Dresdner Brückeneinsturz: Viele Beteiligte, kein Schuldiger

Eine Ansicht von Dresden. Quelle: Pixabay, Foto: KiraHundeDog

Berlin, BRD (Weltexpress). Es war wirklich ungeheures Glück für die Stadt Dresden, dass diese Brücke erst einstürzte, nachdem die letzte Straßenbahn darüber gefahren war. Man ist mit blauem Auge davongekommen. Aber wie kann es dazu kommen, dass eine Brücke überraschend einstürzt?

Im Moment sieht es so aus, als werde sich kein Schuldiger benennen lassen, der die Verantwortung für den Einsturz der Dresdner Carolabrücke trägt. Aber reiner Zufall war es dennoch nicht, denn es muss ein massiver Schaden vorgelegen haben, damit es zu einem derartigen Ereignis kommen kann.

Ein Teil davon ist womöglich reines Pech. Die Arbeiten für die Sanierung des dritten Strangs dieser Brücke waren bereits vergeben und sollten im Oktober beginnen. Ende 2025 sollte die Sanierung der gesamten Brücke, die 2019 begonnen wurde, endlich abgeschlossen sein.

Was aber natürlich die gewohnte Frage aufwirft: Warum dauert es so lange? Ein denkbarer Grund könnte in der Finanzierung der Arbeiten liegen. Die Brücke zählt als Teil einer Bundesstraße. Gemeinden mit mehr als 100.000 Einwohnern sind verpflichtet, die Instandhaltung auf ihrem Gebiet zu tragen. Zum Ausgleich erfolgen Zahlungen aus den Mautgebühren. Im Protokoll der Stadtratssitzung vom 27. Januar 2022, in der es um einen Teilbeschluss der Planungsvorgaben für die vorgesehene Sanierung ging, findet sich die Aussage der Stadträtin Krause, „dass aktuell nicht auf Landesmittel zurückgegriffen werden kann und man daher die Finanzierung aus Eigenmitteln der Stadt bestreiten müsse“.

Die angesetzten 8,4 Millionen Euro für den letzten Abschnitt der Sanierung sind für die Haushaltsjahre 2024 und 2025 eingeplant. Im ersten Überblick aus dem Jahr 2021 wurden die Gesamtkosten noch mit 7,3 Millionen Euro angesetzt. Der Zeitplan hat sich im Verlauf der vergangenen Jahre nicht verändert, diese sechs Jahre waren von Anfang an angesetzt. Es ist natürlich denkbar, dass die Gründe für diese lange Zeitspanne im Bereich des Verkehrsflusses lagen, den man möglichst wenig beeinträchtigen wollte, und nicht im Bereich der Finanzen, und es wird in den kommenden Tagen mit Sicherheit zum Thema werden, warum die Sanierung dieser einen Brücke zwei Jahre mehr in Anspruch nimmt, als es einmal dauerte, sie zu bauen. Aber 8,4 Millionen sind für einen städtischen Haushalt mit Investitionsausgaben von 384 Millionen für 2024 kein unüberwindlich hoher Betrag.

Allerdings: In der Präsentation des Tiefbauamts vom 23. Januar dieses Jahres finden sich folgende Angaben zur geplanten Sanierung, die als „Facelifting“ beschrieben wird: „Anlass: Bausubstanz erhalten und an gegenwärtige Nutzungsanforderungen anpassen
Maßnahmen: Instandsetzung der Brücke ‒ innen und außen, Erneuerung, Abdichtung, Fahrbahnbelag, Entwässerung, Elektrik, Beleuchtung, Geländer, Fahrbahnübergangskonstruktion, Neubau Kappen mit Verbreiterung“

Weiter steht da unter dem Stichwort „Bestandsaufnahme“: „Im Ergebnis der letzten Bauwerksprüfung wurde festgestellt:

– ca. 80 örtliche begrenzte Schadstellen, insbesondere an der Bauwerksunterseite und im Hohlkasten

