Drei Amis sind die ersten Drei: James Sallis: „Dunkle Schuld“ auf Platz 1 – KrimiWelt- Die Bestenliste von Welt, Arte und NordwestRadio für September 2009

Sieger KrimiWelt-Bestenliste von Welt, Arte und NordwestRadio für September 2009

So lesen wir derzeit die neue Krimireihe aus dem Suhrkamp Verlag und fanden die beiden ersten Bücher phantastisch, die aber in dieser Krimibestenliste überhaupt nicht auftauchen. Zu literarisch? Das darf ja wohl nicht sein. Das letzte Mal war Don Winslow mit „Pacific Private“ auf dem achten Platz, im Vormonat auf dem dritten. Schon solche Abstufungen wundern einen. Mehr also darüber das nächste Mal. An der diesmaligen Auswahl von „Dunkle Schuld“ von James Sallis auf Platz 1, bei Heyne im Taschenbuch erschienen, kann man nicht meckern. Der Autor kommt aus Arkansas und sein Held Turner ist einer, der einen Vornamen nicht verträgt oder nicht verdient oder nicht braucht. Vor allem Letzteres, denn als Soldat im Vietnamkrieg, als Polizist, als Häftling ist er ein Rollenträger und keine individuelle Person. Nach den Spielregeln des Knasts organisiert er dann sein Leben, als er entlassen wird. Die Lebensgeschichte erzählt Sallis nicht chronologisch, sondern füllt eine Figur mit verschiedenen Päckchen, mit Armen und Beinen versehen, bis uns ein inneres Bild vom inneren Turner entsteht. Grauslich geht’s da zu, drinnen und draußen in seiner doppelten Einsamkeit, der inneren und der in der Prärie.

Die Handlung? Irgendwie kommt es auf die gar nicht an, aber sie passiert und dies ist erst der erste Turner. In den USA sind schon zwei weitere Bände des wortkargen Turner aufgelegt. Wie das passiert, daß einer vom 7. auf den 1. Platz vorrutscht, wie es Sallis gelingt, hat einfach mit der unterschiedlichen Lesedauer der Jury und ihren Beurteilungen zu tun, die rechnerisch erfolgen, außerdem rutschen die besten nach dreimaliger Nominierung raus, so daß gute Krimis automatisch vorrücken. Auch Richard Starks „Das Geld war schmutzig“ beim Zsolnay Verlag rutschte vom 4. auf den 2. Platz vor. Aber leider haben wir von seinem interessanten Protagonisten Parker, dessen zwei erste Bände witzig, spritzig sind und an vorderster Stelle der KrimiBestenListe standen, noch immer kein Leseexemplar vom Verlag und können nichts dazu sagen, wie er sich im dritten Fall schlägt.

Kleines Spiel „Bäumchen wechsle Dich“, denn die vormalige Zweite Reggie Nadelson mit „Kalter Verrat“, erschienen im Piper Verlag, rückte eins zurück. Lesen Sie über das Buch beim letzten Monat nach. Denn wir wollen jetzt die – sage und schreibe – sieben Neulinge vorstellen. Auf dem vierten Platz Ken Bruen mit „Jack Taylor fliegt raus“, im Verlag Atrium und übersetzt von Harry Rowohlt, was zwar unfair anderen Übersetzern gegenüber ist, die wir nie erwähnen, die aber alle zugeben werden, daß Harry Rowohlt eine Ausnahme ist, vor allem, wenn er dann die übersetzten Texte auch noch vorliest. Wir haben’s noch nicht lesen können. Wohl aber den „nur“ auf Platz 5 angekommenen Wolf Haas mit seinem siebten Brennerroman „Der Brenner und der liebe Gott“, beim Verlag Hoffmann und Campe.

Der Brenner? Mit dem war’s doch aus, und ganz offiziell verkündete Wolf Haas, durch seinen letzten Roman „Das Wetter vor 15 Jahren“ in die Zwanziger Liste zum Deutschen Buchpreis 2008 aufgestiegen, das Ende der Brenners, was durch einen Schuber, in dem die sechs Bändchen versammelt sind, auch visuell als abgeschlossen zum Ausdruck kam. Aber der neue, siebte Brenner zeigt eben auch, daß ein Autor machtlos ist gegenüber seinen literarischen Figuren, wenn die auf Teufel komm raus am Leben bleiben wollen, selbst dann, wenn sie schon tief in der Scheiße sitzen – nein, nicht metaphorisch, oder besser: das auch noch – aber erst einmal ganz wirklich in einer Jauchegrube, wo Brenner auf andere Leichen trifft. „Andere Leichen“ ist richtig denn innerlich sieht sich Brenner schon als Leich, zumal er in dieser Fäkaliengrube ja auch den lieben Gott trifft.

