Freiheit Umgestaltung
Oft Gesehenes erscheint in einem anderen Licht. Manche haben Tape auch im Gesicht. Eine Alternative zu dauer- und schmerzhafter Tätowierung. Tape [sprich: tejp] ist das Klebeband, das die Grundlage für diese neuen Kunststil bildet. Klebebandkunst klingt wahrscheinlich nicht schick, äh, cool genug.
2010 tapten Bodo Höbing, Bruno Kolberg (Photo) und Kolja Bultmann das erste Mal gemeinsam. Da ahnten sie noch nicht, dass sie sich wenig später zur Künstlergruppe „Klebebande“ zusammentun würden, diesbezüglich tappten sie noch im Dunkeln. Der Name ist genial gewählt, eine Bande, die durch Freundschaft und Klebebänder zusammengeschweißt worden ist. Die persönlichen Bande haben sich durch das gemeinsame Tun wahrscheinlich noch verstärkt, früher sagte man, sie kleben zusammen wie Pech und Schwefel. Gerade erschien ihr erstes Buch über Tape Art – nur fünf Jahre später. Vielleicht erging es ihnen ein bisschen wie den „Piraten“: Die Computerfreaks kamen über Freiheitsgedanken und Netzpolitik zur Partei zusammen und produzierten kurze Zeit später eine Menge Papier (Gesetzentwürfe etc.).
Tape und Tapete
”¦ haben nichts miteinander zu tun. Auf den ersten Blick. Obwohl genau dieser – auf die Schreibweise – Ähnlichkeiten vermuten lässt, die ein Taper wohl erstmal weit von sich weisen würde.
„Keine Tapete auf Papeete“, das reimt sich auch auf Urban-Gardening-Termini wie Städte, Beete und Rote Bete. Beim ‚Tape‘ haben deutsche Rapper schon Probleme: Ape ist eine Marke und obendrein kein deutsches Wort, bleibt vielleicht noch „Ej!“.
Beim näheren Hinsehen ist die Verwandtschaft Tape/-te jedoch viel größer. Beides wird geklebt, kommt von der Rolle und muss also geschnitten werden. Aufgrund des Alters könnte man die Tapete als die Ur-Ur-Generation bezeichnen, die zwar oft papiernen daherkommt, aber längst nicht immer. Bedeutet das Wort doch Decke oder Teppich.
Die Tape Art hat die Tapete nicht entdeckt, sollte das geschehen, waren Sie mit diesem Text bei der Geburtsstunde dabei.
Das Papier an der Wand (englisch: wall paper) soll(te) wohnlich und gemütlich machen. Es hat eine französische Geschichte aus der Zeit vor dem Siebenjährigen Krieg, als die Weltsprache, auch unter deutschen Adligen, Französisch war. Zunächst war Tapete natürlich Luxus, tape-zier-te Bauernhäuser gab es im 18. Jahrhundert nicht. Die Etymologie verweist auf Textilien, die aufgehängt wurden, zum Beispiel Wandteppiche. (Heute wird Textilklebeband gern verwendet.) Im 16. Jahrhundert erreichten chinesische Papiertapeten die Kolonialmächte England und Frankreich, die dann mit Eigenproduktion begannen. Viele Tapeten haben Muster; gemustertes Klebeband gibt es auch. Die Tapete gehört zur Innenarchitektur, zum Interior Design. Später war ihr Gebrauch bourgeois, bürgerlich und kleinbürgerlich. Im Biedermeier und der industriellen Revolution zerstörte Massenanfertigung die Innenarchitekturkultur.
Ist Tapete im Freien sichtbar, wirkt sie deplaziert. Wie in den Ruinen im Zweiten Weltkrieg bombardierter Wohnviertel.
Als Argument für Andersartigkeit käme die Beschichtung auf der Rückseite infrage. Man muss an die Zwischenform Dc-fix denken, die farbig oder gemustert ist wie Tapete, in Bahnen geklebt werden kann, aber stets selbstklebend beschichtet. Doch Klebeband wurde in armen Ländern teilweise auch mit Leim befestigt. Im Sozialismus klebten noch nicht mal die Briefmarken; ein Leimtopf stand bereit.
