Du sollst dir kein Bildnis machen – Oliver Parker zeichnet in seiner dritten Wilde-Adaption „Das Bildnis des Dorian Gray“

Das Porträt möge altern und er selbst ewig jung und schön bleiben, wünscht sich der jugendliche Dorian Gray (Ben Barnes) beim Betrachten des Gemäldes, welches der mit ihm befreundete Maler Basil Hallward (Ben Chaplin) geschaffen hat. Nachdem Gray die junge Schauspielerin Sybil Vane (Rachel Hurd-Wood) verführt hat, erkennt er, dass statt seiner das Porträt die Spuren des Alters und seiner seelischen Veränderungen trägt. Beflügelt von den zynischen Äußerungen seines enigmatischen Freundes Lord Henry Wotton (Colin Firth) gibt sich Dorian einem zügellosen Leben hin. Aufgrund der Blindheit der von seinem unschuldigen Aussehen geblendeten Oberschichtfür charakterliche Werte ist Dorian selbst nach Jahren der Ausschweifung gesellschaftlich etabliert. Doch seine Exzesse hinterlassen nicht nur auf dem Porträt Spuren, sondern in Dorians Seele. Hinter seiner schönen Hülle wird das Monster sichtbar – auch für Dorians neue Geliebte Emily, Lord Henrys Tochter.

Von Wildes brillanter Verflechtung psychologischen Grauens mit scharfsinniger Gesellschaftskritik übernimmt „Das Bildnis des Dorian Gray“ kaum mehr als den Titel. Parker tilgt zahlreiche der zentralen Romanszenen und -figuren und ersetzt sie durch jene seines Drehbuchautors Toby Finlay. In seinem Roman unterminierte Wilde die eigene Stilisierung des Hedonismus mit unterschwelliger Kritik. Dorian solle nicht alles glauben, was Henry sage, rät Hallward. Henry tue es selbst nicht. Einzig Dorian erkennt nicht, dass Lord Henrys Zynismus selbstironische Staffage ist. Seine scharfzüngigen Bonmots äußert er aus Lust an der Provokation. Dorian betrachtet die Aphorismen als Lebensanweisung, deren Befolgen ihn ins Verderben gestürzt hat. Seine Schuldzuweisungen unterstreichen seinen grenzenlosen Narzismus, der ihn unfähig macht, eigene Schuld zu erkennen. Eigene Skrupellosigkeit verleitet Dorian zu seinen Taten. Lord Henry erkennt diese Gefühlskälte und zeigt sie ihm. Anders als seine Mitmenschen lässt er sich nicht vom makellosen Äußeren des jungen Mannes täuschen. Doch Dorian ist zu überzeugt von der eigenen Vollkommenheit, um sich durch die Bemerkungen des Freundes angesprochen zu fühlen. Ein weiteres Indiz für seinen fatalen Mangel an Selbsterkenntnis.

Die Moralvorstellung, welche einen Menschen ausschließlich nach dessen Sozialprestige und Äußerem bewertet, kritisiert Wilde besonders scharf in seinem Roman. Dass sich die Gesellschaft über ein Jahrhundert nach dessen Erscheinen nicht verändert hat, beweist, dass ausgerechnet diese Kritik in „The Picture of Dorian Gray“ übergangen wird. Alle gehen nach dem schönen Schein: Basil, Sybil, die feine Gesellschaft, Dorian selbst. Schließlich auch die Zuschauer und Oliver Parker, der in seiner Verfilmung davon ausgeht, der Hauptcharakter sei zu Anfang gut gewesen. Dabei wird der junge Dorian als „pure“ bezeichnet. Er ist so sauber, wie es nur jemand sein kann, der mit dem Leben nicht in Berührung geraten ist. Ein unbeschriebenes Blatt Papier, welches nach Worten giert – und zwar möglichst drastischen. Dorians im Buch ungenannte Verfehlungen reizten schon mehrfach die Fantasie anderer Regisseure. Parker hingegen scheint Fantasie nicht zu besitzen. Sein „Dorian Gray“ erinnert an eine Neuverfilmung von Massimo Dellamos Romaninterpretation von 1970. Statt Helmut Berger im Jet-Set der 60er zeigt „The Picture of Dorian Gray“ Ben Barnes unter der Elite des Fin de Siecle.

Er habe das Leben geführt, welche Lord Henry gepredigt, jedoch nie zu leben gewagt habe, behauptet Dorian. Sein Ausruf scheint Parkers Einstellung gegenüber Wildes „Bildnis des Dorian Gray“ widerzuspiegeln. Die wirre Mischung aus Soft Porno, Melodram und Horrorfilm erscheint wie Parkers krude Vorstellung davon, welche Geschichte Wilde vorgeschwebt habe, er jedoch nicht zu schreiben wagte. Schießereien, Gasexplosionen, verstümmelte Leichen. Und weil in London die U-Bahn schon seit 1863 fährt, darf sie auch mal einen niedermähen. Zwischendurch ist Porno Party angesagt. Toll trieben es die alten Viktorianer. Imitation ist heute nicht mehr die höchste Form der Schmeichelei. „Mutilation is the most sincere form of flattery.“, formulierte es ein jüngerer Kritiker der Konvention als Wilde: Marilyn Manson. Die Zeiten ändern sich – und schlechte Filme wie der von Parker werden ihnen immer hinterher hinken.

Titel: Das Bildnis des Dorian Gray – The Picture of Dorian Gray

Land/ Jahr: USA 2009

Genre: Drama/ Horrorfilm

Kinostart: 15. April 2010

Regie: Oliver Parker

Drehbuch: Toby Finlay

Darsteller: Ben Barnes, Colin Firth, Ben Chaplin, Rebecca Hall, Rachel Hurd-Wood

Laufzeit: 118 Minuten

Verleih: Concorde

www.concorde-film.medianetworx.de

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