Einsame Menschen Wortlose Reise: “Der Besucher” ergründet die Seele eines Kindes

Vier Charaktere beobachtet Jukka-Pekka Valkeapää in “Der Besucher”. Im Finnland des frühen 20. Jahrhunderts lebt der Junge (Vitali Bobrov) mit seiner Mutter (Emilia Ikäheimo) in einer einsamen Waldhütte. Fast schwesterlich jung erscheint die verhärmte Frau, die kaum spricht und eine Beinschiene trägt. Ihr Sohn ist stumm. Vielleicht kann er nicht reden, vielleicht will er es nicht. Der Vater (Jorma Tommila) sitzt im Gefängnis. Er kündigt den Fremden (Pavel Liska) an, der eines Tages in dem einsamen Haus Unterkunft sucht. Die Mutter pflegt den Verwundeten gesund. Bedeutender für die Handlung aber ist die psychische Heilung, welche “Der Besucher” auf seine Gastgeber ausübt. Wie er das im Stall eingesperrte Pferd aus der Dunkelheit führt, lockt er den Jungen und seine Mutter aus ihrer Verschlossenheit. Wie fremd Gefühle in der Familie geworden sind, visualisiert “Der Besucher” in den intensivsten Momenten des Dramas. Fast wie ein Schrei durchschneidet ein Auflachen der Mutter die klirrende Winterlandschaft. So lange hat sie ihr eigenes Lachen nicht gehört, dass sie davor erschrickt. Sogar Musik bringt “Der Besucher” und ungelenkes Tanzen. Doch Valkeapääs unter die Haut gehendes Drama ist keine Heilsgeschichte. Ein stummes Versprechen, welches der Vater seinem Kind abverlangt, zerstört die aufkeimende Zärtlichkeit zwischen Mutter, Sohn und Gast.

“Der Besucher” ist auch Jukka-Pekka Valkeapää selbst. Als stummer Beobachter begleitet die Kamera die von ihm inszenierten Bilder. Schweigen ist zentrales Motiv im Spielfilmdebüt des finnischen Regisseurs. Es ist Metapher für die seelische Isolation der Figuren. Über dem Sprechen scheint ein Tabu zu liegen, für dessen Überschreitung “Der Besucher” büßen muss. Wie den Stimmen von Mutter und Sohn ist deren Gefühlen Schweigen auferlegt. Bis “Der Besucher” auftaucht, der spricht, auch wenn er keine Antwort erhält. Nicht was er sagt, dass er überhaupt spricht, sich somit emotional öffnet, bricht die Verschlossenheit von Mutter und Sohn auf. Pavel Liska, der bereits als “Der Dorflehrer” seine schauspielerische Sensibilität bewies, spielt den “Besucher” ohne unangebrachte Heilsbringerattitüde. Neben der in Gefühlskälte versteinerten Mutter und ihrem stummen Sohn erscheint “Der Besucher” als einzig Lebendiger. So unwirklich scheint dieses Leben dem Jungen, dass er in eine eiternde Wunde des Unbekannten fasst, um daran glauben zu können, wie der ungläubige Thomas in der Auferstehungsgeschichte in die Seitenwunde Jesu fasst. Selten wird soviel gesagt mit so wenig Worten. “Der Besucher” besinnt sich auf eine ruhige, langsame Bildsprache. Mitunter droht die Last der Symbolik die Szenen zu erdrücken. Gezielt wiederholt der Regisseur die Alleinsein und Unsicherheit verdeutlichenden Motive. Die Individualität der Figuren, insbesondere die kindliche Gefühlswelt des Jungen, lässt sich trotz der Härte der Außenwelt nicht abtöten.

Kraftvoll ist “Der Besucher” in der schlichten Beobachtung des inneren Exils, in welches Mutter und Sohn sich zurückgezogen haben. So wie ihre Seelen zu tauen beginnen, gefriert die Landschaft um sie herum. Die Kälte wird zur übermächtigen Gewalt, gegen welche der Fremde ohnmächtig ist. Doch einem völligen Sieg der Unterdrückung verweigert sich das Drama. “Der Besucher” schließt mit einem Ausbruch der verneinten Gefühle. Ein gewagter Film, der den Zuschauer mit seiner Stille umschließt. Der Rest ist Schweigen.

Titel: Der Besucher – Muukalainen

Finnland 2009

Genre: Drama

Start: 5. November

Regie und Drehbuch: Jukka-Pekka Valkeapää

Darsteller: Vitali Bobrov, Emilia Ikäheimo, Pavel Liska, Jorma Tommila

Verleih: Farbfilm Verleih

www.farbfilm-verleoh.de/derbesucher

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