Diese Argentinierin muß man lesen! – Claudia Piñeiro heizt ein mit „Die Donnerstagswitwen“ aus dem Unionsverlag

Claudia Piñeiro, die nun auch bei uns immer bekannter wird und längst schon eine der Größen der argentinischen Literatur geworden ist, wurde 1960 in Buenos Aires geboren. Sie hat ein Wirtschaftsstudium absolviert, was man nach den „Donnerstagswitwen“ sofort glaubt, so gekonnt kann sie über die ökonomischen Krisen und deren Auswirkungen berichten und diese elegant in die Handlungsstruktur integrieren. Und in diesem Buch gibt es auch viele Stellen, wo man die Journalistin hört, die sie auch ist. Präzise und schnörkellos in der Diktion wird sie, wenn es um die Beschreibung von inneren und äußeren und Zäunen unter der Erde geht, oder wenn die Plage der herumstreunenden Hunde abgehandelt wird. Das gilt auch für das Bepflanzen der Gärten, das Trinken von Alkohol und die Kleider der Protagonisten. Immer hat Claudia Piñeiro den Wirklichkeitsblick und beschreibt sinnlich, die Stoffe zum Beispiel, die Perlen, und wieviele von dem T-Shirt schon abgefallen sind.

Diese T-Shirt-Geschicht, das fällt uns erst jetzt auf, die wird psychologisch derart einsichtig vorbereitet, daß man eigentlich eine Weiterführung im Roman erwartet hatte, aber dann angesichts der vielfältigen Stränge im Buch, nicht mehr daran dachte und nur jetzt daran erinnert wird und sich auf einmal denkt: Die Autorin bringt eine derartige Breite des Geschehens und Ansätze von Beweggründen von Menschen, daß sie die nicht nur nicht alle ausführen kann, sondern auch gar nicht muß, denn alle diese kleinen Geschichten von Menschen fügen sich zu einem großen Teppich zusammen.

Dieser Teppich sagt aus: wenn eine sich als Elite verstehende Gruppe sich so abschließt, wie es die Bewohner dieser Anlage rund 50 km außerhalb von Buenos Aires mit ihrem Stacheldrahtzaun und einem Bewachungssystem, das ein Durchlassen auf der Straße nur mit Passierschein erlaubt und nächtlich fünfzehn Sicherheitsleuten, am Tage neun die Anlage bewachen müssen, wenn sie gleichzeitig ihre Angestellten gar nicht wahrnehmen oder schlecht behandeln, wenn derartige Dichotomien in der Gesellschaft entstehen, reich und arm extrem auseinandertriften, aber reich gar nicht mehr reich ist, sondern nur so tut, dann ist eine Gesellschaft am Ende. Diese hier ganz gewiß und die Art und Weise, wie Claudia Piñeiro dies leichthändig tut und die Schicksale dieser Gemeinschaft fest zusammenzurrt, wo keiner dem anderen traut, aber alle als Freunde tun, bis zum bitteren Ende sozusagen, das ist große erzählerische Kunst.

Na gut, dann müssen wir also doch etwas zu Geschichte selbst sagen, was schwierig ist, weil man einfach nicht verraten darf, was der Punkt dessen ist, wo der Roman mit unaufhaltbarer Geschwindigkeit in die Katastrophe rast. Es geht also um die, die es angeblich geschafft haben, sich aus der lauten, lärmenden Hauptstadt ins Grüne zurückzuziehen, mit rustikalen Villen, mal klein und fein, mal protzig und laut. Die meisten haben Kinder, die Frauen haben mit diesen, den Gärten, den Einladungen und den Mann bei Laune halten genug zu tun, aber die Männer haben angesichts der Wirtschaftskrise nicht mehr alle Arbeit. Geld also auch nicht. Das wird kaschiert und ein großer Spaß ist in diesem Roman auch, wie man ohne Geld so weitertun kann, als hätte man es. Tennis, Golf, Einladungen, alles geht seinen Gang, als ob nichts sei, bis dann derjenige, der insgeheim der Boß ist, Tano genannt, seinen genialischen Plan trübe Wirklichkeit werden läßt. Unheimlich ist das. Und gekonnt.

