Ewige Liebe geht durch den Magen – Wang Quan ´an eröffnet den Wettbewer der Berlinale mit seinem Chinesischen Drama „Tan Yuan – Apart Together“

Nüchtern ließt die Enkeltochter einen Brief über einen angekündigten Besuch herunter. Vor über fünfzig Jahren hätte er ihre Großmutter Qiao (Lisa Lu) glücklich gemacht. Damals wurden sie und ihr Verlobter Liu (Ling Feng) im Bürgerkrieg nach der Kulturrevolution getrennt. Liu, Soldat im Kampf gegen die Kommunisten, konnte von Taiwan nicht in die Volksrepublik China zurückkehren. Nun ist den Veteranen die Rückkehr erlaubt worden. Den gealterten Liebenden steht kein ungetrübtes Wiedersehen bevor. Lius taiwanesische Frau ist verstorben, Qiao ist jedoch mit Lu (Xu Caigen) verheiratet. Lius Bitte, mit ihm nach Taiwan zurückzukehren, stürzt Qiao in einen tiefen inneren Konflikt. Nur erahnen kann man diesen seelischen Kampf,sichtbar wird er nicht. Qiao schweigt, als habe sie nichts zu sagen in den Verhandlungen, welche um ihr Verlassen der Familie geführt werden. Ihr Ehemann hat gegen ihr Fortgehen keine Einwände, die erwachsenen Kinder wollen für den Verlust der Mutter von Liu finanziell kompensiert werden. Die Enkelin (Monica Mo) macht sich gleich nach Verlesen des Briefes über ihre Suppe her. Die Trennung ist vom Tisch, in „Tuan Yuan“ wird fortan gemeinsam getafelt.

Außer im Wettbewerb läuft „Tuan Yuan – Apart Together“ im Programm des Kulinarischen Kinos. Hier hierher passt Quan ´ans unaufdringliche Geschichte über Liebe zur Familie und zum Essen weit besser. Quan ´an arrangiert die Charaktere wie die appetitlichen Speisen, welche seine Figuren in fast jeder Szene umgeben. Man kocht, isst oder kauft ein für neue Gealge. Mit diesem hübschen, aber oberflächlichen Gruppenbild begnügt sich „Apart Together“. Von aufgewühlten Gefühlen wissen die Hauptfiguren nichts. Ein spätes Aufblühen ihrer Liebesgefühle will oder wagt Quan ´an zu nicht zu zeigen. Statt einem altvertrauten und einem entfremdeten Paar sieht man zwei alte Ehepaare. Auf Dauer ist das nicht nur ermüdend. Vor allem frustriert es, weil „Tuan Yuan“ die großen Emotionen, welche seine Geschichte birgt, verleugnet. Innerer Zerrissenheit, Selbstzweifel, Trauer um verlorene Jahre, Verunsicherung – all dies scheinen Qiao und Liu nicht zu fühlen. Würden die Hauptdarsteller Lisa Lu und Ling Feng ihre Rollen nicht mit inniger Wärme spielen, ließe sich ihre Liebe kaum glauben.

Die politische Unruhen nach der Kulturrevolution werden in einem Vortext abgehandelt. Der Bürgerkrieg und der Kampf gegen den Kommunismus scheinen überwunden im modernen China, welches „Tuan Yuan“ zeigt. Die historische Tragödie, die Familien und Liebende manchmal für Jahrzehnte, manchmal für immer auseinanderriss, dient lediglich als Aufhänger für die Handlung. Der Finanzdistrikt ist eine Sehenswürdigkeit, Wolkenkratzer werden erbaut, einer höher als der andere. Die schnellste Bahn der Welt scheint alle Arten von Distanz im modernen China überwinden zu können. Konflikte Fallen unter den Tisch, an dem mit wachsendem Genuss gegessen wird. Die Essküche ist für das alte Ehepaar und ihre Kinder und Enkel ein Ort der Gemeinschaft. Darf Liu mit den anderen an einem Tisch essen, wird er symbolisch in die Familie aufgenommen. Nur sein leiblicher Sohn möchte ihm nicht zuprosten, doch woher sein Groll gegen den Vater kommt, bleibt unklar. Denn Liu wurde gegen seinen Willen von der damals schwangeren Qiao getrennt. Der Besuch in Shanghai war ihm gesetzlich verboten.

Die Ablehnung des Sohnes bleibt als einer der unterdrückten Konflikte unterschwellig präsent, welche die nach außen hin harmonische Familie entzweit. Qiaos Aufopferung an diese Illusion der unzertrennlichen familiären Gemeinschaft beachtet das Drama nicht weiter. Jeden Tag ihres Lebens habe sie der Familie geopfert, bekennt die Großmutter einmal. Ihre Kinder wollen den bevorstehenden Verlust der Hingabe in Geld ummünzen. Doch für sich selbst zu Leben wagt Qiao nicht. Die anderen schätzen ihr erneutes Opfer gering. Am gedeckten Tisch stehen schließlich leere Stühle. Über die Tragik der Geschichte der alten Frau will „Tuan Yuan“ mit einem gemütlichen Essen trösten. Der Appetit ist da längst vergangen.

Titel: Tuan Yuan – Apart Together

Berlinale Wettbewerb

Land/ Jahr: China 2010

Genre: Drama

Regie und Drehbuch: Wang Quan ´an

Darsteller: Lisa Lu, Ling Feng, Xu Caigen, Monica Mo, Jin Na

Laufzeit: 93 Minuten

Bewertung: **

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