Der Preis des „Schulterschlusses“ wurde 2015 erstmals vergeben und ist mit 5000 Euro dotiert. Die Geldsumme war für Cardenal weniger wichtig als die Tatsache, dass er der erste Preisträger ist, wie er bekundete. Allerdings benötigt er immer noch einen mittleren vierstelligen Betrag für ein Kinderprojekt in Solentiname. Auch der Kampf für den Erhalt der noch vorhandenen Natur kostet manchmal Geld, und Cardenal will weiterkämpfen.
Im Bündnis „Schulterschluss“ sind die Stadt Wolfsburg, die IG Metall, der evangelische Kirchenkreis und das Katholische Dekanat und kleinere Gruppen vertreten.
Warum Mexiko?
Warum initiierte Frau Hartmann, die Vorsitzende der Mexikanisch-Deutschen Gesellschaft, dieses Event und was verbindet Nicaragua mit Mexiko? Natürlich wird in fast ganz Lateinamerika spanisch gesprochen. Cardenal verbindet aber weitaus mehr mit Mexiko. Er studierte dort zweimal, in den 40er Jahren während des Zweiten Weltkrieges Philosophie und Literaturwissenschaft, in den 50ern Theologie in Cuernavaca. Für ihn ist das nordamerikanische Land eine zweite Heimat.
Ernesto Cardenal, der Dichter, Revolutionär und Priester aus Nicaragua las an diesem Märzabend in der Wolfsburger evangelischen Christuskirche höchstpersönlich auf spanisch – in der Originalsprache – Texte aus sieben Jahrzehnten. Seine Werke, die auch auf deutsch erschienen. Vieles ist aber vergriffen. Einzig der Wuppertaler Hammer-Verlag, dessen Leidenschaft die Dritte bzw. Eine Welt ist, druckt ihn zurzeit noch. Unter den lieferbaren Büchern sind zwei Bände der dreiteiligen Autobiographie, Gedichte und Zweisprachiges. Den deutschen Text der abendlichen Lesung sprach Lutz Kliche, Cardenals langjähriger Assistent.
Der Saal war gut besucht, die Eintrittskarten für 10 bzw. 8 Euro fast ausverkauft. Um 19 Uhr sollte die Veranstaltung beginnen. Dann wurde es doch ein paar Minuten später. Der Ehrengast hatte im nahegelegenen Leonardo-Hotel noch ein Interview gegeben. Das stellt eine große Ausnahme dar. Ernesto Cardenal gibt so gut wie keine Interviews mehr. Er hat fast alles gesagt. Nun muss es umgesetzt, getan werden und dabei braucht er die Hilfe aller, die seine hehren Ziele gutheißen und unterstützen. Die Situation in Nicaragua nennt er „alarmierend“. Vor allem wegen der düsteren Aussichten, die mit Großprojekten verbunden sind.
Musik für die Umwelt
Der „Grupo Sal“ blieb am Ende wenig Zeit für die Musik. Nach der Begrüßung durch die Moderatorin, Prof. Dr. Hanna Löhmannsrüben, Superintendentin der evangelisch-lutherischen Kirchenkreises Wolfsburg-Wittingen, und den Laudationes von Lothar Ewald, dem 2. Bevollmächtigten der IG Metall und Thomas Hoffmann von der Katholischen Kirche folgten die eingehenden Worte des Preisträgers. Eindringlich warnte er vor den Folgen eines Bauprojekts, das ihn und seine Leute auf einer kleinen Insel im großen Nicaraguasee ganz direkt betreffen. Die Gruppe „Sal“ bezieht bereits seit 1982 Stellung zu entwicklungs- und umweltpolitischen Themen. Der Großkanalbau in Mittelamerika ist beides. Auf dem Plakat für die denkwürdige Veranstaltung waren als Musiker der Gitarrist Aníbal Civilotti und Bandgründer Fernando Dias Costa aus Portugal angekündigt worden.