Wenn die Autorin Ihren Schriftstellerkollegen Manuel Puig auf dem Vorblatt zitiert: „Ohne Personal gibt es keine Tragödie, höchstens ein schäbiges bürgerliches Trauerspiel.“, so fällt einem nach dem Buch nur noch ein: „Mit Personal auch nicht“, will sagen, in diesem Roman läßt sich schlüssig herauslesen, daß auch das Vorhandensein von Personal solche Menschen mit solchen Lebensentwürfen und Lebensumständen nicht zu Tragöden, sondern zu einem billigem schäbigem Trauerspiel zwingt. Das Trostlose ist nicht so sehr die Folge der wirtschaftlichen Pleite, sondern die Unfähigkeit eigentlich aller vorgeführten Menschen, ihr Leben selbst und wirklich zu leben.

Wir aber wollen noch einmal unsere bisherige Lektüre von Claudia Piñeiro zusammenfassen. Ihr Erstling, der Roman “Ganz die Deine“ kam 2003 in die Endauswahl für den Premio Planeta und wurde 2009 im Unionsverlag auf Deutsch veröffentlicht. Das ist die unglaubliche Geschichte einer Überwachung des Ehemanns Ernesto durch seine Frau, die Erzählerin Ines, wobei sich herausstellt, daß diese gute Gründe hatte für ihren Verdacht, aber eben schlechte, es auf diese Weise durchzuführen. Mehr kann man nicht verraten, denn die Geschichten der Claudia Piñeiro leben davon, daß angedeutet wird und der Leser systematisch von der Autorin in die Winkelzüge seiner Protagonisten geführt und verführt wird und darum ein Spannungsbogen entsteht, der zum Weiterlesen zwingt.

Mit „Die Donnerstagswitwen“ liegt nun auf Deutsch 2010 ihr zweiter Roman vor, der ihr im Jahr 2005 den Premio Clarí­n brachte. Für ihren dritten Roman „Elena weiß Bescheid“, 2007 auf Spanisch, 2009 auf Deutsch, erhielt sie gerade zur Buchmesse den LiBeraturpreis 2010. Es folgen also die „Donnerstagswitwen“, jetzt erst erschienen, nicht auf „Elena“. Das ist wichtig zu wissen, obwohl man es auch von alleine herausliest. Claudia Piñeiro hat nämlich in der „Elena“, aber das wissen wir erst jetzt nach dem Lesen der „Donnerstagswitwen“, zwei Prinzipien zusammengeführt. Ihr Erstling kommt mit ganz wenig literarischem Personal aus und schildert aus der Perspektive der Betrogenen den Fall, der gleichwohl trotz der irrsten Momente und Ereignisse nicht im Individuellen verbleibt, sondern von dem wir dauernd spüren, daß er propädeutisch wirkt.

Die Donnerstagswitwen dagegen führen uns einen Mikrokosmos von Mittelstandsehen, kaputten Männern, fitten Frauen, potenten Männern und zerbrochenen Frauen vor, wo vielstimmig die Saga von der angeblichen Gutbürgerlichkeit gesungen wird. Immer wird aus der Ich-Perspektive erzählt, nur wechselt diese. Meist ist es Virginia, die uns und sich selbst berichtet. Das wird schnell erkannt, weil es oft um ihr rotes Buch geht, in dem sie das für ihr Geschäft Wichtige notiert– sie übernimmt die Immobilien, die Verkäufe, Ankäufe und Vermietungen in der namenlosen abgesperrten Anlage -, aber in dem auch sonstig Bemerkenswertes von ihr niedergeschrieben wird. Wer sonst noch spricht und schreibt, haben wir meist nicht herausbekommen, bzw. gar nicht herauszubekommen versucht, weil wir viel zu sehr mit der Weiterführung der Geschichte beschäftigt waren.

Eine Geschichte, die so unwahrscheinlich sie zu sein scheint, mit jedem Wort wahrscheinlicher wird. Ihr letzter, wirklich genialischer literarischer Einfall, in „Elena weiß Bescheid“, beläßt es wieder bei ganz wenig literarischem Personal. Aber diesmal ist die Geschichte, auch durch die Parkinsonkrankheit der Elena und die Rückführungen in die zwanzigjährige Vorgeschichte von einem derartigen Zug ins Allgemeine begleitet, daß man tatsächlich spürt, hier stellvertretend von ganz vielen zu hören.

Claudia Piñeiros Romane aus dem Unionsverlag:

Ganz die Deine 2009

Elena weiß Bescheid 2009

Die Donnerstagswitwen 2010

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