– schadhafte Bauwerksabdichtung

– Schäden im Fahrbahnaufbau und an Ausstattung“

Das, was als wahrscheinlicher Grund angegeben wird und was vermutlich auch der Grund des Einsturzes war, die Korrosion der Stahlträger im Beton, verbirgt sich hinter der Formulierung „schadhafte Bauwerksabdichtung“. Man kann es ganz simpel formulieren: Solange die Stahlträger durch den Beton darüber geschützt sind, fangen sie nicht an zu rosten. Aber eine Brücke wird nicht nur durch den Verkehr, der sie quert, belastet, sondern auch durch Hitze und Kälte, und man weiß längst, dass Stahlbetonbrücken, die man bei ihrem Auftauchen für unverwüstbar hielt, doch nicht ewig halten.

Der Leiter des Tiefbauamts formuliert die Gründe etwas sonderbar: „Wir haben hier zu DDR-Zeiten massiven Chlorid-Eintrag gehabt.“ Was die DDR damit zu tun hat, ist unklar. Die Brücke wurde von 1967 bis 1971 gebaut, und vor 35 Jahren hat man auch im Westen Deutschlands deutlich mehr Streusalz eingesetzt (das ist es, was mit „Chlorid-Eintrag“ gemeint ist), das hat nichts mit der DDR zu tun. Übrigens auf Brückenbauwerken besonders lang, weil durch die feuchte Luft über Flüssen das Risiko überfrierender Nässe hoch ist. Und Streusalz ist Gift für Stahlträger, weil das Salzwasser selbst über mikroskopisch kleine Risse eindringt und dann eben die Stahlträger rosten.

Man habe, so das Tiefbauamt, bei der Brücke einen „Chloridentzug“ durchgeführt. Das sind Verfahren, die beispielsweise durch Anlegung einer elektrischen Spannung bewirken sollen, dass das Chlor wieder aus den entstandenen Metallsalzen gelöst und nach außen abgegeben wird. Sie sind allerdings relativ neu und es liegen noch nicht wirklich langfristige Erfahrungswerte (also über den Lebenszyklus eines solchen Bauwerks hinweg) vor. Der entscheidende Punkt hierbei ist, dass es sich um eine Methode handelt, die einen eventuell nötigen Ersatz des Bauwerks verhindern soll. Und ihre Wirksamkeit hängt unter anderem davon ab, ob die im Anschluss nötige Neuabdichtung mit entsprechender Sorgfalt vorgenommen wurde.

Tatsächlich fand dieser Chloridentzug bereits vor dem Jahr 2019 statt, denn in einer Antwort auf eine Anfrage der Linken vom 02.07.2019 (AF3134/19) heißt es, der Überbau sei „trotz Chloridentzug weiterhin kontaminiert“ und die „Reparaturstellen mit Betonersatzsystemen großflächig wieder schadhaft“. Die Zustandsnote im Prüfbericht 2017 (auf den 2023 ein weiterer gefolgt sein muss) lag bei 3,0. Das gilt bereits als „nicht ausreichender Bauzustand“.

Es gibt einen weitere, ältere Präsentation aus dem Jahr 2021, die einen deutlicheren Eindruck vom Ausmaß der Schäden gibt. Darin finden sich Aufnahmen vermutlich aus dem Hohlkasten der Brücke. Eine zeigt abgeplatzten Beton und freigelegte Stahlträger, eine andere typische „Rotznasen“, die auf dem Beton verlaufen und auf eine Roststelle weiter oben verweisen.