Neben Dias Costa ist Roberto Deimel aus Chile Gründungsmitglied. Weitere Mitglieder der sechsköpfigen Formation sind der Querflötist Cesar Villafane, ein Argentinier wie Civilotti, und die zwei Deutschen Harald Schneider (Saxophon, Klarinette) und Kurt Holzkämper (Kontrabass). Am 13. März erklangen die Stimmen zweier Bandmitglieder aus Südamerika.
Ernesto Cardenal Martínez, so sein vollständiger Name, informierte über den Bau eines Kanals zwischen dem Atlantik und Pazifik. Quasi ein zweiter Panamakanal; der übrigens nicht mehr von allen Schiffen benutzt werden kann. Der nun geplante Bau ist eine massive Bedrohung für die Natur bzw. Umwelt, unter anderem des einzigartigen Ökosystems des Nicaraguasees, in dem die Inselgruppe liegt, die mit Cardenals Leben eng verbunden ist. Der Abend stand unter dem Motto: „Ein Leben für Nicaragua! – Solentiname soll leben“.
Die Kommune im großen See
Mitte der sechziger Jahre gründete Cardenal zusammen mit dem Schriftsteller William Agudelo eine nach urchristlichen Vorstellungen ausgerichtete Kommune auf der Insel Mancarron. Sie ist Teil der Solentiname-Gruppe des Großen Sees von Nicaragua.
Der Name Solentiname geht auf ein Nahuatl-Wort zurück, dessen Bedeutung umstritten ist. Der Archipel besteht aus 36 Inseln, auf den u.a. Papageien und Tukane leben, auf einem Eiland auch Hirsche. Mancarrón ist die Hauptinsel, die an der breitesten Stelle vielleicht 6 Kilometer misst. Diese Inseln haben zusammen nur etwa eintausend Einwohner und sind nicht weit von der Grenze zu Costa Rica entfernt, liegen also im ganz im Süden Nicaraguas.
Cardenals Geburtsort Granada liegt am Nordufer des Nicaraguasees und wurde im 16. Jahrhundert gegründet. Heute ist es Nicaraguas fünftgrößte Siedlung und mit über 90.000 Einwohnern fast eine Großstadt.
Der riesige See prägt (zusammen mit dem kleineren Managuasee) die Geographie des Landes. Er bedeckt 8157 Quadratkilometer und ist damit der größte See Mittelamerikas! Er speist den Grenzfluss zu Costa Rica, den Rio San Juan, der in das Karibische Meer mündet. 400 Inseln gibt es in dem durchschnittlich ein Dutzend Meter tiefen See, die größten sind Ometepe und Zapatera, die nicht zu den Solentinameinseln gehören.
Die Ausmaße sind riesig, und es gibt neben den genannten Besonderheiten weitere, darunter Einmaliges. All das wäre durch den Kanalbau bedroht. Auf der Isla de Ometepe leben 30.000 Menschen, sie ist die größte vulkanische Insel in einem Süßwassersee weltweit – solange es ein Süßwassersee bleibt. Die Doppelspitze der Vulkane Concepción und Maderas gibt der Insel das Gesicht: Hier findet man sowohl schwarzen Sand aus Vulkangestein als auch, am Isthmus zwischen den beiden Bergen, Sandstrände, wie sie für die Karibik typisch sind. Es gibt eine Baumart, die nur auf dieser Insel zu finden ist. Knut Hildebrandt beschrieb anlässlich des „Feuer und Wasser“-Marathons im Februar seine Wanderungen an diesem malerischen Ort und veröffentlichte fünf Photos im Netz (u.a. von dem Feuerberg Concepción mit Heiligenschein), die die Majestät der schützenswerten Natur veranschaulichen.
Auf der zweitgrößten Insel im See, Zapatera mit 52 Quadratkilometern, leben nur 500-600 Menschen, Chorotega, die bis vor hundert Jahren eine eigene Sprache gleichen Namens sprachen.
Kanal voll?
