Die Neue Rheinische Zeitung: „Organ der Demokratie“ in der deutschen Revolution 1848/49 – Am 19. Mai 1849 erschien ihre letzte Ausgabe

"Neue Rheinische Zeitung - Organ der Demokratie". Gedenktafel am Heumarkt 65 in Köln. Foto: Nicola, CC BY-SA 4.0

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Wenn es um die Würdigung der Ereignisse der deutschen Revolution von 1848/49 geht, kommt man nicht umhin, auf die Rolle der Neuen Rheinischen Zeitung einzugehen. Kurz nach den Volksaufständen in Wien und Berlin wurden Ende März 1848 in Paris in einem Flugblatt thesenartig die „Forderungen der Kommunistischen Partei in Deutschland“ verbreitet. Es war der Beginn der Agitation des von Marx und Engels gebildeten Bundes der Kommunisten, der aus dem von dem utopischen Sozialisten Wilhelm Weitling gegründeten „Bund der Gerechten“ hervorging.

Von Paris aus war es jedoch schwierig, aktiv auf die Revolution in Deutschland einzuwirken. Deshalb begaben sich Marx und Engels wenig später nach Köln, dem Zentrum der rheinischen Industrie, um dort die Gründung einer Zeitung, der Neuen Rheinischen Zeitung, vorzubereiten. Geleitet von Karl Marx als Chefredakteur und Friedrich Engels erschien sie ab 1. Juni 1848 als „Organ der Demokratie“ und einziges in Deutschland erscheinendes Blatt, das eine konsequent revolutionär-demokratische Position bezog.

Mit der NRZ entstand ein zur Organisierung des Proletariats und seiner revolutionären Partei sowie der Orientierung der demokratischen Kräfte in der Revolution dringend erforderliches Publikationsorgan. Es wurde Sprachrohr aller fortschrittlichen Kräfte, in erster Linie des konsequentesten Repräsentanten der revolutionären Demokratie, der Arbeiterklasse, deren einzige Zeitung sie war. Mit der NRZ schlug die Geburtsstunde der proletarischen Presse.

Die Artikel der NRZ, die in Band 5 und 6 der Marx-Engels-Werke (Berlin/DDR 1959) veröffentlicht sind, zeigen eine Vielfalt von Themen. Die NRZ publizierte die von Marx und Engels erarbeiteten philosophischen Grundlagen des wissenschaftlichen Kommunismus, Leitsätze über die Rolle des Proletariats und seiner Diktatur, Prinzipien der Taktik des revolutionären Kampfes der Arbeiterklasse in der Revolution. Als historische Hauptaufgabe stellten Marx und Engels die Beseitigung der ökonomischen und politischen Zersplitterung durch die Schaffung einer einigen unteilbaren Deutschen Demokratischen Republik, um den Weg für eine fortschrittliche Entwicklung in Deutschland frei zu machen (Programm der radikal-demokratischen Partei und der Linken zu Frankfurt, MEW, Bd.5, S. 39ff.). Das schloss ein, die Feudalordnung zu beseitigen. Sie legten ein konkretes Programm der bürgerlich-demokratischen Revolution vor, in deren siegreichen Verlauf sie den Prolog zu einer folgenden proletarischen sahen. Sie entwickelten, wie Lenin später hervorhob, bereits den Begriff der revolutionär-demokratischen Diktatur.

Eingehend analysierten Marx und Engels die revolutionären Kämpfe in Frankreich, Österreich, Ungarn, Italien, Polen, und Böhmen. So untersuchten sie die Ursachen der Niederlage des revolutionären Wien am 1. November und des Staatsstreichs der preußischen Reaktion. Im Pariser Juniaufstand sahen sie „eine Revolution des Proletariats gegen die Bourgeoisie, einen Kampf der Arbeit gegen das Kapital, eine selbständige Aktion des Proletariats zur Verteidigung seiner Klasseninteressen“. Marx und Engels riefen die revolutionären Kräfte auf, daraus die richtigen Lehren zu ziehen und sie furchtlos bei den noch bevorstehenden Kämpfen anzuwenden. Engels befasste sich mit Fragen des bewaffneten revolutionären Kampfes, so zu Italien und Ungarn. Zum Juniaufstand in Paris zog er wichtige Schlussfolgerungen über Bedeutung des Strassen- und Barrikadenkampfes und legte damit Fundamente für die marxistische Lehre über den bewaffneten Aufstand. In seinen Beiträgen über die Kriege, die Piemont in Italien gegen Österreich führte, enthüllte er die Feigheit König Carlo Albertos, der lieber kapitulierte, anstatt die Volksmassen zu Hilfe zu rufen. Wäre „die Turiner Regierung revolutionär und hätte den Mut, zu revolutionären Mitteln zu greifen – es wäre nichts verloren“, schrieb er in der NRZ am 1. April 1849. „Aber die italienische Unabhängigkeit geht verloren – nicht an der Unbesiegbarkeit der österreichischen Waffen, sondern an der Feigheit des piemontesischen Königtums“. Zu Ungarn analysierte er den Volkscharakter des Krieges und hob dagegen die entschlossenen revolutionären Methoden der Regierung Kossuth hervor. Seine inkognito geschriebenen Beiträge brachten ihm die Anerkennung von Fachmilitärs ersten Ranges ein, die keine Ahnung hatten, dass der Schreiber ein plebejischer Fabrikantensohn aus Barmen war. So wurden die Analysen über Ungarn, die sich als richtig erwiesen, einem hohen Militär in dessen Armee zugeschrieben ( Mohr und General, Erinnerungen an Marx und Engels, Berlin/DDR, 1964. S. 423.).

