Ein entmutigter, illusionsloser Patriarch im Sessel, die Hände auf den Armlehnen fest um deren Ende gekrallt, im grauen Anzug mit Weste, die über dem Bauch spannt. Das schüttere Haupthaar über den Schädel geführt, kann die hochglänzende Stirnglatze und baldige Kahlheit nicht verbergen. Hinter ihm in der Bedeutungsperspektive in deutlich kleinerem Maßstab steht sein Sohn im kleinen Schwarzen, ordentlich beschlipst, aber mit einem Blick in die Welt schauend, der nicht vorwärts weist, sondern von abgestorbenem, beendeten Leben zeugt, so wie Freud sonst nur Pflanzen malt. Erstarrt sind beide Personen, aber jeder für sich und hilflos mutet die Geste an, wie der Sohn die Verbindung zwischen beiden anzeigt, indem er seine Rechte auf die Stuhllehne des Vaters aufstützt. So hilfesuchend wie hilflos. Tiefe Depression.
Geht man ganz nah an die Bildoberfläche heran, sieht man die Fleisch- und Hautbeschaffenheit der Freudschen Menschen deutlicher. Die Hände und Finger zeigen die innere Beschaffenheit der Venen und des roten Aderngestrüpps deutlich auf. Meisterhaft, wie die arthritischen Einlagerungen nach außen dringen, darauf der dicke Siegelring, der von Wohlstand zeugt. Was aber bedeuten der Mammon und die güldenen Bildskizzen im Hintergrund, wenn das innere Feuer erloschen ist? Hände und Gesicht des jungen Mannes dagegen sind sehr viel feiner, geradezu ’jünger’ ausgeführt. Aber Hoffnung ist nirgends.
Noch sind wir im ersten Raum und vergucken uns immer mehr in die Fassaden und Häuserschluchten, die Lucian Freud mit und ohne Bildpersonal malt, die uns nicht bekannt waren, aber immer besser gefallen. Diese stammen von 1970. Hier hängt auch das Bild eines kleines Waschbeckens, das eigentlich schäbig, alt und versifft ist, aus den Jahren 1983 bis 87 stammt, aber hier zum schönen Schein wird. Das angeschlagene Becken füllt den Bildraum und nimmt schon dadurch eine Erhabenheit an, es steht einfach für die ganze gebende Welt, wenn aus den zwei Hähnen das klare Wasser rinnt. Überlegt man sich noch einmal, wie starr die ganze westliche Welt zum Hauptteil der Schaffenszeit Lucian Freuds auf die abstrakte Malerei starrte und diese hochhielt und konkrete Darstellungen von Personen und Sachen eigentlich nur in der Erzählform der Pop Art zuließ, kann man so richtig ermessen, daß dieser Maler insgeheim und ohne es zu wissen, ein Bruder der Leipziger Schule ist, die heute in der Welt fast immer noch so unbekannt ist, wie sie es zu Zeiten hinter dem Eisernen Vorhang war. Sie alle sind Nachkommen der altdeutschen Malerei in der expressionistischen Malweise eines Oskar Kokoschka zum Beispiel. Eine gute Adresse für Lucian Freud.
Eine Überraschung sind auch seine Blumen- und Naturstücke im Großformat. 1968 malt er Butterblumen, so detailreich und schön, wie es Dürer schon vormachte, und steckt das blühende Gebinde in einen blechernen Henkeltopf, der in einem dicken Porzellanbecken steht, statt vor einem Fenster oder dekorativ auf einer Anrichte. Häufiger aber und durch seine Schaffensperioden durchgehend sind seine Darstellungen einer Vegetation, die verschlingend sich ständig neu reproduziert, eine Natur uns vor Augen führt, die alle Jahreszeiten in einem durchläuft als ewiges Wachstum: verschlingend und spendend. Sie ziehen die Besucher genauso an wie die Nackten. Fortsetzung folgt.
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Ausstellung: Bis 19. Juli 2010
Katalog: „Lucian Freud. L’Atelier“, Edition des Centre Pompidou 2010. Wer wenig Material über Lucian Freud hat, sollte sich diesen Katalog sofort zulegen. Auch, wenn er kein Französisch kann. Die Bildwerke sind phänomenal wiedergegeben und die
Künstlerbiographie ist reichhaltig mit Werken und Fotos bestückt. Vielleicht am schönsten jedoch sind die Fotografien, die Lucian Freud beim Malen festhalten, sein Atelier zeigen und die vielen Stationen, die ein Gemälde durchläuft. Rundherum ein einfach sehr schönes Buch.
Internet: www.centrepompidou.fr