Der Nicaraguasee ist als Binnensee ein Süßgewässer. Wenn er mit dem Stillen Ozean verbunden würde, könnte das unabsehbare Folgen für die Natur haben. Vier Städte liegen am Ufer. Östlich des Sees, am Atlantik, liegt eine Regenwaldregion. Noch liegt des See 31 Meter über dem Meeresspiegel, er ist maximal 45 Meter tief. Die tiefsten Stellen liegen also unter dem Meeresspiegel. Aus Kostengründen würde man den Kanal nicht ausschließlich über Land ausheben, sondern die Fahrrinne quer durch den riesigen See verlaufen lassen. Das spart Arbeit, und, was den hohen Herren wichtiger zu sein scheint, Geld bzw. Kapital. Die vorhandenen Gewässer ausnutzen. So geschah es auch am Panama- (mit dem Gatunsee) und am Sueskanal (Bitterseen). Was für Handel und Wirtschaft gut ist und in diesem Fall strategische Bedeutung hat, bleibt wohl nicht ohne Folgen für die Umwelt. Schon beim Toten Meer, das immerhin salzig ist, hat man Bedenken, es mit Wasser aus dem Roten Meer zu befüllen.
Cardenals Heimatland ist etwa 130.000 Quadratkilometer groß. Der Große See von Nicaragua macht etwa ein Sechzehntel der Fläche aus. Der Bodensee, Ober- und Untersee zusammen, der gern zu Vergleichen herangezogen wird, bringt es gerade mal auf 536 Quadratkilometer. Das ist ein Sechzehntel des bedrohten Nicaraguasees. Dabei ist der Bodensee der größte (und tiefste, wasserreichste) See Deutschlands. Aber: Es ist noch nicht einmal ein r(h)ein deutscher See, auch Österreich und die Schweiz halten ihre Anteile.
Noch drastischer wird es, wenn man den Bodensee mit der gesamten Fläche der heutigen Bundesrepublik Deutschland vergleicht: 357.340 Quadratkilometer ist sie groß. Selbst wenn man die ganzen 536 Quadratkilometer des Bodensees heranzieht und als Rechenbeispiel einfach mal die Hoheitsansprüche beiseite lässt – im Obersee, dem größeren Teil des Bodensees, gibt es ohnehin keine anerkannte Grenzziehung – ist das nur ein 666tel der Landesfläche Deutschlands. Verständlich also, dass ein Nicaraguaner sich um den größten See seines Landes jetzt viele Sorgen macht; um einen See, der ein Sechzehntel der Heimat darstellt und obendrein noch nach ihr benannt ist. Die Nordsee heißt auch bzw. hieß einst Deutsche See. Gäb es einen Deutschen See, der irgendwo in der Mitte des Landes läge und von einem chinesischen Konsortium in zwei Teile zerschnitten würde, bliebe das liebe Vaterland wohl nicht ruhig.
Wenn so ein Eingriff bei uns geplant würde …
Aber abgesehen von der Namensgebung: Stellen Sie sich vor, der Bodensee wäre Teil der Kanaltrasse eines Nordsee-Mittelmeer-Kanals. Gigantomanie, zugegeben, aber ein Kanal zwischen Karibik und Südsee ist das auch nicht minder. Wären Sie dann betroffen? Was aber, wenn der Bodensee durch den Bau versalzen würde? Und die Trinkwasserversorgung von Bregenz, Lindau, Friedrichshafen, Meersburg und Überlingen wie die vieler anderer Orte neu erfunden werden müsste? Vielleicht mit Meerwasserentsalzungsanlagen? Und obendrein die Mainau und die Reichenau untergingen?
Sie halten das für Science-Fiction oder die Übertreibung der Boulevardpresse? Mitnichten. Was in Nicaragua.passiert, ist genau das. Nennen Sie es Science-Fiction, aber der ganze Solentinamearchipel könnte untergehen, der See versalzen und viele Menschen müssten das Weite suchen. Der Wasserspiegel könnte um zwei Meter ansteigen, trotz der Größe des Sees.
In den Nicaraguasee, auch Cocibolca genannt, würden Berlin und Malta, Guadeloupe und Martinique auch noch bequem hineinpassen – ohne das eine der schon vorhandenen 400 Inseln weichen müsste! Ometepe mit ihren 270 Quadratkilometern ist größer als Malta (246). Wenn hier eine Umweltkatastrophe stattfände, dann: eine große.
