Entheldung oder Michael Thalheimer stellt „Die Jungfrau von Orleans“ an den Pranger

Szene aus "Die Jungfrau von Orleans" mit Peter Moltzen, Kathleen Morgeneyer und Alexander Khuon. © Foto: Arno Declair

Auf das weiße Kleid spucken die Feinde, die Johanna im Kampf tötet. Alexander Khuon setzt als Montgomery lässig eine kleine Flasche an die Lippen, so als nähme er einen Energy Drink zu sich, und spuckt dann ausgiebig rote Farbe auf das unschuldige Weiß. Auch Talbot (Markus Graf) kotzt vor seinem Tod die Jungfrau noch voll.

Gekämpft wird nicht auf der Bühne, nur gesprochen, gebrüllt und gelegentlich umgefallen. Die Männer, blutverschmiert und mit ihren Kettenhauben kaum voneinander zu unterscheiden, kommen aus dem Dunkel in den Abglanz von Johannas Licht. Sie ist die Erleuchtete, oder eher die zur Schau Gestellte, die Heldin, die in Thalheimers Inszenierung demontiert wird.

Mitleid erweckt sie nicht, denn diese Johanna hat offenbar nicht nur ein Keuschheitsgelübde abgelegt, sondern jeder Art Gefühl abgeschworen. Kathleen Morgeneyer leiert Schillers Verse entweder ausdruckslos herunter oder blafft ihre göttlichen Aufträge böse heraus. Manchmal stockt und zögert sie unsicher, aber Emotionen sind ihr nicht anzumerken, weder die Liebesgefühle bei der Begegnung mit Lionel, die sie sich selbst doch dann vorwirft, noch irgendeine Art von Begeisterung, mit der sie ihre Mitstreiter in den Kampf führt. Sie ist eher ein Automat als ein Mensch.

Die historische Jeanne d’Arc lediglich als Projektionsfläche zu interpretieren, die von unterschiedlichen Interessengruppen benutzt wurde, ist nicht neu, aber aufgrund der erhaltenen Dokumente nicht wirklich überzeugend. In Schillers Drama erscheint eine überhöhte, auch verfälschte, Jeanne d’Arc als Zentralfigur. Die so zur Unperson zu machen, wie Michael Thalheimer es getan hat, bedeutet, dem Publikum einen so langweiligen Theaterabend zu bescheren, wie er jetzt im Deutschen Theater zu erleben war.

Von den Männern ist dröhnend hohles Pathos zu hören, die Anwärter um Johannas Hand scheinen kaum wirklich interessiert, und Alexander Khuon, der neben Montgomery auch Lionel spielt, wirkt in beiden Rollen seltsam gelangweilt. Christoph Franken, mit Krone und im Pelzmantel, könnte mit seiner Königsklamotte einem Weihnachtsmärchen entsprungen sein. Auch Almut Zilcher, unsäglich schrill gewandet und frisiert, rast zunächst wie eine Märchenhexe über die Bühne. Ihr gelingt es dann jedoch, der bösen Königin Isabeau majestätisches Format zu verleihen.

Es geschieht aber auch ein Wunder in Thalheimers Inszenierung: Meike Droste, Agnes Sorel mit Gretchenfrisur und bekleidet mit einem schlauchförmigen, gerüschten, schulterfreien Minikleid aus großblumigem Stoff, passt optisch hervorragend zum König. Anstatt aber die Ulknudel zu geben, gestaltet Meike Droste Schillers Poesie mit heller, singender Stimme schwärmerisch, ganz verinnerlicht und anrührend wahrhaftig. Dabei sieht sie so verklärt aus, dass für einige wenige Augenblicke tatsächlich eine ganz klassische Jungfrau von Orleans auf der Bühne erscheint.

Die Vorstellung ist erfreulich kurz. In nur zwei Stunden und 15 Minuten ist Schillers umfängliche „Romantische Tragödie“ abgespult. Der Inhalt ist trotz radikaler Kürzungen erhalten geblieben, nur die Verse sind häufig arg verstümmelt. So verliert die Sprache ihren Klang und Schillers Kriegsverherrlichung ihre Überzeugungskraft.

In Michael Thalheimers Inszenierung ist die Realität des Krieges eingefangen, das stumpfsinnige, grausige Geschäft des Abschlachtens, an dem nichts spannend, erhebend oder begeisternd ist.

Olaf Altmann hat einen beeindruckenden Raum für diesen Albtraum geschaffen: Schwarze, gewölbte, fensterlose Wände unter einer Kuppel. Es ist eine Krypta, das Grab, in das die noch Lebenden hinuntergestürzt sind. Durch eine kleine, runde Öffnung in der Kuppel fällt das Licht auf Johanna, klug berechnet, gerade genug, damit der Kampf ums Überleben aufgrund einer vagen Hoffnung weiter geführt wird.

Bernd Wredes Musik, schwermütige Klänge, die sich bedrohlich steigern, lässt unendliche Traurigkeit und dumpfe Verzweiflung spürbar werden

„Die Jungfrau von Orleans“ entstand in Koproduktion mit den Salzburger Festspielen, und ebenso wie bei der Premiere in Salzburg gab es auch bei der Berlin-Premiere im DT sowohl Buh- als auch Bravo-Rufe. Gründe genug finden sich für die einen wie für die anderen.

„Die Jungfrau von Orleans“ von Friedrich Schiller hatte am 27.09. Premiere im Deutschen Theater Berlin, weitere Vorstellungen am 05., 06., 15., 16. und 17. Oktober.

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