Sofia (Leticia Herrero) will gegen den Willen ihres gottesfürchtigen Verlobten abnehmen. Die ältere Leonor (Maria Morales) muss die Kilos loswerden, die sie während des Wartens auf die Rückkehr ihres verreisten Freundes zugenommen hat. Der homosexuelle Enrique (Antonio de la Torre) braucht eine schlanke Linie, um weiterhin als Fernsehmoderator nutzlose Diätmittel anpreisen zu können. Familienvater Andres (Fernando Albizu) fürchtet um seine Gesundheit. Seine ebenfalls übergewichtige jugendliche Tochter Nuria (Marta Martin) leidet unter ihrer Figur, während der Vater nicht ohne Wohlwollen feststellen muss, dass ein heimlich aufgenommenes Handyvideo ihn und seine fettleibige Frau auf YouTube zu Amateur-Pornostars gemacht hat. Abels Liebe zu seiner schwangeren Freundin Pilar (Pilar Castro) wiederum wird durch deren Gewichtszunahme in Frage gestellt.
Das komplexe Zusammenspiel von Selbstbild und Zufriedenheit mit der Lebenssituation ignoriert „Gordos“. Als gelte es dem Vorwurf einer einseitigen Darstellung vorzubeugen, sind verschiedene Ursachen für Übergewicht vertreten. Dennoch ist Sanchez Groteske deprimierend klischeehaft, denn besagte Gründe sind ausschließlich negativ. Ehepartner, die sich gegenseitig mästen, ein schlechtes elterliches Vorbild, es liegt der Familie in den Genen oder der Tradition. Für das leibliche (Un)Wohl macht „Gordos“ die Angehörigen mitverantwortlich. Wenn nicht durch sie verleitet, essen die Dicken des Films aus Frust, Einsamkeit, Stress oder Langeweile. Dicke, die Essen einfach genießen oder sich mollig wohl fühlen, existieren nicht. Zwar müssen Leonor und Sofia feststellen, dass mit den Pfunden nicht automatisch die Probleme schwinden, zu einer veränderten Selbstwahrnehmung gelangen sie jedoch nicht. Streckenweise ähneln die Charaktere und deren exemplarisch vorgeführtes Leid klinischen Fallstudien. Die hämische Sensationsgier, mit der sich „Gordos“ an Körperfülle weidet, erinnert an eine Talk-Show, die sentimentale Larmoyanz an eine Telenovela.
Mit dem Gewicht schwankt die Stimmung der Protagonisten. Steigt das Gewicht, sinkt die Lebensfreude. Das Wort „Wohlfühlgewicht“ wird da zum Widerspruch an sich. Dicke, die sich glücklich nennen, betrügen sich selbst. Dünne müssten demnach permanent vor Freude im Dreieck springen. Ob der Regisseur selbst einer der Dicken ist und sich filmisch in sadistischer Selbstzerfleischung ergeht oder ein Dünner, der seiner mitleidigen Geringschätzung freien Lauf lässt, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich ähnelt Sanchez Abel, hinter dessen Helfermentalität sich pathologischer Abscheu vor Übergewicht verbirgt. Abels Ekel geht soweit, dass er selbst Pilar seinen Widerwillen gegen ihren Körper gesteht, obwohl sie für eine Schwangere verhältnismäßig schlank ist. Statt in dem einzig mutigen Eingeständnis des Films die dunkle Facette von Abels persönlichen Gewichtsproblemen – nämlich mit dem Gewicht seiner Mitmenschen – zu thematisieren, lässt „Gordos“ Pilar zustimmend ihre Selbstabscheu beklagen.
Füllige Körper degradiert Sanchez zum grotesken Spektakel. Zwei Millionen Klicks auf YouTube, wenn Dicke beim Sex gefilmt werden. Den Voyeurismus, der in dem Anstarren heimlich gefilmter Menschen zum Ausdruck kommt, sanktioniert „Gordos“: Dicke sind sogar stolz darauf, öffentlich lächerlich gemacht zu werden, weshalb Andres und seine Frau einvernehmlich die dritte Millionen YouTube-Klicks erwarten. Auf einen vergleichbaren Erfolg sollte die Komödie vergeblich hoffen. „Die Fetten“ sind cineastisch eine dicke Blamage.
Titel: Gordos
Land/ Jahr: Spanien 2009
Genre: Komödie
Kinostart: 1. Juli 2010
Regie: Daniel Sanchez Arevalo
Drehbuch: Daniel Sanchez Arevalo
Darsteller: Antonio de la Torre, Raul Arevalo, Fernando Albizu, Leticia Herrero, Pilar Castro, Marta Martin
Länge: 120 Minuten
Verleih: Arsenal Filmverleih