Natürlich musste für das moderne Klebeband die Chemie stimmen; Patente wurde vergeben. Ein Grund dafür, dass der Duden ein anderes Warenzeichen aufführt als Webster’s oder andere Wörterbücher, wenn man überhaupt fündig wird. Für Übersetzer eine interessante Herausforderung. Für Soziologen und Sprachhistoriker ein Fall, in dem die Konzerne die Sprachgrenzen festlegten. In der Bundesrepublik spricht man bei einfachem transparenten Band von Tesa, hergestellt von Beiersdorf in Hamburg. Obwohl das ein Markenname ist, versteht man in England nur Bahnhof, denn dort, in Schottland und anderswo heißt es so wie das alkoholische Getränk: ’scotch‘; oder ’scotch tape‘, was häufiger vorkommt als ‚Tesaband‘. Im deutschen sagt man einfach Tesa, während im Englischen das Wort ‚Tape‘ gern angehängt wird. Grund sind mögliche Missverständnisse durch viele andere Bedeutungen, darunter auch ’schottisch‘ und to scotch = verwunden.
Videoüberwachung unterdrückt Kunst
Für eine Einführung in das Thema Klebeband-Kunst konnte ein Tape-Art-Urgestein gewonnen werden, Michael Townsend; von Anfang an dabei und Gestalter von über 500 „Tape Art Murals“ in den USA. Er erzählt die kurze Geschichte dieser jungen Kunst. Heute, geschweige denn „1984“, hätte sie wohl nicht mehr entstehen können. Anders zu Gorbatschows Zeiten: Denn als 1989 in Providence, der Hauptstadt des kleinsten US-Bundesstaates Rhode Island, aus Klebeband Kunst wurde, hatte sich eine kleine Gruppe Künstler „aufgemacht, um allnächtlich Straßen, Gebäuden und nicht videoüberwachten Plätzen ein neues Gesicht zu geben.“ Es gibt jetzt wohl zu viele Überwachungskameras, private und öffentliche Kameras, webcams etc., als dass das künstlerische Kleben heute noch erfunden hätte werden können. „Unabsichtlich“ erschuf die Schar „ein neues künstlerisches Medium und eine Kunstform, die mittlerweile zum internationalen Phänomen geworden ist.“
Geschichte und Philosophie
Am Ort der göttlichen Vorsehung (Providence) entstanden, bezeichneten in den frühen 90ern Zeitungen und TV die Gruppe um Herrn Townsend und dessen Arbeit als „Tape Art“. 1992 wurde es binational, als Erica Duthie aus Neuseeland dazustieß. 1995 wurden die ganzen Vereinigten Staaten erobert mit riesigen Bildern aus Band mit geringer Klebekraft – auf Wolkenkratzern und anderen Häusern. Ein Jahr später: Die erste Homepage. 1998 entstanden mit Struan Ashby, Duthies Landsmann, Stop-Motion-Filme (Genre: Klebefilm).
Townsend: „Unsere Arbeit folgt seit 25 Jahren einer klaren Leitlinie und Philosophie: Es handelt sich in erster Linie um PERFORMANCE-KUNST, AUF deren ENTSTEHUNG nicht nur der Künstler, sondern auch DER BETRACHTER EINFLUSS HAT.“ Demokratisch und partizipativ, das passt gut zu Berlin und Deutschland. Weitere Vorgaben sind DER DIREKTE BEZUG auf den Ort und, dass das Kunstwerk mehr sein soll als nur eine Ergänzung. Noch ein Merkmal: Die Bilder sind gewollt KURZLEBIG. Sie werden entfernt, sobald nicht mehr aktiv an ihnen gearbeitet wird! Und schließlich: sollen die Darstellungen buchstabenfrei sein.