Wer Guadeloupe noch nicht besucht hat, aber Mallorca kennt, dem hilft vielleicht dieser Größenvergleich: Die freie Wasserfläche des Nicaraguasees reicht rein rechnerisch für zwei Mallorcas incl. der Nebeninseln – und es bliebe immer noch Platz für Malta. Für Sizilien ist hier allerdings kein Platz.
Das Gesetz, das die Grundlage für das Kanalprojekt bildet, soll schnell an einem Tag durchgedrückt worden sein. Anschließend wurde in Windeseile die Konzession an einen Chinesen vergeben. Kritisiert wird auch die Machtfülle der Regierungsspitze, die solches Vorgehen ermöglicht.
Nicaragua = Panama?
Beunruhigend auch historische Erfahrungen mit strategischen Kanälen. Die größte Weltmacht der Geschichte, Großbritannien, fußte auf der Flotte und dem Zugang zu Häfen und Weltmeeren. Der Suezkanal erlebte nicht nur die spätkoloniale Suezkrise.
Seit hunderten von Jahren planten Spanier u.a.eine Querung Mittelamerikas per Schiff. Trassen durch Mexiko, Nicaragua, Panama und Kolumbien wurden erwogen. Dabei wissen viele nicht, dass Panama zu Kolumbien gehörte und erst durch den Kanalbau mit militärischer Gewalt abgetrennt wurde. Der von Frankreich gebaute Suezkanal war ein finanzieller Erfolg, der zu einem Versuch in Panama verleitete. Neun Jahre bauten die Franzosen in den 1880ern. Sie missachteten die Gesundheit der Arbeiter und es kam zum Panamaskandal, einem kapitalen Anlagebetrug. Der Bau scheiterte. Die Bauherren hatten ihren Goethe nicht gelesen: Dieser hatte schon 1827 im hohen Alter prophezeit, dass die USA den Kanal bauen würden. Das geschah zwischen 1903 und 1914. Am 3.8.1914 passierte der Dampfer „Cristobal“ als erstes Schiff, doch wegen des Weltkrieges wurde die Eröffnung erst 1920 gefeiert. Krieg und Frieden liegen hier eng beieinander. US-Schlachtschiffe wurden zwischen den Weltkriegen und im Zweiten so gebaut, dass sie gerade noch durch die Kanalschleusen passten. Ende der 60er geriet die Kapazität des Kanals an seine Grenzen. 1979 machte Präsident Jimmy Carter, der auch den Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten einschließlich Regelungen zum Sinai und Suezkanal mitunterschrieb, den Weg zu einer Neutralität des Panamakanals und Übergabe in die Hand Panamas frei, die 1999 erfolgte. Zum 30. Jahrestag des Freigabeabkommens, am 3.9.2007, wurde die Erweiterung des Kanals begonnen, im Beisein Carters. Dieses Jahr hätte sie fertigwerden sollen, bei Baubeginn der größeren Schleusen 2014. Inzwischen wird mit 2016 gerechnet. Hauptnutzer des Kanals sind heute die USA und China.
Da verwundert es nicht, dass 2013 das Parlament Nicaraguas einem Konsortium aus Hongkong die Lizenz für einen neuen Kanal vergab, genannt „El Gran Canal“. Die Route stand noch nicht endgültig fest, aber am Pazifik soll er am Britofluss enden, nachdem er die kleine Landbrücke zwischen dem Nicaraguasee und der Küste durchschnitten haben wird. Am Atlantik wird die Mündung des Punta-Gorda-Flusses in der Nähe von Bluefields angesteuert.
Die Nicaraguakanalplanung von 1885 sah die Ausnutzung des Grenzflusses zu Costa Rica, des San Juan vor; das scheint heute ausgeschlossen. Die Einbeziehung Costa Ricas hätte die Planung nur unnötig verkompliziert. In JEDEM FALL wird der Nicaraguasee gequert. Manocals Projekt von 1885 sah eine Fahrrinne südlich der Doppelvulkaninsel Ometepe und direkt nördlich von Solentiname vor. Auch wenn die dicken Pötte in ein paar Jahren etwas weiter nördlich von Solentiname fahren sollten, macht das den Kohl nicht fett. Lange fehlende Machbarkeitsstudien tragen neben befürchteten Umweltauswirkungen bei Kritikern ihren Teil zur Besorgnis bei.
