Eine Ausstellung über „Farbe“, auch drei Ausstellungen über „Farben“, können nie das Gesamt abdecken, was dieser Begriff in jedem von uns projiziert. Und vor allem auch nicht die Farben, die in unserer Vorstellung allein beim Sprechen und Hören des Wortes „Farbe“ erscheinen/aufblitzen, sich vordrängen. Von daher muß man sich genau anschauen, was die Ausstellungsmacher vorhaben, hier in Wetzlar die Kuratoren Marcel Baumgartner und Anja Eichler. Mit dem „Prolog: Iris“ beginnen sie. Und natürlich denkt man dabei an die griechische Götterbotin, den personifizierten Regenbogen, die auch der Iris als Regenbogenhaut des menschlichen Auges den Namen gab, die für die Regelung des Lichteinfalls zuständig ist. Und an die Iris und den Regenbogen soll man auch denken.
Allein, es ist keiner vorhanden. Auch sonst keine deutlich wahrnehmbaren Farben in den Ausstellungsräumen. Denn diese Ausstellung baut nicht auf unsere Sinnlichkeit, auf die Farben als Sinneseindruck und –ausdruck, sondern auf die Erkenntnis, die über sie und von ihnen gewonnen werden kann. Und wie die Menschheit nach und nach sich naturwissenschaftlich der Farben versicherte, wie sie stritt, welche Meinungen sie bildete und welche Verfahren zur ihrer Messung erfunden oder verworfen wurden, das kann man in der Ausstellung an kostbaren alten Folianten, an ehrwürdigen Drucken, an Bildern, an Gerätschaften, an ’meteorologischer Optik` , vereinzelt an Bildern und dann auch noch an spannenden Farbvariationstafeln entdecken.
Ausgangspunkt ist Descartes grundlegende wissenschaftliche Erklärung des Regenbogens in seinem „Discours de la méthode“ von 1637, Stein des Anstoßes für Goethe wurde aber „Opticks“, von Isaac Newton 1704 herausgegeben, als deren Widerlegung Goethe seine Farbenlehre nach und nach in drei Bänden konzipierte. Daß diese alten Bücher in den Vitrinen vor uns aufgeblättert liegen, ist mehr als bibliophile Freude, denn tatsächlich sind es die gedruckten Worte, die den Geist so vieler beflügelten, für und wider. Grob gesagt, ist Newton von der Zerlegung des Lichts ausgegangen, in der die Differenzierungen vom weißen Licht zu Farben durch Brechung im Spektrum unterschiedlicher Wellenlängen auftreten. Goethe hat die Auffassung, es könne sich aus weißem Licht eine derartige Farbenskala ergeben deshalb abgelehnt, weil er in allem ein Dualist war, das heißt, auch bei den Farben braucht es das Schwarz zum Weiß, um ein Farbenspektrum zu erhalten.
Die Ausstellung gibt nun Gelegenheit, diesen Diskurs nachzuverfolgen. Dazu muß man nur die jeweiligen Argumente, die auf Tafel ansprechend und didaktisch sinnvoll erläutert werden, lesen und durchdenken, mit einem Wort, das ist eine Ausstellung, die Sie – so Sie sich die Zeit nehmen – schlauer macht, als sie zuvor waren. Neben all den wissenschaftlichen und halbwissenschaftlichen Ansprüchen, entzückt einen dann ein Autograph von Goethe, geschrieben am 1.September 1805 mit dem berühmten Spruch: „Wär` nicht das Auge sonnenhaft, Es würde nie die Sonn` erblicken,”¦“. Auch der Briefwechsel mit Georg Christoph Lichtenberg (nomen est omen) spielt eine Rolle, und kurz stutzt man, wenn man den kolorierten Kupferstich von Philipp Otto Runge mit seinen „Farbkugeln“ von 1810 sieht, denn dieses Jahr ist das Todesjahr des noch jungen innovativen Malers und gleichzeitig das Erscheinungsjahr der Goetheschen Farbenlehre. Beide hatten sich viel zu sagen.
