Eine Nilfahrt, die ist lustig”¦- Unterwegs mit Saleh Achmed auf dem längsten Fluss der Welt

Sein Wort ist Gesetz: Kapitän Saleh Achmed

Alles im Fluss auf dem Fluss

Saleh Achmed thront im Schneidersitz auf einem dick gepolsterten Stuhl. Als Einziger trägt er den Turban, ein Zeichen seiner Würde, alle anderen haben ein Käppi auf dem Kopf. Die Augen wandern prüfend über den Fluss, scheinen sogar bis auf den Grund des Nils zu dringen. Locker ruhen seine Hände auf den zwei Steuerrädern des Schottelantriebs. „Deutsches Fabrikat.“ Stolz schwingt in seiner Stimme. „Damit kann ich sie auf der Stelle drehen, ohne auch nur eine Handbreit vorwärts oder rückwärts zu fahren.“ Wenn der 46-jährige Ägypter spricht, sind alle Anwesenden still, denn sein Wort ist Gesetz, Widerspruch zwecklos. Saleh Achmed ist Kapitän auf der 73 Meter langen MS ’Grand Star’, einem Nilkreuzfahrtschiff.

Der Nil gilt als der längste Fluss der Welt. Er entspringt den Bergen von Ruanda und Burundi, fließt dann weiter durch Tansania, Uganda und Sudan, wo er auf den aus Äthiopien kommenden Blauen Nil trifft. Gestärkt fließt der Fluss weiter durch Ägypten und mündet ins Mittelmeer. Der Nil ist ein Synonym für eine 6.671 Kilometer lange Lebensader – und zwar für alle Anrainer, damals wie heute. Schon vor Tausenden von Jahren war der Fluss die Hauptverkehrsader Ägyptens. Vieh, Korn, sowie Personen und Soldaten wurden auf Fracht- und Personenschiffen transportiert, auch Obelisken und Steinblöcke für den Bau der Pyramiden und Tempel. Heute sind es überwiegend Touristen, die der Nil bewegt. Gut 300 Nilkreuzfahrtschiffe pendeln in der Hauptsaison (Dez. bis April) durch Oberägypten, von Luxor nach Assuan (rund 200 Kilometer) und zurück. An Bord dieser schwimmenden Hotels bietet ein 5-Sterne Ambiente – inklusive Swimmingpool und Sonnendeck – den Gästen ein luxuriöses und gemächliches Dasein. Doch kaum sind die Schiffe an den Kais vertäut, schwärmen zahlreiche Touristen über die Gangways und hin zu den Tempeln der Pharaonen. Die heutigen Ägypter sind in der Regel immun gegen die Faszination der alten Welt, denn der Überlebenskampf fordert ihre gesamte Aufmerksamkeit. So konzentrieren sie sich auf die Touristen, die sich ihrerseits um die Vermächtnisse von Ramses oder Hatschepsut scharen. In den ufernahen Tempeln entdeckt man auch gelegentlich einen Nilometer. Das ist ein offener, über Kanäle mit dem Nil verbundener Schacht mit einer Pegelsäule in der Mitte. Die meisten Nilometer wurden in Form einer Treppe gebaut, an deren Stufen sich die zunehmende Höhe der Nilüberschwemmung ablesen ließ. Der Wasserstand diente als Bemessungsgrundlage für die Besteuerung der Bauern: Je höher das Hochwasser, desto ertragreicher das Land, desto höher die Steuern.

Wie der Vater, so der Sohn

Erstaunlicherweise ist der Nil auf der gesamten Strecke ziemlich schmal, oft nur ein paar hundert Meter breit. An den Ufern waschen die Frauen ihr Geschirr, während Kinder fröhlich im Wasser plantschen. Hier und dort tauchen Steinhäuser oder aus Nilschlamm gebaute Hütten zwischen Palmenplantagen auf. Und Bauern reiten auf ihren Eseln über grüne Felder. Direkt dahinter erstreckt sich die Wüste bis zum Horizont – steinig, sandig und bedrohlich. Mit 15 km/h kreuzt die MS ’Grand Star’ unermüdlich den Fluss entlang, mal sind wir dem linken, dann wieder dem rechten Ufer nahe. Sandbänke ragen aus den Fluten, dann wieder lauern sie unsichtbar unter der Wasseroberfläche. Und doch sind keine Fahrwassertonnen in Sicht. Eines der Gesetze der Nilschifffahrt besagt: Der Kapitän muss selbst wissen, wo er passieren kann. Dieses Wissen wird vom Vater an den Sohn ’vererbt’. Und auch der Vater erwarb das Wissen vom eigenen Vater, meistens einem Kapitän. Nur so läuft das hier, in Ägypten. Wer das Kapitänspatent anstrebt, wird auf der gesamten Strecke von einem Prüfer aus dem Innenministerium (Abteilung Wasserwesen) begleitet, denn eine offizielle Route gibt es nicht. Saleh Achmed lacht, „also, die Seekarte existiert nur in meinem Kopf.“

Schon als er ein Kind war, nahm sein Vater ihn regelmäßig mit zum Segeln auf einer Feluke, einem traditionellen Segelboot mit Pinne und aufholbarem Schwert. „Wenn es hier zu flach ist, dann kommst du da hinten auch nicht durch“, das sagte sein Vater damals und daran hält sich Saleh Achmed noch heute. „Ich habe so meine Testzonen, die prüfe ich. Wenn hier alles okay ist, reicht der Wasserstand auch an den kritischen Stellen“, und schon streckt er demonstrativ seine Hand in die Höhe. „Gespreizte Hand mal sieben, das ist mein Maß.“ Saleh Achmeds persönliches Maß wurde in ein Stück Holz eingekerbt.