Der Rhein-Main-Donau-Kanal – im Vergleich ein folgenloses Kinderspiel
Der Bau des 1992 fertiggestellten (Rhein-)Main-Donau-Kanals (MDK) durch das Altmühltal war neben dem Waldsterben und der Abrüstung 20 Jahre lang eines der großen bundesdeutschen Themen, bevor die Wiedervereinigung den Umweltschutz von der Agenda drängte und der Frieden weniger wichtig im Bewusstsein der Deutschen wurde. Es war das letzte Stück, das fehlte, um per Binnenschiff von Rotterdam nach Constanta zu gelangen. In gewisser Hinsicht ist er mit dem Panama- bzw. Nicaraguakanal vergleichbar, auch hier wird die Kontinentalwasserscheide durchquert. Die europäische Hauptwasserscheide zwischen Gibraltar und Moskau wird mit dem MDK in der Fränkischen Alb gekreuzt. Von hier aus floß alles Regenwasser entweder durch den Rhein in die Nordsee oder auf der anderen Seite durch die Donau ab. Heute tauscht sich das Wasser von Donau und Main, Regnitz und Altmühl aus. Eine Versalzungsgefahr besteht allerdings nicht: Hier liegt mit 406 Meter Höhe über dem Meeresspiegel auch der höchste Punkt des europäischen Wasserstraßennetzes. Außer in den Schleusen fließt das Wasser nunmal meist nicht bergauf.
Erreicht wurde mit dem gut 170 Kilometer langen Lückenschluss immerhin die kürzeste Verbindung für Massengut auf dem Wasser zwischen Nordsee und Schwarzem Meer! Umstritten war dabei vor allem ein 34 Kilometer langer Abschnitt der Altmühl. Man hat versucht, bestimmte Effekte abzumildern, trotzdem wurde die Natur massiv verändert. Die Ansiedlung invasiver Spezies, weltweit immer mehr ein großes Thema, wurde begünstigt und beschleunigt. Dem Artensterben wird damit langfristig Vorschub geleistet. Europäische Flusskrebse haben gegenüber asiatischen Verwandten schon lange nichts mehr zu lachen. Die Liste der gefährdeten Arten ist sogar in Mitteleuropa lang.
Der MDK ist über 100 Kilometer kürzer als die jetzt geplante Version des Nicaraguakanals mit 278 Kilometern und in den Tropen gibt es mehr Arten, vor allem im Kronenbereich des Regenwaldes, teilweise noch unentdeckte oder schon jetzt bedrohte. Zum Vergleich: Der Panamakanal ist nur 82 Kilometer kurz.
2014 warnten namhafte Wissenschaftler: Neben der direkten Zerstörung von 100.000en Hektar Feuchtgebieten und Regenwaldes käme es zur Ansiedlung invasiver Spezies, die die örtlichen Biotope umkrempeln und eine Katastrophe für die Populationen darstellen würden. So der Präsident der nicaraguanischen Akademie der Wissenschaften, Jorge A. Huete-Pérez und Axel Meyer von der Universität Konstanz ”¦ am Bodensee.
Einziger Trost: Die Bauzeit von 5 Jahren könnte, siehe Nachbarkanal, nicht zu halten sein. Und, wie die Anlageskandal von Panama zeigt: Die Finanzierung eines solchen Monsterprojekts steht immer auf tönernen Füßen und ist abhängig von vielen Unwägbarkeiten. Wer wusste Ende 2014, dass der Eurokurs zum Dollar von 1,40 auf etwa 1,06 abstürzt und der Franken sich aus der Bindung löst?
Neue Zweifel an einer Durchführung säte am 25. März 2015 die deutsche Schiffahrtszeitung „Täglicher Hafenbericht“. Das Projekt käme ins Stocken, mehr als 50 Milliarden US-Dollar würden benötigt.
Doch sollte man sich nicht zu früh freuen und das zum Anlass nehmen, die Hände in den Schoß zu legen, wenn einem die Nicaraguaner im Baugebiet und die Natur lieb sind und der Kanal zu teuer.
