Kabels verfolgen wolle, besagt das Seerecht, dass eine derartige Verfolgung nur in dem Staat möglich ist, in dem das Schiff registriert ist. Auf den Cook-Inseln im Südpazifik also. Keinesfalls hat Finnland das Recht, ein fremdes Schiff festzuhalten, weil aus irgendwelchen reichlich dünnen Gründen angenommen – oder eher, nur behauptet – wird, dieses Schiff habe etwas mit dem Kabelschaden zu tun. (Und ganz ehrlich, allmählich halte ich die ganze Kabelnummer für eine Inszenierung.)

Man könnte fast denken, es wurde mit Bedacht keines der Schiffe gewählt, die tatsächlich unter russischer Flagge fahren, weil es auf diese Weise möglich ist, eine direkte Auseinandersetzung mit Russland zu vermeiden, die es gäbe, brächte die finnische Küstenwache ein russisches Schiff auf.

Aber gehen wir noch einmal zurück zur Argumentation mit der „Schattenflotte“. Wie schreibt darüber die Tagesschau in ihrem Artikel zur Eagles?

„Zur Schattenflotte gehören Schiffe, die Russland beim Export von Rohöl helfen. Teilweise illegal, indem sie EU-Sanktionen umgehen.“

Nun, diese Formulierung zeigt eine gefährliche Neigung zum rechtlichen Nihilismus. Denn auch die EU, gleich, aus wie vielen Staaten sich dieses Monstrum zusammensetzt, besitzt Jurisdiktion nur dort, wo das Recht ihrer Mitgliedsstaaten greift. Auf internationalen Schifffahrtswegen greift es nicht, dort gilt die Seerechtskonvention. Ob das nun Ursula von der Leyen und dem finnischen Präsidenten gefällt oder nicht. Neben der Seerechtskonvention gilt dann noch auf jedem Schiff das Recht des Staates, unter dessen Flagge er fährt, weil die Beflaggung bzw. die Registrierung eines Schiffes in einem bestimmten Staat das Schiff zum Hoheitsgebiet dieses Staates macht.

Es mag ja sein, dass mit dem ökonomischen Abstieg in einigen europäischen Ländern die Neigung zurückkehrt, das früher sehr beliebte Gewerbe der Piraterie wieder aufzunehmen, aber schon die Aktion der finnischen Küstenwache ist außerhalb des rechtlich Zulässigen. Die Kontrolle über ein fremdes Schiff zu übernehmen, das in internationalen Gewässern fährt, ist gemäß Artikel 22 der Seerechtskonvention nur zulässig, wenn ein ernstlicher Grund zur Annahme besteht, dass das Schiff Seeräuberei oder Sklavenhandel betreibt oder dass es eigentlich der eigenen (in diesem Fall also finnischen) Nationalität angehört und die gesetzte Flagge falsch ist.

So viel zum Recht. Übrigens gelten die gleichen Grenzen auch für die Sanktionen, die die EU so gerne verhängt. Man kann sich in Brüssel gerne einbilden, Bestimmungen über Transporte und Waren zu treffen, die sich außerhalb der EU befinden (im Falle eines Schiffes unter fremder Flagge auf einem internationalen Schifffahrtsweg geradezu doppelt), aber es gibt keine rechtmäßigen Mittel, um diese Einbildung auch durchzusetzen. Denn wie bereits erwähnt, die Eingriffe, die so zusammenfantasiert werden, unter anderem von Vertretern der baltischen Staaten, sind Kriegshandlungen und schwere Verstöße gegen die Seefahrtskonvention, die womöglich zur Folge haben könnten, dass ganz andere Staaten, Indien beispielsweise, auf die Idee kommen, eventuell Schiffe, die Waren aus der EU befördern, ganz besonders gründlich zu inspizieren. Auch wenn Brüssel es nicht begreift, das Spiel kann nicht nur einer spielen.

Nun, es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder, das ganze Theater dient rein propagandistischen Zwecken und ist nach innen gerichtet, um die Bevölkerung der EU-Staaten noch ein wenig länger für den ukrainischen Krieg zahlen zu lassen. Oder aber es ist tatsächlich beabsichtigt, Schiffe, die russisches Öl für Nicht-EU-Kunden auf internationalen Seewegen an EU-Gebiet vorbei transportieren, anzuhalten oder gar an der Durchfahrt zu hindern. Dann wäre der nächste Schritt vermutlich, dass der eine oder andere Tanker von SCF unter russischer Flagge und mit Begleitung aus Ust-Luga oder St. Petersburg startet. Und kein Gesetz der Welt besagt, dass diese Begleitung über Wasser erfolgen muss. Ebenso, wie kein Gesetz der Welt einem Staat untersagt, auf eine kriegerische Handlung gegenüber einem eigenen Schiff zu reagieren. Die finnische Küstenwache könnte ja schon mal Tauchkurse buchen.

Das Verblüffendste an der ganzen Geschichte ist jedoch, dass alle Medien jedes Mal ganz folgsam den größten Unfug abschreiben. Das war schon so, als die Atlantic Navigator II in Rostock festgehalten wurde, das ist so bei allem, was mit der „Schattenflotte“ und den entsprechenden Sanktionen zu tun hat, und das ist so, wenn es um angebliche Sabotageakte geht. Als wären völkerrechtliche Verträge nie erfunden worden, in denen man nachlesen kann, was man auf offener See so darf und was nicht. Oder als litten die Berichterstatter der Presse unter einer derart schweren Leseschwäche, dass sie völlig unfähig sind, die Grenzen der gelieferten dpa-Meldung zu überschreiten.

Anmerkung:

Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn wurde unter dem Titel „Finnland kapert Schiff wegen Unterseekabel – EU-Staaten auf dem Weg zur Piraterie?“ am 26.12.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.

Siehe auch den Beitrag

im WELTEXPRESS

Anzeige:

Reisen aller Art, aber nicht von der Stange, sondern maßgeschneidert und mit Persönlichkeiten – auch Reisen durch Finnland –, bietet Retroreisen an. Bei Retroreisen wird kein Etikettenschwindel betrieben, sondern die Begriffe Sustainability, Fair Travel und Slow Food werden großgeschrieben.

Vorheriger ArtikelSich findend in der Stille der Zeit
Nächster ArtikelKreml: Verweigerung der Hilfe für russische Seeleute durch norwegisches Schiff empörend