Das Problem bei diesen Darstellungen: Es ist schwierig und aufwendig, in den Beton selbst hineinzublicken. Da stellt sich die Frage, wie gründlich tatsächlich die Überprüfung des Bauwerks war. Und hier gibt es eine schlichte statistische Zahl, die selbst dpa unter der etwas irreführenden Überschrift „Deutschlands Brücken sind sicher“ eingestehen musste:

„Auf Basis einer Befragung der Kommunen geht das Deutsche Institut für Urbanistik in einem Bericht aus dem vergangenen Jahr davon aus, dass jede zweite Straßenbrücke in keinem guten Zustand ist. Damit wäre ihr Zustand sogar schlechter als bei den Bundesbauten. Eine zentrale Erfassung der Brückenzustände gibt es auf Landes- oder kommunaler Ebene allerdings nicht.“

Keine wirklich neue Information. Ich erinnere mich an kommunalpolitische Debatten vor mittlerweile mehr als 15 Jahren, bei denen die Zahl, die kursierte, noch jede dritte Brücke umfasste. Aber schon damals war eine weitere Aussage untrennbar damit verbunden: Das können die Kommunen nicht leisten.

Dieser dritte Teil der Carolabrücke sollte, so die Planung, verbreitert werden ‒ auf der anderen Außenseite ist dies bereits realisiert. Und dann sollte da noch ein Verkehrsversuch rund um den Fahrradweg stattfinden, über dessen Ursprünge man nicht lange rätseln muss. Kann es sein, dass die ganz banale Frage der baulichen Sicherheit der Brücke schlicht von Schnick und Schnack in den Hintergrund gedrängt wurde? Also die Aufmerksamkeit auch des Dresdner Tiefbauamts mehr auf jenen Fragen lag, mit denen man sich schick und modern geben konnte, als auf so banalen Fragen wie dem Zustand des 50 Jahre alten Stahlbetons? Man könnte angesichts der beiden Präsentationen durchaus den Eindruck gewinnen. Wovon man jedoch grundsätzlich ausgehen kann, ist, dass diese Behörde mit Sicherheit unterbesetzt ist. So, wie es vermutlich die entsprechenden Bauprüfer auch sein dürften.

Was sogar eine naheliegende Erklärung geben kann, sollte die Prüfung etwas weniger gründlich erfolgt sein ‒ immerhin war die Sanierung bereits geplant. Nun, man wird sehen, wie weit Prüfberichte und Befund nach dem Einsturz voneinander abweichen. Wobei das dauern kann ‒ schließlich ist Dresden noch glimpflich davongekommen: Bei dem Einsturz wurden keine Menschen geschädigt, und der Einzige, der noch in irgendeiner Haftung sein könnte, wäre die Firma, die den Chloridentzug durchgeführt hat.

Niemand findet es noch auffällig, wenn diese Sanierung ganze 50 Prozent mehr Zeit benötigt als der Bau. Alle beteiligten Kommunalpolitiker sind es längst gewohnt, dass kommunale Kassen mindestens schlecht gefüllt, wenn nicht leer sind, und auch die heutigen Leiter von Baubehörden können sich persönlich gar nicht mehr an die Zeit erinnern, als die personelle Ausstattung für die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben genügte.

Im Grunde ist es auf allen Ebenen so wie derzeit bei der Deutschen Bahn, bei der der simple Anspruch, die Züge mögen ihr Ziel in der vorgegebenen Zeit erreichen, schon derart unvorstellbar ist, dass man vorschlägt, doch einfach Züge zu streichen. Oder wenn eine ehemalige rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer immer noch als beliebt gilt, obwohl unter ihrer Verantwortung im Ahrtal mehr als hundert Menschen unnötig ihr Leben gelassen haben, weil das eine irgendwie mit dem anderen nichts mehr zu tun hat. Schlicht, weil eine Verleugnung von Verantwortung nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel ist, oft schon deshalb, weil man ein ordentliches Funktionieren gar nicht mehr kennt, und gerade weil sich das durch alle Bereiche zieht, das Ergebnis so wirkt, als handele es sich um ein Naturereignis oder einen Zufall.

Wie gesagt, es wird kein Schuldiger benannt werden können.

Anmerkungen:

Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn wurde unter dem Titel „Dresdner Brückeneinsturz: Viele Beteiligte, kein Schuldiger“ am 11.9.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.

Siehe auch den Beitrag

im WELTEXPRESS.

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