Mit den führenden Mitgliedern des Bundes der Kommunisten auf dem äußersten linken Flügel der Revolution stehend, traten Marx und Engels für ein enges Bündnis mit den Demokraten ein, kritisierten gleichzeitig die Fehler und Illusionen der kleinbürgerlich-demokratischen Führer. Scharfe Kritik übten sie am Zurückweichen der Frankfurter Nationalversammlung vor der preußischen Reaktion. Als im Frühjahr 1849 in der Rheinprovinz und anderen Gebieten Westdeutschlands Volksaufstände zur Verteidigung der Reichsverfassung ausbrachen, unterstützten sie diese Bewegung trotz der begrenzten Ziele und Möglichkeiten. Engels nahm am Aufstand in Elberfeld teil und begab sich danach zur Badisch-Pfälzischen Revolutionsarmee, wo er als Adjutant und Stabschef im legendären Freikorps von Oberst August Willich kämpfte. Marx begab sich nach Paris, um vor Ort die Analyse der revolutionären Ereignisse zu vertiefen.

Die entscheidende Ursache dafür, dass das deutsche Volk nicht den Sieg über den Feudalismus erringen konnte, lag, wie Marx und Engels darlegten, im verräterischen Paktieren der Bourgeoisie, die aus Angst vor der sich abzeichnenden Rolle des Proletariats „nur Rettung in jedem, auch dem feigsten Kompromiss mit Monarchie und Adel“ sah, schrieb Engels.

In der NRZ zeigte sich Marx´ großartige Begabung als Journalist und Redakteur, sein brillanter Stil, seine glänzenden Analysen aber auch sein Talent als Chefredakteur und Organisator der Zeitung. „Es war in erster Linie sein klarer Blick und seine sichere Haltung“, hielt Engels fest, „die das Blatt zur berühmtesten deutschen Zeitung der Revolutionsjahre gemacht haben.“

Angesichts der sich ständig verschärfenden Verfolgung durch die preußische Regierung, die Marx nach dem Scheitern der Aufstände in der Rheinprovinz des Landes verwies, musste die NRZ am 19. Mai 1849 ihr Erscheinen einstellen. In ihrer letzten Nummer, deren erste Seite in rotem Druck erschien, betonten Marx und Engels vor allem den proletarischen Internationalismus in dem sie vom Juniaufstand der Pariser Arbeiter ausgehend schrieben, „die Seele der Junirevolution“ war „die Seele unserer Zeitung“. Die Redakteure richteten eine Abschiedsbotschaft „an die Kölner Arbeiter“, in der es hieß, das „letzte Wort wird überall und immer sein: Emanzipation der arbeitenden Klasse!“

In einem aufrüttelnden Abschied nannte der Dichter der Revolution Ferdinand Freiligrath, der zu den Mitarbeitern der NRZ gehörte, die Zeitung „eine stolze Rebellenleiche“; nicht „in offener Schlacht“, sondern „aus dem Hinterhalt“, durch „schleichende Niedertracht“ zu Fall gebracht ( Freiligraths Werke, Weimer 1962).

Eine stolze Rebellenleiche

Kein offener Hieb in offener Schlacht –

Es fällen die Nücken und Tücken,

es fällt mich die schleichende Niedertracht

der schmutzigen West-Kalmücken!

Aus dem Dunkel flog der tötende Schaft,

aus dem Hinterhalt fielen die Streiche –

Und so liege ich nun da in meiner Kraft,

eine stolze Rebellenleiche!

Auf der Lippe den Trotz und den zuckenden Hohn,

in der Hand den blitzenden Degen,

noch im Sterben rufend: „Die Rebellion“! –

So bin ich in Ehren erlegen.

Oh, gern wohl bestreuten mein Grab mit Salz

Der Preuße zusamt dem Zare –

Doch es schicken die Ungarn, es schickt die Pfalz

Drei Salven mir über die Bahre!

Und der arme Mann im zerrißnen Gewand,

er wirf auf mein Haupt die Schollen;

er wirft sie hinab mit der fleißigen Hand,

mit der harten, der schwielenvollen.

Einen Kranz auch bringt er aus Blumen und Mai’n,

zu ruhen auf meinen Wunden;

den haben sein Weib und sein Töchterlein

nach der Arbeit für mich gewunden.

Nun ade, nun ade, du kämpfende Welt,

nun ade, ihr ringenden Heere!

Nun ade, du pulvergeschwärztes Feld,

Nun ade, ihr Schwerter und Speere!

Nun ade – doch nicht für immer ade!

Denn sie töten den Geist nicht, ihr Brüder!

Bald richt ich mich rasselnd in die Höh,

bald kehr ich reisiger wieder!

Wenn die letzte Krone wie Glas zerbricht,

in des Kampfes Wettern und Flammen,

wenn das Volk sein letztes „schuldig“ spricht,

dann stehn wir wieder zusammen!

Mit dem Wort, mit dem Schwert, an der Donau, am Rhein – Eine allzeit treue Gesellin

wird dem thronezerschmetternden Volke sein

die Geächtete, die Rebellin!

Anmerkung:

Siehe auch den Beitrag

im WELTEXPRESS.

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