Durch die Hintertür – Neuer Tiefschlag des Deutschlandradio-Intendanten Willi Steul gegen die Rundfunk-Orchester und -Chöre GmbH

Alice Ströver (Grüne), der Vorsitzenden des Kulturausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus, ist klar: »Das ist die Zerstörung der ROC durch die Hintertür.« Nach dem Scheitern der Fusion hätten die Gesellschafter ein Gutachten zur Struktur der ROC in Auftrag gegeben. Das habe Herrn Steul wohl nicht gefallen. Nun kommt der nächste Streich von der Haushalt-Seite. Ströver wird das Thema im Januar erneut im Ausschuß aufrufen. Auch in der Fragestunde des Parlaments am 13. Januar sei der Gegenstand denkbar.

Steuls Vorstoß löste umgehend eine scharfe Reaktion des Berliner Kulturstaatssekretärs André Schmitz (SPD) aus. Schmitz wirft Steul einen Anschlag auf die ROC vor. »Man kann keine Millionen einsparen, ohne an die Existenz eines Klangkörpers zu gehen. Und das will zumindest das Land Berlin nicht«, sagte er der Berliner Morgenpost. Schmitz ist gewiß kein Waisenknabe in puncto »Sparen, bis es quietscht« (Wowereit), doch Steuls Pläne gehen ihm über das Verantwortbare hinaus. Immerhin wird Berlins Ruf als Kulturmetropole auch von diesen vier Spitzenensembles getragen.

In den Streit hat sich nun (endlich) die Gewerkschaft der Orchestermusiker und Chorsolisten, die Deutsche Orchestervereinigung (DOV) eingemischt. In einem offenen Brief an die vier Gesellschafter fordert sie aus politischer, wirtschaftlicher und moralischer Verantwortung heraus, die Zukunft der Klangkörper gemeinsam und nachhaltig abzusichern. Es sei weder den Beschäftigten noch dem Publikum zu vermitteln, wenn der Bestand der vier »sich jährlich wiederholend« öffentlich infrage gestellt werde. Gewerkschaftliche Forderung ist ein konstruktiver Dialog auch mit den Vertretern der Beschäftigten und die Stärkung der Eigenerwirtschaftungspotentiale der ROC. Klare Sprache: »Ist Ihnen bewußt, daß Ihr Verhalten auch Vorbildwirkung für die nationale Kulturfinanzierung in Deutschland hat?«

Endlich leistet sich die DOV den Anspruch der Interessenvertretung ihrer Mitglieder. Bei »ganzheitlicher Verantwortung« könnte die DOV das ebensogut für die Tarifverhandlungen der Berliner Opernorchester mit dem Senat (in Person von Schmitz) und der Opernstiftung fragen. Künstlerische Kreativität braucht einen freien Kopf und Ruhe zum Arbeiten. Der Alltag aber ist Streß und Ärger. Die Regierenden jedoch geben keinen Anlaß zur Entwarnung. Im Hintergrund steht immer der Gedanke: »Die Musiker dürfen doch den ganzen Tag machen, was ihnen Spaß macht. Warum wollen die dann noch so viel Geld?«

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Anmerkung:

Erstveröffentlichung in junge Welt vom 10.01.2011.

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