Die Osterratte hat aber ganze Arbeit geleistet: Beim gemeinsamen Vormittagsspaziergang findet der Kleine zahlreiche kleine Osternester mit Naschwerk aller Art: Die Papptabletts von der Mittelpromenade mit üppigen Ketchup- oder Senfresten, aus den Dönern gefallene Fleischreste, vorm See-Tank eine große Lache Erbrochenes, es muss etwas mit Reis gegeben haben – die lieben Kleinen im Wedding haben ordentlich was zu suchen. Im Hauseingang zu dem seit Monaten leerstehenden ehemaligen Möbelgeschäft finden wir ein besonders stattliches Osternest, mit Spritzenbestecken und allem, es ist also auch was zum Spielen dabei. Und natürlich – schließlich ist Ostern das Fest der Fruchtbarkeit – ein prall gefülltes Kondom und ein zerrissener String-Tanga. Die Nacht der Auferstehung ist offenbar würdig begangen worden.“
Diese einleitenden Zeilen zum Text „Ostern in der Unterschicht“ sagen schon alles. Heiko Werning wohnt im Berliner Stadtteil Wedding, kennt sich dort ziemlich gut aus, schaut sich sehr genau um, nimmt es locker und kann es auch noch aufschreiben! Das ist so lustig wie kurzweilig und wenn alle 35 Geschichten und knapp zweihundert Seiten ausgelesen sind, kehrt Trauer ein. Nein, nicht weil wir vielleicht nicht Ecke Müllerstraße/dingsda wohnen, sondern weil wir mit ihm dort verweilen möchten, den Gerüchen und Geräuschen nachsinnen und mit seinen Augen den Liebreiz in diesem Dauer-Karneval des Prekariats entdecken wollen. Der Reptilienforscher und Lesebühnenperformer Werning hat es geschafft, seinen schneckenzerschneidenden Provinzmatronen zu entwischen und werkelt auf erhabenste Weise mit am lebendigen Langzeit- Berlinroman, mögen ihm noch viel Bonmots gedeihen, wir bleiben allzeit gewogen!
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Heiko Werning, Mein wunderbarer Wedding, Geschichten aus dem Prekariat, 191 S., Edition Tiamat, 14,- €