Zusammenfassung des Status und der Kanalinteressen
Die Hauptseemächte – einst die Kolonialmächte Spanien und Großbritannien, heute die USA, die den Kanal auch für ihren Binnenwarenverkehr Ostküste/Westküste benötigen – hatten und haben immer ein starkes Interesse an der Befahrbarkeit der Weltmeere. Wo möglich wurden neue Verbindungen geschaffen (Sueskanal) oder dies angestrebt; um Kosten und Wege zu sparen und strategische Vorteile zu erlangen. Zwischen Atlantik und Pazifik äußerte sich das in der Suche nach der Nordwestpassage und in der Vermeidung der gefährlichen Seewege am Kap Hoorn. Nicaragua und Panama boten die besten geographischen Voraussetzungen.
Um ihre finanziellen und Machtinteressen durchzusetzen, schreckten die beteiligten Staaten auch vor Gewalt nicht zurück. Im 19. Jahrhundert bedrohten US-Kanonenboote die karibische und pazifische Küste Nicaraguas, um einen vorteilhaften Vertrag zu erzwingen. Zur gleichen Zeit erzwangen die Briten mit dieser „Kanonenbootdiplomatie“ in drei Opiumkriegen die Überflutung Chinas mit Drogen und die Abpressung eines langfristigen Brückenkopfes: Hongkong. 1909 zwangen die USA mithilfe von Marines den nicaraguanischen Diktator General Zelaya militärisch zum Rücktritt, weil dieser mit Deutschen und Japanern über einen Kanalbau unter der Flagge Nicaraguas verhandelt hatte. Auch zwischen den Nachbarn Nicaragua und Costa Rica hätten Spannungen entstehen können, wenn der Kanalbau in der Mündung des Grenzflusses San Juan konkreter geworden wäre.
Dabei wurden teilweise die Projekte in Nicaragua gegen den Willen der dortigen Politiker gebremst, um einem Panamakanal eine höhere Auslastung zu bescheren.
Erdbebengefährdet
Wenn ein Kanalbau angefangen, aber nicht fertiggestellt wird, bleiben die Bauarbeiten meist brachliegen und werden kaum oder gar nicht für das Projekt weitergenutzt. Als die Franzosen 1889 beim Panamakanalbau zahlungsfähig wurden, wurde über ein Jahrzehnt nicht weitergebaut. Als die USA 1902 die Reste der Baugruben kauften, konnten sie weniger als die Hälfte verwenden. Ähnliche Erfahrungen machte man auch bei anderen Großbauprojekten: Bei der U-Bahn in Thessaloniki wäre ein Weiterbau der in den 80er Jahren begonnenen Tunnel, die wegen Geldmangels nie fertiggestellt wurden, unwirtschaftlich gewesen. 2006 begann man stattdessen mit frischem Geld einen Neubau. Dieser ist nebenbei gesagt bis heute auch noch nicht fertig.
Viel ist in Nicaragua noch nicht gebaut worden. Ende des 19. Jahrhunderts wurden etwa 15 Kilometer Urwald abgeholzt, um EINE MEILE Kanalbett fertigzustellen.
Das immer wieder von schweren Erdbeben erschütterte Nicaragua ist tektonisch so aktiv, dass nicht nur in Kauf genommene Schäden an Mensch und Natur angerichtet werden könnten, sondern auch eine darüber hinausgehende Katastrophe über das Land hereinbrechen könnte. Fukushima beweist, dass Großprojekte nicht in Erdebengebiete gehören.
Rama bedroht
Am Atlantik lebt die vom Aussterben bedrohte Ethnie der Rama. Kanal-, Straßen- und Hafenbau bei Monkey Point und im Landesinnern könnte das Volk endgültig auslöschen. Siedlungsgebiete für die anderen Nicaraguaner, die durch den Bau vertrieben würden, sind nicht ausgewiesen. Organisierte Umsiedlungen mit Entschädigungen wie bei Hafenerweiterungen in Belgien oder im deutschen Braunkohlentagebau sind nicht geplant.
