Berlin, Deutschland (Weltexpress). Prinzipiell ist es so, dass bei einem Filmfestival alle auf die filmischen Überraschungen warten oder zumindest hoffen. Erwartungsgemäß stellen sie sich auch ein. Und wir wissen, dass sie kommen.
Manchmal muss notgedrungen bis zum letzten Tag gewartet werden. Auch fällt sie naturgemäß bei jedem anders aus. Es gibt sie aber. Und doch ist man wiederum überrascht und im Nachhinein dankbar, wenn sie in ungewohnt anderer Form daherkommt, also erstens anders und zweitens als gewünscht.
Mit dem koreanischen Wettbewerbsbeitrag „Domangchin Yeoja“ („The Woman who ran“) von Hong Sangsoo verhielt es sich auf dieser 70. Berlinale so. Wobei das auf den Film als ganzes nicht zutrifft, handelt er doch von Gamhee (Kim Minhee), die ihre Freundinnen besucht und mit ihnen über die neue Wohnung, den Job, die Beziehung mit dem Ex und die eigene Ehe spricht. Sie spricht nicht über Gott und die Welt, sondern über das alltägliche begreifbare Dasein. Und dies ist durchaus nicht langweilig anzuhören und anzuschauen.
Der Wettbewerbsbeitrag ist in seine Umsetzung dennoch sehr schlicht gehalten. Eine Szene wird oft in nur einer oder sehr wenigen Einstellung aufgelöst. Der Blick auf unsere Protagonisten soll unverfälscht nicht durch filmische Extravaganz abgelenkt werden. Und das gelingt auch.
Tritt „Domangchin Yeoja“ in seiner Inszenierung und Schauspielführung mit einer geradezu buddhistischen Ruhe und Gelassenheit auf. Das mag den einen erfreuen, den anderen vielleicht abschrecken. Langweilen tut es am Ende nicht. Und da der Film eine Laufzeit von gerade mal 77 min. in Anspruch nimmt ist die filmische Erfahrung dann schneller vorbei als erahnt. Und obwohl „Domangchin Yeoja“ ein gelungener aber nicht unbedingt umwerfender Wurf ist, gibt es hier eine Szene für die sich allein schon lohnt diesen Film zu schauen. Denn diese Szene ist, man muss es hier erwähnen, besser als manche hoch ambitionierte Wettbewerbsbeiträge, die in voller Spielfilmlänge daher kommen und es dennoch nicht schaffen eine solche Brillanz aufzubringen. Nicht das diese Szene den ganzen Film an sich heraushebt. Sie ist in sich aber großartig und beschert einem den kleinen unvergesslichsen Kinomomente dieser 70. Berlinale. Eigentlich hat man Angst mehr darüber zu schreiben, um nicht zu Spoilern. Und doch wieder nicht, den es ist eine gelungen Mischung aus großartigem Dialog und paradoxer Situationskomik, die sich abspielt als der Nachbar vor der Haustür steht und sich in gewöhnter asiatischer Freundlichkeit dafür einsetzt die herumstreunenden Katzen nicht mehr zu füttern. Eine Konversation unter Nachbarn, banal und unaufgeregt.
Und sie endet so ironisch wie die ganze Szene doch ist. Eine große Szene allein macht noch lange keinen großen Film aus. Dieser soll uns ja als ganzes einnehmen und überzeugen. Brillianter als manch anderer Film ist diese Szene allemal. Allein das verlangt schon nach Anerkennung.
Filmographische Angaben
- Originaltitel: Domangchin Yeoja
- Englischer Titel: The Woman who ran
- Staat: Republik Korea
- Jahr: 2020
- Regie, Drehbuch: Hong Sangsoo
- Darsteller: Kim Minhee, Sea Younghwa, Song Seonmi, Kim Saebyuk
- Dauer: 77 Minuten