Townsend endet mit flammenden Aufrufen: Jeder Klebekünstler „MACHT UNS MUT, UNSERE STÄDTE ZURÜCKZUEROBERN“. „Verwandelt die Mauern! VERÄNDERT DIE MENSCHEN!“
Geld verbrennen und Musik löschen
Die Kurzlebigkeit ist ein ungewohnter Aspekt. Viele würden Rembrandt für einen Weinbrand halten und Leonardo für einen Schauspieler, wenn ihre Werke nicht überdauert hätten. Doch auch in der Musik gibt es so etwas absichtlich Vergängliches: In Stefan Schwieterts Dokumentarfilm „IMAGINE Waking Up Tomorrow and All Music Has Disappeared“, der seit dem 22. Oktober in den deutschen Kinos ist, sammelt Protagonist Bill Drummond Klangbrocken ein und lädt die, die gesungen und beigetragen haben – und nur sie! – zu dem Konzert ein (direkter Bezug). Es wird nur einmal gegeben. Beiwohnen, genauer gesagt ZUHÖREN dürfen nur die Klangproduzenten (Taxifahrer, Bauarbeiter u.v.a.), der Dirigent und der Tonmann. Anschließend wird die Datei gelöscht und sicherheitshalber auch noch aus dem Papierkorb entfernt. Alles umsonst?
Ähnlich wie bei Michael Townsends Tape-Art-Prinzipien führt diese Vorgehensweise zu einer Vergeistigung der Kunst: Sie lebt in unserem Gedächtnis weiter. Sei jetzt hier!
Das ist kein: ‚Gehen wir heute ins Museum oder morgen?‘ Nein, SCHAU JETZT HIN, ODER ES IST VORBEI! HÖR ZU, ODER eben NIE WIEDER. Drummond, der einst berühmt wurde, weil er eine Million Pfund auf der Bühne verbrannte, machte mit „The KLF“ viel Geld. Heute wird die Musik nicht mehr im Radio gespielt. Vergessen, meinen Sie? Im Gegenteil: Auf der Straße summen die Menschen die alten Songs nach, im Film. Aber Drummond hat die Rechte zurückgezogen: Aus und vorbei. Geld hin oder her.
Er wird als ewiger Punk beschrieben, als anarchischer Geist. Er leitet den „größten Chor der Welt“, aber Sie ahnen es schon: Es gibt keine Proben, noch nicht einmal solche wie in „Wie im Himmel“ oder „Wie auf Erden“ und im Gegensatz zu Kay Pollaks Filmen sind alle Chormitglieder Laien – und Noten gibt es auch nicht.
Gut für Berlin
Hertha ist kein Erfolgsgarant, DFB und UEFA stehen in der Kritik, weiter oben sieht’s noch schlimmer aus. Von sechs Flughäfen sind nur noch zwei in Betrieb, Exportweltmeister war einmal. Womit kann Berlin also glänzen? Die meistbesuchte Stadt Europas ist sie bis heute nicht, trotz Dutzender Hotelneubauten und fließender Touristenströme. Da trifft es sich gut, dass Townsend feststellt: „Seit 2015 ist Berlin die unangefochtene Tape-Art-Hauptstadt.“ Schon viele Jahre sei die Stadt ein Paradies für jede Form von Streetart gewesen, jetzt „ein Eldorado für alle, die mit Klebeband arbeiten.“ Neben den Autoren z.B. Tape That, Peachbeach und Slava Ostap Osinski.
Materialien und Techniken
Das fast quadratische, viereckige Buch ist in ebensoviele Kapitel aufgeteilt. Das erste stellt die Materialien und das Werkzeug vor. Gegenüber (anderen) Bastelarbeiten siegt als Werkzeug beim Schnitt der Cutter über die Schere, immer auch vor dem Hintergrund, dass die Kunst nicht bei Mutti im Wohn- oder Kinderzimmer stattfindet. Durchtrennt wird Gewebe- und PVC-Band, aber auch Pack- und Kreppband sowie Klebefolie. Nachdem man mit dem richtigen Material gut umgehen kann, geht es im zweiten Kapitel um die Technik bei Linien, Kurven und Flächen. Wie schneidet man negativ aus? ”¦ erreicht man Kontraste? Wie ist es mit Mustern und 3D-Effekten? Auch auf den Entwurf und das Übertragen von Vorlagen wird eingegangen, das Trio plaudert aus dem Nähkästchen und gibt im dritten Kapitel einen Einblick in Projekte. Vom Schwein bis zur Skyline. Abstrakt und Porträts. Gegenständliche Kunst auf Möbeln (Stuhl), Kleidung (Jeansweste) oder im Gesicht (Face-Taping). Taping auf Glas oder am Geländer. Sinnvoll: Das Wegeleitsystem.
