Ausgerechnet der 56-jährige Pichler heuert in Russland an. Bei dem Verband, der in den letzten Jahren in unschöner Regelmäßigkeit mit positiven Dopingfällen Negativ-Schlagzeilen machte. Und zuletzt nach fünf Dopinggesperrten mit einer Verbandsstrafe von 50 000 Euro belegt worden war. Was unter dem blieb, was der Bayer und die von ihm betreuten Schweden einst gefordert hatten. Lebenslänglicher Ausschluss sollte es sein oder Russlands Verband in toto zeitweilig die Tür zu allen Wettbewerben zu verschließen… Was wiederum zu Drohungsmails in Richtung Pichler/Schweden führte, die dann nur nach Sicherheitsgarantien der Behörden in Chanty-Mansisk anreisten.
In 16 Jahren in schwedischen Diensten hat Pichler u.a. Magdalena Forsberg, Mehrfach-Weltmeisterin und sechsmalige Gesamtweltcup-Siegerin, die Weltmeisterin Helena Jonsson-Ekholm (2009) und Olympiasiegerin Anna Carin Olofsson-Zidek (2006) betreut. Dabei hat sich der Zollbeamte zeitweilig vom Dienst befreien lassen oder im Sommer Überstunden für das Winterhalbjahr angespart. "Ich habe ein gutes Angebot bekommen und habe mir nach den Jahren in Schweden gedacht, wenn ich noch mal was Neues mache, dann muss ich es jetzt tun", erklärte Pichler. Die Russen hätten "ja auch keine schlechte Mannschaft, da ist Potenzial da, und 2014 ist in Sotschi Olympia und so habe ich mich für Russland entschieden."
Man darf gespannt sein, wie beide – die rigorose Verbandsführung und der eigenwillige Deutsche – miteinander klarkommen. Angeblich sei eine Voraussetzung für den Vertragsabschluss gewesen, dass ihm als Trainer in den Entscheidungen völlig freie Hand gelassen werde. Eine Zusicherung, die u.a. darauf zurückzuführen ist, dass die erfolgsgewohnten russischen Skijägerinnen im März bei der Heim-WM in Sibirien keine einzige Medaille verbuchen konnten. Pichler will einen neuen Trainerstab zusammenstellen und ist optimistisch, dass er sich mit seinen Vorstellungen und Wünschen durchsetzen kann. Dabei hatten die Biathleten beim olympischen Tiefpunkt aus russischer Sicht bei den Winterspielen 2010 in Vancouver fast als einziger nationaler Verband mit vier Medaillen(2-1-1) die Vorgaben des für den Hochleistungssport zuständigen NOK erfüllt. Doch nach Rang elf der Nationenwertung, dem schlechtesten Abschneiden aller Zeiten von sowjetischen oder russischen Olympiaaufgeboten, musste nicht nur die NOK-Führung komplett gehen. In nahezu allen Wintersportverbänden – Ausnahme Biathlon – gab es einen Austausch der Spitzenfunktionäre.
Teilweise wurde öffentlich Kritik an der Praxis geübt, mit ausländischen Trainern auf Medaillenjagd gehen zu wollen. Denn von den russischen Vertretern im Short Track (Trainer aus China), im Alpinen Skisport (Bernd Zobel aus Österreich) und im Skispringen (Ex-Bundestrainer Wolfgang Steiert) schaffte in Vancouver keiner den Sprung unter die besten Zehn. Trotz des generellen Desasters wurden – Motto Zuckerbrot und Peitsche – die Budgets in Vorbereitung auf 2014 deutlich aufgestockt. Was sicherlich auch mit ein Grund für Pichlers unerwartete Rochade gewesen sein dürfte. Unter Verantwortung des aktuellen Sportministers Witali Mutko ist wegen einer möglichst glanzvollen Bilanz in Sotschi der vormals Eiserne Vorhang durch Trainer- und Managerimporte so durchlässig wie noch nie geworden: Berufen wurden beispielsweise der Sükoreaner Jimmy Jang für Short Track, der norwegische Skitechniker Knut Tore Berland, der kanadische Curling-Experte Patty Vutric. Unter Leitung des gebürtigen Ukrainers mit holländischem Pass, Konstantin Poltavets, knüpfte im letzten Winter Iwan Skobrew als Europa- und Weltmeister im Mehrkampf der Eisschnellläufer an schon länger zurückliegende Erfolgstraditionen an.
Weitergeführt wurde die bevorzugte (beschleunigte) Einbürgerung ausländischer Athletinnen und Athleten: So bei drei Kanadiern für Curling, für zwei südkoreanische Läuferinnen im Short Track, einer Alpinläuferin aus Slowenien sowie für das Eispaar Tatjana Wolososchwar (Ukraine)/Gerome Blanchard (Frankreich). Minister Mutko verteidigt das großzügige Ausstellen von russischen Pässen mit dem Hinweis, diese Öffnung sei eine legitime Möglichkeit, die russische Mannschaft für Sotschi zu verstärken. So werde durch die intern höhere Konkurrenz das Leistungsvermögen insgesamt gesteigert: "Und am Ende werden alle Beteiligten die Gewinner sein."