2015 ist das Problem der Panamax-Schiffe nicht gelöst. Ganze Generationen von Schiffen sind in den Höchstmaßen auf das Passieren der jetzt existierenden Schleusen des Panamakanals ausgerichtet. Die Verbreiterung des Panamakanals soll eine Lösung bringen. Ein Neubau in Nicaragua würde sich nicht um die Panamax-Maße scheren, sondern von vornherein „BIG thinken“. 27,60 Meter tief soll der Kanal werden, wo es sein muss, wird gesprengt. Der Nicaraguasee hat im Mittel eine Tiefe von 15 Metern, müsste also auf über 500 Meter Breite und zig Kilometer Länge doppelt so tief ausgebaggert werden. Von der Tötung und Verscheuchung der Seegrundbewohner einmal abgesehen, müssten Millionen Tonnen Abraum woanders deponiert werden. Da es um Geld geht, würde der Transport zu einem möglichst nahen Ziel führen, entweder an Land, oder, meistens wohl, an anderen Stellen im See. Folge: Seespiegelanstieg und weiter Schäden an der Natur. Schlicht gesagt, der See könnte kippen, wenn die Suppe nicht vorher schon versalzen wird.
„Mit Liebe füllen diesen blauen Planeten“ – Literatur von Ernesto Cardenal
Von Ernesto Cardenal erschienen viele Bücher auch auf deutsch, so 1967 „Zerschneide den Stacheldraht. Südamerikanische Psalmen“, in den 70ern „Das Buch von der Liebe“, „Gebet für Marilyn Monroe und andere Gedichte“ und das zweibändige „Evangelium der Bauern von Solentiname“. „Meditation und Widerstand“, so ein weiterer Buchtitel aus dieser Zeit, war und ist sein Programm, sein Alltag, so kennt man ihn als Vorbild. In den 80ern zogen „Wolken aus Gold“ auf, „ – Für die Indianer Amerikas“, 1998 hieß es poetisch „Mit Liebe füllen diesen blauen Planeten“. Im gleichen Jahr erschienen seine Memoiren an ein „Verlorenes Leben“, die nach der Jahrtausendwende fortgesetzt wurden mit Erinnerungen an „Die Jahre in Solentiname“ und „Im Herzen der Revolution“.
Ernesto Cardenal kann ein Lied von der Revolution singen. Nach ihrem Sieg war er fast ein Jahrzehnt Kulturminister, bis 1987. Er ist einer der bedeutendsten Vertreter der Befreiungstheologie und der vielleicht größte Dichter Nicaraguas.
Auf jeden Fall ist er der größte lebende Dichter des Landes. Nächstes Jahr feiert man Ruben Darios 100. Todestag. Der 1925 geborene Ernesto Cardenal ist am 20. Januar 90 geworden. Die beiden Landsleute wandelten also nie gleichzeitig auf Erden. Vielleicht wären zwei Große simultan an einem Ort zuviel des Guten gewesen, wer weiß.
Leider erkrankte Cardenal kurz nach seiner Rückkehr nach Managua. Er hatte in Europa auf der Tournee mit der Grupo Sal ein Dutzend Konzerte begleitet, um Schaden von seinem Land und den Leuten abzuwenden. Die letzte dieser Veranstaltungen fand am 14. März statt, am 15. flog er schon wieder nachhause. Kurze Zeit später landete er im Krankenhaus (vgl. La Jornada vom 23. März 2015). Wir wünschen ihm auf jeden Fall ein langes Leben und alles Gute; so, wie auch er für alle das Gute will.
Den Schulterschlusspreis fürs Lebenswerk erhielt Ernesto Cardenal hochverdient. Wer sich einen Überblick verschaffen will, dem sei der vor fünf Jahren in Wuppertal erschienene Gedichtband „Wieder kommst du zu mir wie Musik“ empfohlen. Der schöne, von Juliane Steinbach illustrierte Band versammelt Lyrik aus den allesamt vergriffenen Titeln „In der Nacht leuchten die Wörter“ (1979), „Wir sehen schon die Lichter“, „Wolken aus Gold“, „Teleskop in dunkler Nacht“ und „Den Himmel berühren“.