Hervorragende Bildbeispiele
Zuletzt werden in einer „Galerie“ Arbeiten vorgestellt, erst der Klebebande, dann von Künstlern, denen sie begegnet ist, wie Noelia Villena, David Wenk, Chris Hosmer, Mark Khaisman und anderen. Gruppen und Einzelkünstler wechseln sich ab. Darunter geniale, leicht zu merkende Namen wie No Curves und Tape that, die Programm zu sein scheinen.
Genial zum Beispiel Max Zorn. Von ihm erschien 2015 ein Klebeband-Kalender zum halben Preis des Tape-Art-Buches; das Titelmotiv „Back again“ finden wir auf Seite 158 wieder, neben drei anderen Arbeiten wie „Beach Day“ und „Exposed“. MZ hat eine Vorliebe für die USA der „Chicago 1930“-Zeit. In „Exposed“ tragen die Reporter oder Photographen – und es sind nur Männer – sämtlich Hüte und ihre altmodischen, kastenähnlichen Kameras haben als Blitz diesen runden metallischen Reflektor mit einer Art echten Glühlampe in der Mitte. Das Motiv muss aus der Zeit vor 1960 stammen, denn seit John F. Kennedy haben die Hutläden Probleme und man(n) trägt Haar.
Palmen biegen sich am ‚Strandtag‘ im Seewind, ein 50er-Jahre- Straßenkreuzer fährt an einem sonnigen Tag zu einem Bungalow”¦ Ein Bild zum Träumen und an die Wand hängen. Die Klebekunst ist jung, die genannten Bilder stammen alle aus dem Vorjahr, nur das vierte, „Race of his Life“ stammt aus dem Jahr 2012. Lange her in Tapeart-Jahren gerechnet. Zorns Arbeiten sind monochrom. Das erstaunlichste sagen aber die Bildunterschriften: ‚braunes Packpapier auf Plexiglas‘ – wenn Sie die Werke sehen, werden Sie es nicht glauben. Nur bei „BEACH DAY“ hat er materiell aufgerüstet und verwendet neben braunem Packband auch – weißes!
Evi Kupfer hat schon 2010 „Hongkong“ geklebt – mit einem Wald von Neonwerbung. Ob sie chinesisch kann? Selbst wenn nicht: bewundernswert. No Curves spezialisiert sich auf Porträts – und das ganz eckig ohne sanft geschwungene Linien. Tape That kann auch Porträt, wie eine großformatige Arbeit aus Luxemburg beweist – 10 Meter lang. Viele Arbeiten aus Berlin erinnern aber an Escher oder sind gegenständlich wie „Kehrenlicht“, die in einer nächtlichen Szene einen abgestellten S-Bahn-Zug einer modernen Baureihe zeigt, vielleicht Nähe Warschauer Straße. Immer wieder scheint man die Vorgängerkunst zu erkennen wie man bestimmte Züge der Eltern und Großeltern in den Gesichtern der Kinder wiederfindet: Heimliches Sprayen, Graffiti war anscheinend der Ursprung – und das spiegelt sich teilweise bis in die Motivwahl wieder, bestimmt aber auch in der Wahl der beklebten Flächen.
Schriftzug oder Abkürzung?
Auf dem Einband ist das Wort TAPE ART mit Großbuchstaben dargestellt, deren eigentlich gerade Linien an manchen Stellen unnötig abknicken; auf der Titelseite wiederholt sich dieses graphische Element, das eigentlich der Typographie zuzuordnen ist. Mit etwas Phantasie errät man, dass die Buchstaben wie aus Klebeband zusammengesetzt aussehen sollen. Das scheint allein schon wegen des Townsendschen Anspruchs, mit dem Band keine Buchstaben zu formen, widersprüchlich.
Zudem erhebt sich durch die Verwendung von Versalien die Frage, ob TAPE eine Abkürzung ist, schließlich gibt es ja auch sich darauf reimende Abkürzungen wie SHAPE (was Form bedeutet). Da Kunst nicht affig ist, brauchte man mindestens einen Buchstaben mehr.