Ja, da geht’s schon holterdipolter zu im neuen Brenner. Und wer die alten mochte – und Liebhaber können sich immer gar nicht vorstellen, daß ihr Liebesobjekt bei anderen keine Verzückung hervorruft -, der merkt beim neuen Brenner, daß Wolf Haas noch was draufzusetzen hatte. Die Handlung interessiert einen immer weniger, weil jeder Satz oder doch mindestens jeder dritte Satz einen beim Lesen einhalten läßt und reflektieren, mit welchen eigenen Erfahrungen das jetzt wieder korrespondiert, wenn Brenner oder sein schreibendes Über-Ich da wieder so nebenbei etwas absondern, worüber soziologische Abhandlungen genauso geschrieben werden, wie ganze Bücher oder auch philosophische Doktorarbeiten. Ums Leben geht es in den Brenners, das in Österreich eben noch schräger und noch verrückter, noch unwahrscheinlicher und dann doch genauso realistisch abläuft wie sonstwo.

Dieser siebte Brenner wird schon seinen Weg machen. Mit ihm ist Wolf Haas erneut für den Deutschen Buchpreis 2009 auf der Zwanziger Liste nominiert worden. Leicht hat er’s nicht der Brenner mit den Klassifizierungen. Für einen Krimi viel zu gescheit, für die seriöse Literatur viel zu doppelbödig? Wir werden sehen, wie es mit ihm weitergeht. Sie auf jeden Fall sollten sich „Der Brenner und der liebe Gott“ gleich reinziehen und auch dann fachkundig mitverfolgen, wie das Buch bei den unterschiedlichen Auswahlangeboten plaziert wird.

Da hat unsere Brennerbegeisterung verhindert, daß wir über den US-Amerikaner David Igantius mit “Das Netzwerk“ im Rowohlt Verlag, über den Deutschen Friedrich Ani mit „Totsein verjährt nicht“ beim Verlag Zsolnay, über den Engländer Warren Ellis „Gott schütze Amerika“ im Heyne Verlag , über die Anglo-Iro-Amerikanerin Tana French „Totengleich“ im Verlag Scherz und über den Südafrikaner Andrew Brown „Schlaf ein, mein Kind“ bei btb, jetzt noch mehr schreiben. Folgt, so sie sich halten, beim nächsten Mal. Und wenn nicht, dann kommentieren wir ihren Verlust und Ihr-auf–der Strecke-Bleiben.

&nb

1

1

(7)

James Sallis: Dunkle Schuld

Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger

Heyne, TB, 304 S., 8,95 €

Im Hinterwald des Südens: Turner, Ex-Cop, Ex-Sträfling, Ex-Therapeut, hat sich aus allem zurückgezogen. Bis der Ritualmord an einem Tramp alles wieder aufwühlt. Das verpfuschte eigene Leben kommt bei der Suche nach dem Täter wieder hoch: Rückzug impossible. Großartiger erster Band der Turner-Trilogie.

2

2

(4)

Richard Stark: Das Geld war schmutzig

Aus dem Amerikanischen von Rudolf Hermstein

Zsolnay, PB, 256 S., 16,90 €

Massachusetts/Long Island: Im dritten Band mit Parkers Abenteuern müssen die leider markierten Millionen aus dem Überfall auf den Geldtransport einer Bank gesichert und offshore gebracht werden. Verbrecher Parker transportiert Utopisches: Dumme Gier zahlt sich nicht aus. Aber Kaltes Blut macht auch nicht reich.

3

3

(2)

Reggie Nadelson: Kalter Verrat

Aus dem Amerikanischen von Claudia Feldmann

Piper, PB, 398 S., 12,00 €

New York: Artie Cohens Neffe Billy (14) hat schon einmal getötet. An Artie zehrt Misstrauen: Steckt Billy, auf Besuch aus der Psychiatrie, hinter neuen Mädchen- und Babymorden? Dabei muss Artie einen verschwundenen Müllmann suchen, auf der größten Müllkippe der Welt. Beste New-York-Tradition.

4

4

(-)

Ken Bruen: Jack Taylor fliegt raus

Aus dem Englischen von Harry Rowohlt

Atrium, PB, 302 S., 16,00 €

Galway: „Zwei Sekunden bis Getränk.“ Taylor ist Fachmann für Selbstzerstörung. Er schlägt, meist sich selbst. Sein Büro ist Grogan’s Pub. Rundherum Tote. Darunter ein Mädchen, angeblich Selbstmord, wie etliche andere zuvor. Taylor torkelt. Bruchlandung: Noch nie war ein Detektiv so blau und belesen.

