Zu Hause hat es die abenteuerlustige “Coraline” (Stimme: Dakota Fanning) keineswegs am schönsten. Ihre Eltern sitzen vor dem Computerbildschirm, zu Essen gibt es Matschepampe mit Mangold und das neu bezogene Haus ist schäbig und öde. Einziges Kind unter der aus den exzentrischen gealterten Schaustellerinnen Miss Spink (Jennifer Saunders) und Miss Forcible (Dawn French) und dem angeblichen Mäusedompteur Mr. Bobinsky (Ian McShane) bestehenden Nachbarschaft ist der merkwürdige Wybie (Robert Bailey Jr.). Dessen Spitzname steht für “why borne?“. Passt, denn der in Gaimans Kinderbuch “Coraline” nicht vorhandene Charakter ist eine unausgegorene Kopfgeburt des Drehbuchautorenduos. Auf einer Entdeckungstour durch ihr neues Haus findet “Coraline” eine rätselhafte Tür. Die führt das Mädchen in ein identisches Haus, wo alles gleich und doch anders ist. Bei desinteressierten Eltern, getrennt von Freunden und mit kauzigen Nachbarn heißt anders: besser. Henry Selick entfaltet seinen Ideenreichtum in dem bezaubernden “anderen Zuhause”. Die alten Schwestern treten als verjüngte Bühnenschönheiten auf und Mr. Bobinskys Mäuse geben Zirkusvorstellungen. “Coraline” ist so hingerissen wie der Zuschauer. Nur ihre andere Mutter (Teri Hatcher), ein spinnenhaftes Victoria-Beckham-Double, ist “Coraline” unheimlich. Zwar kocht sie lecker und ist immer nett, aber wie alle in der anderen Welt hat sie Knopfaugen. Will sie bleiben, muss Coraline ihre Augen auch durch Knöpfe tauschen.
Und die Moral von der Geschicht ´? Mädchen, weich vom Wege nicht. Diese Lektion lehrt “Coraline” seine Titelfigur und deren Publikum. Dem schönen Schein ist in Film und Kino nicht zu trauen. Originell ist an “Coraline” nur die Puppenanimation. Die Grundhandlung übernehmen Gaiman und Selick von “Peter Pan”, “Alice im Wunderland” und “Der Zauberer von Oz”. Indirekt spekuliert “Coraline” auf deren Klassikerstatus, welcher Novelle und Kinderfilm teilweise bereits zugesprochen wird. Dorothy hatte Toto, Alice Kätzchen Dinah und auch Coraline trifft – felis ex machina – eine sprechende Katze (Keith David). “Sie sucht jemanden, den sie lieben kann.”, sagt Mieze über die andere Mutter. Das klingt wenig abschreckend – im Gegensatz zu dem Knacken, mit dem die Katze einer als Zirkusmaus getarnten Ratte aus der anderen Welt das Genick bricht. Wie bei den Verfilmungen der Kinderbuchklassiker wird “Coraline” sein größter Vorzug, die wundervoll auf die Leinwand gebrachte Zauberwelt, zum Verhängnis. Warum die Heldin – ob Coraline, Alice, Dorothy oder Wendy – wieder nach Hause will, bleibt rätselhaft. Auf der Leinwand ist Coraline um einiges frecher als im Buch, um die elterliche Vernachlässigung zu kaschieren. Aber ist es so dreist, wenn Kinder kein Mikrowellenessen wollen und ein wenig elterliche Aufmerksamkeit? Knopfaugen erscheinen da als annehmbare Alternative. Die Knöpfe gibt es in allen Farben, anders als die Kleidung, die ihre echte Mutter für Coraline aussucht. Irgendwas ist so faul in der anderen Welt, wie der alte Kürbis, zu dem Coralines anderer Vater letztendlich vergammelt. Was genau und warum erklärt “Coraline“ nicht.
Fantasie ist heimtückisch und gefährlich in “Coraline”. Dass “Coraline” gerade mit Fantasiereichtum in der Ausstattung überzeugt, ist paradoxe filmische Doppelmoral. Mit “The Nightmare before Christmas” und “James und der Riesenpfirsich” erwies sich Regisseur Selick bereits als Meister des Puppentricks. Mit den detailverliebten Figurenanimationen kann die Geschichte nicht mithalten. Zu dünn und belehrend ist die Handlung hinter der morbiden Märchenfassade. Handlung und Charaktere werden mit ernüchternder Selbstverständlichkeit als bekannt vorausgesetzt und sind es auch – nur dass die Originale von F. L. Baum, Carrol und Barrie hintergründiger sind. Hat die von ihren kindlichen Ansprüchen geläuterte Coraline am Ende das aus der “Addams Family” daherspazierte Eiskalte Händchen der anderen Mutter und die gesamte verteufelte Zauberwelt besiegt, bedient sie als gehorsames Musterkind die Erwachsenen. Mit dem gleichen gefrorenen Lächeln, das ihre andere Mutter zur Schau trug. Gruselig ist das nur dann nicht, wenn man beide Knopfaugen zudrückt.
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Titel: Coraline
Genre: Fantasy-Animation
Land/Jahr: USA 2009
Kinostart: 13. August 2009
Regie: Henry Selick
Drehbuch: Henry Selick, Neil Geiman
Sprecher: Dakota Fanning, Teri Hatcher, Dawn French, Jennifer Saunders, Keith David
Verleih: Universal
Internet: www.coralin-film.de
Laufzeit: 101 Minuten
FSK: ab 6