TAPE könnte zum Beispiel TRANS-ATLANTISCHE PARTNERSCHAFT MIT EUROPA bzw. Trans Atlantic Partnership with Europe bedeuten, etwas, das durch die Taper ja auch gelebt wird. Das europäische ‚E‘ ist dabei nicht hergesucht, denn eine Partnerschaft mit den USA über den Atlantik hinweg könnte ja auch Afrika gelten. Stattdessen wird für das teilweise geheime, europäische Werte auch im Bereich Kultur bedrohende geplante Abkommen das ^nym TTIP verwendet, mit einem I für Investment, das wirklich hergesucht erscheint. Erst recht, wenn man weiß, dass das zu Ende verhandelte, aber nicht ratifizierte Abkommen von Pazifikanrainern TTP genannt wird. Ein guter Tip ist jedenfalls etwas anderes. Vielleicht steckt hinter der umkämpften Abkürzung ja der Gedanke eines Trinkgeldes für die, die sich bedienen wollen.
Nun, vielleicht wenn TTIP am Widerstand der Entrüsteten und zu Verschachernden scheitert, wird das Gute alte ‚A‘ aus der Versenkung geholt, um in einem neuen Anlauf bisher Ungesetzliches zum Gesetz zu machen. Als Dänemark sich gegen Europa und Euro entschied, wurde ein Jahr später einfach neu abgestimmt, dann mit „passendem“ Ergebnis. Für die NATO war das ‚A‘ aus Atlantis ja auch gut genug; warum nicht NATP oder NATA – North Atlantic Trade Agreement? Dass sich „Natp“ schlecht aussprechen ließe, stimmt. Doch bei TTIP waren die Europäer bei der Aussprache auch verunsichert. Wenn man wissen will, zu welcher Seite der Waagschale der Nutzen der TTIP-Planungen sich neigen könnte, höre man nur zu, wie man das Unaussprechliche auszusprechen hat: nicht gestottert, sondern „Ti-Tip“. Weil das ‚T‘ in den USA so ausgesprochen wird wie „tea“.
Wenigstens das haben wir in Deutschland mit den Amerikanern gemeinsam: Auch wir sprechen das Getränk ‚Tee‘ genauso aus wie den Anfangsbuchstaben.
Rechtschreibung und Sprache
Tape Art ist einfach ein Wort, ein Fremdwort. Dass dabei der Bindestrich fehlt, und wohl auch nicht mehr nachkorrigiert wird, wenn sich der Begriff erst einmal eingebürgert hat, ist traurig. Aber auch Begriffen wie Konrad-Adenauer-Stiftung, Rosa-Luxemburg-Straße u.ä. fehlen inzwischen vielerorts die notwendigen Striche. Viele Stiftungen müssten mal „getapt“ werden, ihnen fehlen die Bindestriche.
Dass die Taper genau wie die Graffitisprayer gleich noch ein Pferd voller englischer Begriffe mit einschleppen, pardon, mit neuen Wörtern die deutsche Sprache bereichern, ist Realität. Das wird teils mit neuen Realien begründet: Mittelgroße, tragbare Rechner gab es vorher nicht. Sie ähneln einem Tablett: Neuer Name gefunden.
Schauen wir doch mal konkret in einem Buchkapitel nach: Seite 92 TABLET-CASE. Damit ist nicht der „Tablet“-Fall gemeint, sondern die Hülle, die das Tablet in jedem Fall auch bei einem Fall schützen soll. Auf der selben Seite ist von Handys die Rede, die man auch direkt bekleben könne. Nicht zum Schutz, zur Dekoration. Immerhin: Das Wort ‚Handy‘ ist ein deutsches.
Auf Seit 94/95 wird dann deutlich, welche sprachlichen Auswirkungen eine neue Kunst haben kann. Es ist vom Cutter die Rede. Den lassen wir noch durchgehen, obwohl es dem Begriff ähnlich wie dem Model an Eindeutigkeit fehlt. Es sind „Teekesselchen“.
Doch schon beim 1. Schritt ist endgültig die Schmerzgrenze erreicht: „ Als Erstes den äußeren Rahmen in Pink mit 5 mm breitem Gewebeband ziehen.“ Was daran so schlimm sein soll? Nun, unter anderem, dass viele den Aufreger noch nicht einmal bemerken. In der Sprache dieses Artikels hätte dort stehen können: ‚Den äußeren Rahmen in Rosa ziehen.‘ Was gegen ‚pink‘ einzuwenden ist? Was spricht denn gegen ‚Rosa‘? Es gibt zwischen einem rosanen T-Shirt und einem „pinken“ keinen Farbunterschied; obwohl man unter Jugendlichen auf Nachfrage bestimmt auch gegensätzliche Antworten erhielte. Soweit sind wir schon. Der Einband des Buches ist übrigens schwarz-weiß-pink. So is the Vorsatz.
