Ein Bruchteil des Ganzen – der verwirrend komplexe Debüt-Roman von Steve Toltz

So kannten wir das noch nicht, Herr Toltz! Und was auf Seite 33 des knapp 800seitigen delirösen Familiendramas dergestalt eingeläutet wurde, lässt den Leser keinesfalls kalt. Ich gestehe, von der Versuchung, das Buch endgültig beiseite zu schleudern, mehrfach heimgesucht worden zu sein. Dennoch habe ich mich tapfer und mit immer wieder anschwellendem Lesegenuss dem orgiastischen Werk zugewandt. Es wird eifrig intrigiert, philosophiert, großzügig mit Gift, Feuer, Schusswaffen, Sprengstoff und Geld hantiert, es geschehen in gebührenden Abständen Suizide, Morde und Unfalltode, bis die handelnden Personen auf eine reduziert sind. Das Wiederauferstehen von Toten überrascht in diesem Zusammenhang nicht wirklich. Was überrascht, ist die konsequent antirealistische, antibürgerliche und weltoffene Haltung des Autors, die seine Figuren umtreibt. Herrlich, wie er von Paris nach Sydney und Asien flippt, wie sich immer wieder Monologe von Vater und Sohn Dean abwechseln und völlig andere aberwitzige Wahrnehmungen beschreiben. Die Hauptfiguren sind entweder jahrelang wachkomatös, Suizid-gefährdet, millionenschwer oder bitterarm, arbeiten im Strip-Lokal, entwerfen Labyrinthe oder wünschen sich Planetarien. Ein Hand-Buch über kriminelle Praktiken wird verfasst, mysteriöse Notizbücher wiedergefunden.

Die lineare Handlung dieses Erstlings eines Weltenbummlers umfasst wenige Jahre der Kindheit und Jugend des Jasper Deans, in welcher er sich mit seinem alleinerziehenden Vater und dessen Vergangenheit herumschlägt. Steve Toltz wurde in Sydney geboren und blieb nach Zwischenstationen wie Kanada, Neuseeland, Spanien und den USA in Paris hängen. Von Bram Stoker über E.T.A. Hoffmann bis Haruki Murakami stand die Weltliteratur großer Phantasten für dieses zeitlose Kunststück Pate, das von Clara Drechsler und Harald Hellmann wohltuend sprachgewaltig übertragen wurde. Bedauerlich ist jedoch die Wahl des deutschen Titels, der das Original „A Fraction oft he Whole“ banalisiert und den Leser auch noch auf eine vollkommen falsche Fährte führt. Wir hingegen folgen Toltz in weitere Kosmen, die er uns in Bälde offerieren mag!

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Steve Toltz, Vatermord und andere Familienvergnügen, Roman, Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann, 790 Seiten, DVA München, 2010, 22,95 €

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