Der Erste Offizier hält den Stock dann ins Wasser und lotet pflichtbewusst die Wassertiefe aus. Von der Crew hören wir, dass in der vergangenen Woche ein Schiff auf eine Sandbank gelaufen sein soll. Eine Stunde hätte es gebraucht, um durch eigene Kraft wieder freizukommen. Besonders im Frühjahr wird es für alle Kreuzfahrtschiffe heikel, dann gibt es tatsächlich nur die berühmte Handbreit Wasser unter dem Kiel, sprich, gerade mal 20 Zentimeter. Und was ist, wenn der Wasserstand nicht reicht? – Saleh Achmed grinst, „dann ist das schlecht! Wenn der Nil nicht ausreichend Wasser führt, dann sagen wir an der Schleuse in Esna und beim Staudamm in Assuan Bescheid, damit die das Problem regulieren.“ Der fast vier Kilometer lange Hochstaudamm in Assuan (Bauzeit 1960 bis 1971) ist der Stolz der Ägypter. Die mit dem Damm erzielte Dauerbewässerung des Nildeltas steigerte die Ernte auf vier Erträge pro Jahr, außerdem wurde die regionale Stromversorgung gesichert. Im Gegensatz zu dem neuen ließ der alte Damm (1899 und 1902) jedoch den für die Landwirtschaft fruchtbaren Nilschlamm passieren. Nun muss seit Jahren das Ackerland künstlich gedüngt werden, da der Schlamm im Stausee versackt. Dadurch sanden auch die Ufer an der Flussmündung im Mittelmeer stetig aus. Es gibt kaum noch Strömung im Nil, auch nur noch wenige Fische. Nur im Stausee, dem Nassersee, wimmelt es von Fischen. Übrigens gedeihen dort auch die Krokodile wieder prächtig. Im Gegenzug verschwinden dafür die lokalen Fischer – unter mysteriösen Umständen und oft für immer.

Chefsache: Tuten

Entgegenkommende Schiffe passieren uns mal an Backbord, dann wieder an Steuerbord. Jeder schippert, wo er mag. Nur Tuten ist Pflicht. Laut Schifffahrtrecht muss das stromaufwärts (gen Süden) fahrende Schiff zuerst grüßen. Das den Nil abwärtsfahrende Schiff tutet zurück. Bei Nacht wird mit dem Licht gehupt, damit die Touristen ungestört schlafen können. Ein kleines Radar auf der Brücke erregt unsere Aufmerksamkeit. Saleh Achmed winkt ab, „ach, das ist schon seit Jahren kaputt. Dafür funktioniert aber das Funkgerät.“ Es gibt keine (befeuerten) Tonnen, kein Radar, keine Seekarte, kein Echolot und die Landmarkierungen sind besonders bei bedecktem Nachthimmel schwer auszumachen. „Ja, nachts ist es stressig“, Saleh Achmed seufzt. „Was soll’s, ich habe meinen Traumberuf. Außerdem sind oder waren alle Männer in meiner Familie Kapitän.“ Dieser Beruf wird für ägyptische Verhältnisse auch mit einem Traumgehalt entlohnt – je nach Dienstjahren von 400 bis 900 Euro im Monat. Vergleichweise bekommt ein Steward umgerechnet ungefähr 100 Euro im Monat.

Was aber zeichnet einen guten Kapitän aus? – „Er muss vor allem streng sein und gute Nerven besitzen“, betont Saleh Achmed. Für seine Matrosen sei er schließlich eine Art Vater. „Ich erwarte Disziplin, aber helfe auch beim Lösen der großen und kleinen Probleme des Lebens.“ Und die guten Nerven, die bräuchte er vor allem im Umgang mit den anderen Schiffen. Der Ärger ist im Gerangel um die besten Liegeplätze vorprogrammiert, denn an den Anlegestellen liegen bis zu sechs Schiffe im Päckchen vertäut. Das Schifffahrtsrecht regelt: Wer aufgrund der Schiffsgröße wo und an wen anlegen darf, auch in welcher Rangordnung Streitigkeiten zu schlichten sind (Kapitän – Bootsmanager – Polizei), aber offensichtlich nicht das alltägliche Wirrwarr. Während die einen Schiffe ablegen, legen andere am gleichen Päckchen hemmungslos weiter an. „Da hilft nur eins, Ruhe bewahren“, meint Saleh Achmed. „Aber wenn das nichts bringt, dann tuten, was das Zeug hält.“ Doch auch das scheint die Kollegen auf den anderen Schiffen nicht wirklich zu beeindrucken. Und so bleibt nach dem Tuten auch wieder nur eins übrig: Ruhe bewahren.

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