Was die Klebebande so verbrochen hat
Zum Schluss sind wir wieder am Anfang, bei der Klebebande. Ihr wurde manchmal auch erlaubt, Flächen zu bekleben ”¦ In den ersten drei Jahren außer in der deutschen Hauptstadt wie am Stattbad Wedding in Istanbul, Amsterdam und Moskau, dort beim Territoria-Theaterfestival. In den vergangenen drei Jahren häufen sich die Events exponentiell: 2013 Festival de la Cité Lausanne, Clubs in Amsterdam und Stockholm und ein Heimspiel bei 48 Stunden Neukölln. 2014 Kater Holzig und Berlin Graphic Days, eine Kunsthalle und ein Laden, nein, ein Store im Bikini an der Budapester Straße in Charlottenburg in der City West. Der Heimat bleiben sie treu, Englisch wird als Sprache bevorzugt, wenigstens in der Selbstdarstellung. Ein „Art village“ bei einem Festival in – Leipzig, eine Messestandinstallation für Å koda am selben Ort bei der seit 1996 veranstalteten Auto Mobil International (AMI). Überhaupt Messestände: Ob man sich von der Abkürzung Ami angezogen fühlte? Im Laufe des Jahres landet die Klebebande bei der Energy-Decentral in Las Vegas und gestaltet den Siemens-Stand, zuvor schaut man mal eben in der Open Space Gallery in San Francisco vorbei, wo man doch schon mal in der Nähe ist. Dem Englischen bleibt man weiter treu und beteiligt sich an der Smart Road Show, die nach Barcelona, Lissabon, Zürich und Mailand führt. 2015 dann das Street Art Festival in Luxemburg. Dort ist man nicht so verbissen französisch wie in Frankreich, aber Straßenkunstfest, klingt das bieder? Immerhin auch in Leipzig gibt es kein Kunst-Dorf beim Platsch!-Fest, sondern wieder ein ‚Art Village‘. In Magdeburg gibt es aber ein Kunstfestival, das man nicht zu übersetzen braucht: „Die neue Sinnlichkeit in der zeitgenössischen Kunst“. Auf der Berlin Art Week darf man nicht fehlen und beklebt einen Quadratmeter, sorry: One Square Metre. Auch die Kunstmesse in München, an der man teilnimmt, heißt Art Fair, und die BMW-Welt wird als BMW World aufgeführt – Expo 2015 German Pavilion. Manche unken, die Bundesrepublik Deutschland sei 1990 nicht souverän geworden – wer weiß, Kunstfabrik klingt jedenfalls wie ein Wort und „Tape it: die European Tape Art Exhibition“ klingt nicht gerade hessisch.
Falls irgendein Zweifel daran bestand, dass die Klebebande in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, wurde das mit dieser Auflistung bewiesen und dieses ganze Buch ist en fin Ausdruck der Bürgerlichkeit: Wer schreibt, der bleibt. Während vor nicht allzu langer Zeit noch mit Hubschraubern in Charlottenburg-Wilmersdorf Jagd auf Graffitisprayer gemacht wurde, ist bei den Tapern, die keine Tapezierer sind, inzwischen klar: Die Typen sind legal. In der Sprache der Kleber: Tapen – Legalize it! Oder, wie der Deckeltext verrät: „Tape is the New Paint“ = das Motto des Künstlerkollektivs.
Mit der Buchreihe Haupt GESTALTEN ist also „Designen“ gemeint. Nicht, dass die Typen der Bande finstre Gestalten oder gar GESELLEN wären. So gesellig sie auch sein mögen, sie sind junge Meister einer jungen Kunst.
Klebeband braucht den Untergrund nicht mehr, Klebeband braucht nur einen Untergrund.
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Klebebande in Zusammenarbeit mit Eva Hauck, TAPE ART, Kunst mit Klebeband – Ideen und Projekte, 167 Seiten, Hauptverlag Bern 2015, ISBN 978-3-258-60131-1, 39,90 Euro (D)