5

5

(-)

Wolf Haas: Der Brenner und der liebe Gott

Hoffmann und Campe, geb., 224 S., 18,99 €

Wien/Kitzbühel: Brenner hat den sechsten Krimi überlebt, nun also der siebte. Der Ex-Polizist und Ex-Detektiv ist Chauffeur und kriegt sein Mündelkind entführt. Vom lieben Gott vielleicht, zur Strafe für Mama Doktors Abtreibungsklinik. Simon sucht Helena – und findet Gott. Welch Wunder! Oh jaa. Haaaas!

6

6

(-)

David Ignatius: Das Netzwerk

Aus dem Englischen von Tanja Handels und Thomas Merk

Rowohlt, TB, 68S., 9,95 €

Washington/Istanbul/New York/Armenien: 1979. Ein Spion ist ein Spion ist”¦ Edward Stone, Geheimdienstschlachtross, Spezialgebiet Destabilisierung, täuscht den Sowjets Unruhen in den mittelasiatischen Satrapien vor. Literarische Realsatire: Amerika plus Spinner = Krieg. Oder Scheinkrieg.

7

7

(-)

Friedrich Ani: Totsein verjährt nicht

Zsolnay, geb., 288 S., 19,90 €

München: Seit sechs Jahren ist Scarlett verschwunden, ein Nachbarjunge als Mörder verurteilt. Eine Leiche wurde nicht gefunden – und jetzt hat ein Schulfreund Scarlett auf dem Marienplatz gesehen. Polonius Fischer sucht die Verlorene. Ani ganz bitter: Deutschland, ein Fiasko. Nach einem realen Fall.

8

7

(-)

Warren Ellis: Gott schütze Amerika

Aus dem Englischen von Conny Lösch

Heyne, TB, 304 S., 7,95 €

USA: Michael McGill hat den größten Scheiß seines Lebens am Hals. Eine halbe Million Spesen, ein Palm und eine polyamouröse Grenzgängerin – damit soll der popelige PI die Moral der USA retten. Ein ultrakomischer Ritt durch die abseitige Unterwelt von God’s Own Country. Höllenspaß.

9

8

(-)

Tana French: Totengleich

Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann

Scherz, geb., 780 S., 16,95 €

Dublin/Glenskehy: Detective Cassie Maddox schlüpft in die Rolle einer getöteten Frau, die ihr nicht nur gleicht, sondern auch den Namen trägt, unter dem Cassie Jahre zuvor als Undercover-Agentin niedergestochen wurde. Und gerät in eine Melange aus Kleinmädchenabenteuer und Außenseiterepos. Schön lang.

10

9

(-)

Andrew Brown: Schlaf ein, mein Kind

Aus dem Englischen von Mechthild Barth

btb, TB, 384 S., 9,00 €

Stellenbosch, Südafrika: Im 17. Jahrhundert drangsaliert Master van der Keesel die Sklavenfamilie Boorman am Eerste River. Heute treibt die 19jährige Melanie tot im selben Fluß. Zwei Stränge Geschichte. Brown entwickelt sie getrennt, mal realistisch, mal mystisch. Südafrikas Zerrissenheiten.

Die „Bestenliste“ wird im Hörfunk immer am letzten Wochenende des Monats: Samstag 8.05 – 9.00 Uhr; Sonntag 15.05 – 16.00 Uhr in der „Literaturzeit“ des NordwestRadio vorgestellt. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem letzten Samstag im Monat geben 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.

Die Jury setzt sich zusammen aus:
Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt Volker
Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, Berg, „Druckfrisch“, Dlf, BR
Sven Boedecker, Zürich, Sonntagszeitung
Kathrin Fischer, Frankfurt/Main, Hessischer Rundfunk
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Ekkehard Knörer, Berlin, Perlentaucher, Crime Corner
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Jochen Schmidt, Düsseldorf, elder critic
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau
Hendrik Werner, Bremen, DIE WELT
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist Freitag, Plärrer

Alle weiteren plazierten Krimis entnehmen Sie bitte den Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur.Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Dreimal darf ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die diesmal Ende Januar herauskommt.

Internet:
krimibestenliste@togohlis.de
www.arte.tv/krimiwelt

Vorheriger ArtikelSieben auf einem Seil. Ein herrlicher ephemer Augenblick – Der Tigerpalast Frankfurt eröffnet mit „Le Fil Sous La Neige“ das Phänomen Expressionismus der Kulturfonds Frankfurt Rhein Main
Nächster ArtikelWenn man schon kein Glück hat, kommt noch Pech dazu – Eintracht Frankfurt überläßt Borussia Dortmund generös ein 1:1