Die Filmwelt ist eine greifbare Version von „Second Life““, in der jeder Bürger ein alter ego nach seinen Wünschen kreieren kann: schön, gesund und ewig jung. Geschlecht, Alter und Hautfarbe seines Ersatzichs wählt der Besitzer. Sind sie nicht mehr aktuell, können sie ausgetauscht werden. Das Ich wird zum Wegwerfprodukt. FBI-Agent Tom Greer (Bruce Willis) lebt wie nahezu alle Menschen in seiner Surrogate-Existenz. Unfälle und Verbrechen sind dank der Maschinenmenschen die Ausnahme. Mehr als Blechschaden und Sachbeschädigung gibt es nicht. Bis der Sohn Canters (James Cromwell), des Erfinders der Surrogate-Technologie, durch eine Spezialwaffe ermordet wird, die mit dem Surrogate dessen Steuerer tötet. Tom sucht den Täter in einer Sekte, welche die Verwendung von „Surrogates“ ablehnt. Wie die Amish fahren die Technologiefeinde zwar Pferdekutschen, doch moderne Feuerwaffen lassen sie sich als echte Amerikaner nicht nehmen. Als Tom einer Verschwörung auf die Spur kommt, wird sein Surrogate von ihnen zerstört. Um seine Ermittlungen fortzusetzen, muss Tom persönlich seine Wohnung verlassen, angestarrt und unsicher, ein fehlerhaftes menschliches Kuriosum unter den perfekten Surrogates.
Reizvoll ist an „Surrogates“ nicht die routinierte Thrillerhandlung, sondern die Vision einer aus künstlichen Menschen bestehenden Gesellschaft. Ungepflegt und halb verwahrlost steuern die Besitzer ihre herausgeputzten Doppelgänger von verschlossenen Räumen aus. Toms Ehefrau Maggie (Rosamund Pike) betäubt sich mit Tabletten, wenn sie nicht als Surrogate agiert, Tom fühlt sich schutzlos, als er selbst anstelle seines maschinellen Ichs handeln muss. Die Alternative zu den modisch ausstaffierten Kunstmenschen sind gewalttätige Fanatiker, die einem guruhaften „Propheten“ folgen. Schwer zu sagen, welche der Gruppen die unmenschlichere ist. „Leben…nur besser.“, verspricht ein Werbespot für die „Surrogates“. Doch die perfekte Ersatzexistenz ist nur den Wohlhabenden zugänglich. Die „Surrogates“ verkörpern den ultimativen Materialismus. Wie ein Computer lassen sich die käuflichen Maschinenpuppen verbessern und ausbauen. Arme müssen sich mit einem Basismodell abgegeben, mit schlechtem Design, groben Bewegungen und weniger Sinnen. Wer sich Riechen und Schmecken bei seinem Surrogate nicht leisten kann, muss eben darauf verzichten. Das soziale „Handicap“ Armut wird zur realen physischen Behinderung. Am tiefsten stehen in der sozialen Hierarchie diejenigen ohne Surrogate. „In the flesh“ nennt Toms Vorgesetzter dessen persönliches Auftreten, eine Wendung, die auch „nackt“ bedeutet. Ein Surrogate wischt sich die Hand ab, nachdem es die eines Menschen geschüttelt hat. Menschlichkeit ist zum Makel geworden. Die perfekte Gesellschaft duldet nur Perfektes.
Die Inszenierung der Schattenseiten der verlockenden Alternativexistenz ist ein Relikt, aus der hintergründigen Comicvorlage in die Filmhandlung verirrt. Brett Wendeles atmosphärische schwarz-wei? Zeichnung setzt Moscow ohne Fantasie um. Nur eine Szene in einem grellen Schönheitssalon, in welchem die „Surrogates“ sich aufbessern lassen, evoziert die grauenvolle Künstlichkeit hinter den Puppengesichtern. Das gefrorene Lächeln war schon an Barbie unheimlich. Sie lächelte, wenn sie schlief und wenn man sie quälte. Sogar die Feuerzeugflamme lächelte sie an, bis das Lächeln schmolz. Barbies tropfender Plastikkopf war beunruhigender, als es „Surrogates“ auf der Leinwand zu sein vermag. Zu mehr als einem mittelmä?igen Science-Fiction-Thriller vermag Jonathan Moscow die Comicvorlage nicht zu verarbeiten. Für das Lesen des Originals ist „Surrogates“ nur schwacher Ersatz.
* * *
Titel: Surrogates – Mein zweites Ich
Land/ Jahr: USA 2009
Genre: Science-Fiction-Film
Kinostart: 21. Januar 2010
Regie: Jonathan Moscow
Drehbuch: Michael Ferris, John Brancato
Darsteller: Bruce Willis, Rhada Mitchell, Rosamund Pike, Boris Kodjoe
Laufzeit: 88 Minuten
Verleih: Walt Disney