Welche Namen wir den Farben geben, ist ein besonderes Kapitel, das wir hier erst gar nicht aufschlagen, weil es offiziell nur 23 verschiedene Farbbegriffe gibt, der Mensch aber weit über hunderttausend Farbdifferenzierungen wahrnehmen kann und dafür stets passende Bezeichnungen sucht, die der nächste auch versteht.. Schon Theophrast hat in seinem „Traktat“ sich die Farben vorgenommen, das im Jahr 1549 erschienen das älteste Werk der Ausstellung ist. Offiziell wurde dann die Farben als DIN Normen (Deutsches Institut für Industrienormung) festgelegt, aber der Physiologe Wilhelm Wundt oder die Künstler Adolf Hölzel und Paul Klee hatten dazu ganz anderes zu sagen und zu zeigen, was Sie in der Ausstellung auch noch mitbekommen.
Für uns besonders interessant die kommerzielle Nutzung der Farben durch die Explosion der Farbenindustrie (Farbwerke Hoechst, Bayer AG, BASF, Casella”¦, deren Zusammenschluß als IG Farben und ihr Einfluß auf die Politik des Nationalsozialismus). Hier allerdings geht es nur um die Farbtafeln, die die einzelnen Firmen anboten, zum Färben in allen Bereichen, so daß auch ein Rudolph Adams ein Buch herausgeben konnte „Die Farbenharmonie in ihrer Anwendung auf die Damentoilette“, Leipzig 1862. Der Anwendungsaspekt wird unterstrichen durch Schminckbüchlein und sonstige Vorschläge zu farbigen Dekorierung von Mensch und Sachen. Darunter sind köstliche Sachen.
Kurz wird die wesentliche Verbindung von Farbe und Musik angesprochen. In der Synästhesie wird die Korrespondenz von Farbensehen und Töne hören angesprochen, für die manche Menschen begabt sind, was etwas anderes ist als die künstlerischen Doppelbegabungen wie Arnold Schönberg: komponieren und malen, was bei Schönberg aber zusammentraf. Auch der Alchimisten wird gedacht, aber gar nicht vorhanden ist der Sonderbereich von Gefühlen und Farben, welche Farben also bei Menschen welche Gefühle hervorrufen, erstaunlich identisch zum Teil und Grundlage der Werbepsychologie und -Physiologie heute. Stichwort: das kühle Blau, das leidenschaftliche Rot, das beruhigende Grün, das aggressive Gelb oder Orange”¦
Wenn dann in einem „Epilog Dämmerung“ noch einmal des Himmels gedacht wird, zwischenMorgenrot und Abendrot, stimmen wir John Ruskin zu, was er in seiner Schrift „Modern Painters“ zu den „Farbanfällen der Natur“ sagt, „die sich bei Sonnenuntergang in den hohen Wolkenschichten ereignen. Für diese Farbphänomene gebe es „keine Worte in der Sprache und keine Begriffe im Geist“. Das stimmt und deshalb schweigen wir jetzt. Bitte selber schauen.
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Goethes ’Farbenlehre` (1810) und die Lehren von den Farben und vom Färben,
Stadt- und Industriemuseum Wetzlar bis 6.März. 2011
Farbforschung exemplarisch: Siegfried Rösch, Universitätsbibliothek Gießen bis 6. Februar 2011
Farbe in der zeitgenössischen Kunst, Neuer Kunstverein Gießen zu Gast im KiZ, bis 6. Februar 2011
Es gibt ein ausführliches Rahmenprogramm, das Filmvorführungen einschließt.
Der Katalog zur Ausstellung wird erst im Januar 2011 erscheinen, weil die Ausstellungen selbst, das heißt die Vitrinen und Installation in ihm eine Rolle spielen. Er wird für alle drei Ausstellungen in einem Band erscheinen im Verlag Michael Imhof, Petersberg.